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Die Meistersinger von Nürnberg

Oper in drei Aufzügen
Text und Musik von Richard Wagner


In deutscher Sprache mit deutschen Übertiteln (!)

Aufführungsdauer: ca. 5 h 30 min (zwei Pausen)

Premiere im Aalto-Theater Essen
am 13. April 2003
(rezensierte Aufführung: 30.4.2003)


Logo:  Theater Essen

Theater Essen
(Homepage)
Festspiel aus Sachs' Abdankung?

Von Ralf Jochen Ehresmann / Foto von Matthias Jung


Auch das omm hätte gern wie die papierbedruckende Konkurrenz von der Premiere am 13. April berichtet, doch war es der Leitung des Hauses leider, leider nicht möglich, alle KollegInnen gleich zu behandeln , - wahrscheinlich weil einige etwas gleicher sind - so dass wir unseren rund 50000 monatliche Klicks also erst jetzt nachliefern können, was andernorts schon besprochen worden ist.

Szenenfoto

:Wie seid Ihr auf die Schuh' versessen! Ich hatt' sie wahrlich schon vergessen.“

Das Essener Haus ist Lob gewöhnt, und das liegt sicher nicht nur am Pressereferat des Hauses – daran sicher auch, s.o. – sondern an jener selten anzutreffenden Geschlossenheit des Ensembles und der immer wieder bestechenden Leistung seiner Sänger- und DarstellerInnen. Hierin ließen die „Meistersinger von Essen“ – trotz Abweichung zur Premierenbesetzung bei Hans Sachs - keinen Wunsch offen. Auch Anselm Webers Inszenierung wagt sich weit heraus, denn wer den altbackenen Kulissenstaub des ach so unbeschwerten Mittelalters hinter sich lassen will, muss beim Einschlagen neuer Pflöcke Obacht geben, dass er nicht total daneben haut. Diese Gefahr, die generell in jedem gelungenen Kunstwerk ruht und bisweilen erst dessen eigentlichen Rang begründet, ist im vorliegenden Fall unüberschätzbar groß: Wagners Meistersinger sind wie kein zweites Werk durch die Geschichte ihrer Interpretation belastet, waren sie doch das letzte Werk, das noch nach Göbbels Anordnung zur Schließung sämtlicher Theater im Rahmen des totalen Krieges bei den Bayreuther Festspielen 1944 für KdF aufgeführt wurde.

Gute Inszenierungen definieren sich hier also weitaus weniger durch das, was sie leisten als vielmehr durch das, was sie vermeiden: Kitschige Zuckerwattekulissen mit schiefem Fachwerk und Nürnberger Versicherungstürmchen, heiterer Kirmes und naiver Jungbubenneckerei, zumal Verirrungen in national-affirmative Deutungen nach den Reichsparteitagsfestspielen hinreichend desavouiert sind. Dagegen steht das Wesen der Kunst und der gesellschaftlichen Bedingtheit ihrer Erscheinungsform als Stifterin sozialen Sinns sowie der Diskurs über die Synthesefähigkeit zwischen Form und Spontanität als ihrem Entstehungsgesetz zur Debatte. Anselm Webers Erfolg ist allerdings bei dieser Doppelaufgabe ungleich verteilt.

Klangbeispiel Klangbeispiel:
(MP3-Datei)


Konnte man in letzter Zeit vermehrt Zeuge einer neuen Tendenz zur Rampenpröttelopulenz werden, so erweist Anselm Weber, dessen bislang zweite Wagnerinszenierung nach Lohengrin wir hier betrachten, sich als davon wohltuend unbeeinflusst und präsentiert einen durch kein Inventar verstellten Raum. Seine Licht- und Schattenprojektionen zwischen Meeresbrandung und peep show verweisen auf übertextliche Sinnzusammenhänge bzw. untergründige Triebstrukturen, wie sie sich sowohl in urbaner Makrostruktur – siehe Prügelszene – oder im Hirn eines Individuums finden, wofür die psychologische Lesart von Beckmessers Verhunzung des Walther'schen Preisliedes Pate steht. Dementsprechend kommt er auch hier ohne langes Schaufechten und Wasserkübelschütten aus, liegen doch die Protagonisten der Keilerei, Beckmesser und David, bereits nach wenigen Takten beide danieder und nehmen am skurrilen Tanz zur Fuge keinen weiteren Anteil. Nicht mal die Laute hat Schaden genommen!

