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Wiedersehensfreude. Punkt.
Von Stefan Schmöe
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Fotos von Thilo Beu
Das Welttheater verleugnet nie die Nähe zum Kasperle-Theater, Wiedersprüche werden nicht einem höheren Sinn zuliebe wegeskamotiert, sondern bleiben ungeschönt erhalten.
Damit ist auch der Charakter von Jürgen Bosses Bonner Neuinszenierung des Simon Boccanegra ziemlich gut umrissen. Bosse erzählt die historisch im Genua des 14. Jahrhunderts ziemlich exakt anzusiedelnde Geschichte um den vom Volk gewählten Dogen Simon Boccanegra in prägnanten, nach Comic-Art durch Überzeichnung die Situation und die Charaktere umreißenden Bildern. Am deutlichsten wird das an der Figur von Simons Mörder Paolo, der in grelles grün gekleidet, bucklig und hinkend ein auf das Böse komprimierter Mephisto ist. Simon dagegen erscheint als jugendlich-draufgängerische Mischung von Che Guevara und Winnetou; der Zeitsprung zwischen dem Prolog und den (etliche Jahre später spielenden) drei Akten zeigt sich lediglich im ironisch silbergrau eingefärbten, aber nach wie vor wehendem Haar. Der Chor, getrennt in zwei Parteien mit knalligen Phantasieuniformen, ist durch Strumpfmasken im wörtlichen Sinne gesichtslos. So setzt sich die Handlung aus hart geschnittenen, blitzlichtartig erhellten Einzelbildern zusammen. In der (für die hier gespielte Fassung von 1881 nachkomponierte) Ratsherrenszene rückt Bosse den Dogen in die Nähe des Duce Mussolini, ohne deshalb ein durchgängiges Konzept der Parallelisierung zwischen Opernhandlung und Faschismus zu verfolgen. Er öffnet statt dessen die Oper für Assoziationen in verschiedene Richtungen, oft ironisch gebrochen: Simons Tochter Amelia singt ihre Auftrittsszene, in der sie das Meer bewundert, im Badeanzug, allerdings in gänzlich unromantischer und naturferner Landschaft, nämlich irgendwo in den Docks von Genua mit Aussicht auf Ölbohrinseln oder anders gesagt irgendwo zwischen Kasperle-Theater und Comic-Strip. ... doch aus dieser Liebesbeziehung entstand, wie Opernfreunde wissen, ein Kind, das Jahre später eine von den bei Verdi üblichen Komplikationen getrübte Vater-Tochter-Beziehung - wir sehen sie hier im Bild überdeutlich - auszutragen hat ...
Bosses Bilder sind teilweise befremdlich, aber nicht albern oder beliebig. Ein Grund dafür ist das Bühnenbild von Wolf Münzer, das in großartiger Düsternis die Grundstimmung der Musik beeindruckend aufnimmt und widerspiegelt. In der tiefschwarzen Hafenlandschaft ragen metallische Stege in den Bühnenhimmel und enden im Nichts, griffige und auch über fast zweieinhalb Stunden tragfähige Metaphern für schicksalhafte Verstrickungen im zeitlosen Kampf um Macht. Das vergiftete Wasser entnimmt Simon dem postmodernen Wasserspender, aber solche konkreten Gegenwartsbezüge bleiben, wie auch Amelias skurriles Bad, die Ausnahme. Die Figuren wirken klein und verloren, sind heimatlos in dieser Welt aus Stahl und geradezu absurd in ihrem Ringen um die Herrschaft in diesem unbeherrschbaren Ambiente. Aber in ihrem Aufbegehren sind sie wiederum groß, und erst recht großartig in ihrem Gesang. Und der wird ganz exzellent dargeboten. ... zu allem Überfluss muss Opa Fiesco, seit je ein Feind Boccanegras, als Mönch verkleidet die Angelegenheit noch zusätzlich verkomplizieren ... schon
Herausragend und nicht nur für ein von finanziellen Nöten geplagtes Haus wie Bonn eine Sensation ist Vittorio Vitelli in der Titelrolle. Mit einer Riesenstimme, die scheinbar keine Ermüdungserscheinungen kennt, dabei sonor und zu vielen Schattierungen fähig, entwickelt Vitelli musikalisch wie szenisch enorme Präsenz. Aber auch seine Gegenspieler sind von außerordentlichem Format: Sowohl Martin Tzonev als bitterböser Paolo als auch Andrej Telegin als bei aller Rivalität recht milder Fiesco singen