Szenenfoto Die ‚irrespektable Geselschaft' bei Hans, dem Nottäufer

Äußerst markant und einprägsam die Versammlung der Meistersinger gleich im 1.Aufzug, die hier nicht als Spott auf die deutsche Vereinsmeierei daherkommt, sondern uns in die Rituale einer höchst exklusiven Sekte blicken lässt. In schwerfälligem Aufundab überdimensionierter Kleiderständer taucht der Verein der offenbar durchweg Besserverdienenden in einen Kult ab, in dem die Identität der Roben auch keine sozialen oder sonstigen Unterschiede mehr überkleistert, wo Standesunterschiede und das Nicht-Identische überhaupt längst vorher ausgeschieden wurden. In solcher Runde verbietet sich folgerichtig auch die Ermüdung, die Pogners Langatmigkeit für gewöhnlich bei seinen Logenbrüdern hinterlässt.

Klangbeispiel Klangbeispiel:
(MP3-Datei)


In Essen hat Sachs das Spiel erst ganz in der Hand - und am Ende verloren; verteilt er eingangs noch Schuhe, Tücher, Spangen und also schon vorab das gesamte Spektrum der Intrigeningredienzien, so zieht der Entmachtete im Finale an keinem Faden mehr. Seinen langen Mantel trägt sein ehemaliger Lehrbub, derweil sein Meistersangeszögling samt weiblicher Trophäe tut, wie ihm Sachs selbst verordnet hat: „Mag er durch die Welt sich raufen; ... Hier renn' er uns nichts übern Haufen, sein Glück ihm anderswo erblüh'!“ Sogar das Nürnberger Volk, das eben noch „Hosianna“ geschrieen, hat sich vollständig verzogen und stattdessen in den Parkettgängen Stellung bezogen, um dem Träumer seine Vision der Kunstnation zurückzugrölen. Den Eindruck eines Gescheiterten hinterlässt er dennoch nicht, das lässt schon die Musik nicht zu, sofern nicht das gesamte Finale zu einem inneren Monolog umgedeutet wird.

Klangbeispiel Klangbeispiel:
(MP3-Datei)


Die Personenführung lässt v.a. in den ersten beiden Aufzügen einige Schwächen erkennen, wenn bisweilen spürbar zu wenig dramatisch weil zu sehr auf die Belange einer Bühnensituation bezogen agiert wird. So drehen sich häufig die Personen mitten im Gespräch zum Publikum, während ihr Gegenüber soeben noch andernorts postiert war und sich also entweder schnell mitdrehen muss oder nicht mehr direkt angesungen werden kann. Dahinein gehört auch eine Sammlung verpasster Chancen wie der unmotivierte Auftritt der Meistersinger, das wirre Durcheinander der Lehrbuben, denen man darüber ihre gelegentliche Stellordnung als Reihe oder Ringelreih nicht abnehmen mag, oder die traurig flache Pantomime Beckmessers in der leeren Schusterstube; es fehlt das Staunen über Walthers 3.Probebar oder irgendeine Visualisierung der dramatischen Wendung bei und nach Sachs' König Marke-Analogie; als deren markanteste sei hier der Katalog der Weisen angeführt, den David dem Stolzing aufsagt und währenddessen gestisch fast gar nichts unternimmt außer abwechselnd die Hände vor der Brust zu kreuzen oder in die Hosentasche zu stecken. Dadurch wird diese Szene wieder zu einer jener gefährlichen Längen im Werk, die sie nicht zu sein bräuchte, wenn sie entsprechend gefüllt wäre, wie das geradezu paradigmatisch Chrisitine Mielitz nebenan in Dortmund gelungen ist. Daneben steht freilich eine ordentliche Zahl stimmiger Ideen, wenn Stolzing ‚Ernst-August-like' hereingetorkelt kommt oder wenn Sachs und das Emigrantenpärchen sich während seiner Schusterlieder abwechselnd mit Müll und Elementen des Fliederbusches bewerfen.

Für die Chöre scheint die zündende Idee auch ausgeblieben zu sein. Das zeigte sich ärgerlich bereits an der akustisch ungünstigen Aufstellung beim Eingangschoral, die einen stark sopranlastigen Klang ergab, der die anderen Stimmen allzu sehr überdeckte. Dessen Pendant zur Festwiese tönte bereits schöner weil ausgewogener, blieb aber diffus unbegründet, zumal der Angesungene offenbar mit dem Ankleiden Probleme gehabt hatte und also erst danach und unbekuttet barfüßig erscheint; nur Beckmesser erscheint noch verspäteter, aber der hat ja auch einen Grund... Erwähnenswert ist die sehr hohe Textverständlichkeit auch ohne Überzeilen, was keine Kritik an diesem neuen Hilfsmittel sein soll. Denn gleichzeitig belegten zahlreiche Publikumsreaktionen, wie auch bei Werken von so hohem Bekanntheitsgrad und Repertoirebeständigkeit erst durch derartige Maßnahmen all jene Gewitztheiten rüberkommen, die zweifellos in der Dichtung angelegt sind und ohne solche Hilfsmittel offenbar nur eingeschränkt verstanden werden. Wie schon mehrfach in Frankfurt/Main zu bewundern, riskiert man sicher nicht zu viel, wenn man zu prophezeien wagt, dass in einigen Jahren deutsche Übertitel auch bei deutschsprachigen Opern der Normalfall sein werden.

Szenenfoto

Showdown des Volkstümlichen: Die Kunstelite beim Karneval der Tiere

Musikalisch sehr hochstehend wird an das bekannt gediegene Aalto-Niveau angeknüpft. Rundum überzeugend der sonorig-warme und obertonreiche Klang Wolfgang Schönes als Sachs wie auch Marcel Roscas als Pogner. Pressfreie Klarheit in der Höhe bei gleichzeitig glaubhafter Verkörperung spätpubertären Draufgängertums: der Essener Universaltenor und Wagner-Strauss-Allzweckheld Jeffrey Dowd – bravo! Thomas Möwes ist für Beckmesser ebenfalls eine gute Wahl, wobei er andernorts gezeigt hat, dass er noch mehr gekonnt hätte, wenn die Inszenierung ihn ließe, zumal das viel zu frühe Gelächter der Festwiese, kaum dass er eingetroffen ist und gar begonnen hätte, der Tiefgründig- und Doppelbödigkeit seiner Gestalt den angemessenen Raum zur Entfaltung vorenthält. Ausgezeichnet Anja Kampe als Eva, stürmisch und stattlich in Würde und Wildheit, derweil ihr Kleid von Aufzug zu Aufzug länger wird. Ildiko Szönyis Sopran kam fast einwenig zu wagnerisch daher, ideal für Fricka, Ortrud oder auch Elektra, für Magdalene bisweilen zu scharf und konsonantig in der Diktion. Ähnlich bei Rainer Maria Röhr, dessen fortgeschrittenem Haarausfall man die lehrlingshafte Jugendlichkeit nicht mehr so ganz abnehmen mochte und dem die Verkörperung seiner gewandelten Funktion als Geselle oder gar Ersatzmeister sichtlich besser gelang.

Klangbeispiel Klangbeispiel:
(MP3-Datei)


Stefan Soltesz scheint der Meinung gewesen zu sein, Wagner dauere eh lang genug. Jedenfalls nahm er mit 78 / 58 / 112 Min. äußerst forsche Tempi, was auch angesichts aller Transparenz und Klarheit entschieden zu flott ist; 7'40“ für das Vorspiel scheinen mir rekordverdächtig. Ansonsten und gerade auch an weniger exponierten Stellen zauberte er aus dem Essener Graben einen Wohlklang ohne Badeeffekt, klare Linien im Blech und gerade im Vorspiel zum 3.Aufzug einen herrlich bratschigen Streichersound.


FAZIT

Ein lohnendes Experiment: manch guter Einfall und ein mutiger Bruch mit überkommenen Sehgewohnheiten. Zwar eine Aussage mit Konzept, doch der Wagner der Zukunft wird eine andere Schule brauchen


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Stefan Soltesz

Inszenierung
Anselm Weber

Bühne
Raimund Bauer

Kostüme
Bettina J. Walter

Choreographie
Jeremy Leslie-Spinks

Chor
Alexander Eberle

Licht
Hartmut Litzinger

Dramaturgie
Bettina Bartz



Opernchor und Extrachor
des Aalto-Theaters

Die Essener Philharmoniker



Solisten


* Besetzung der rezensierten Aufführung

Hans Sachs
Franz Hawlata /
*Wolfgang Schöne

Veit Pogner
Marcel Rosca

Kunz Vogelgesang
Herbert Hechenberger

Konrad Nachtigall
Günter Kiefer

Sixtus Beckmesser
Tomas Möwes

Fritz Kothner
Heiko Trinsinger

Balthasar Zorn
René Aguilar

Ulrich Eisslinger
André Post

Augustin Moser
Martin Endrös

Hermann Oertel
Peter Holthausen

Hans Schwarz
Peter-Nikolaus Kante

Hans Foltz
Richard Medenbach

Walther von Stolzing
Jeffrey Dowd

David
Rainer Maria Röhr

Eva
Anja Kampe

Magdalena
Ildiko Szönyi

Nachtwächter
Almas Svilpa

Lehrbuben
Michaela Cenkier
Susanne Kohnke
Stefanie Rodriguez
Marion Steingötter
Ernesto Binondo
Stefan Flehn
Andre Fox
David Frazier
Thilo Himstedt
Markus Sessing
Michael Vaccaro






Weitere Informationen
erhalten Sie vom
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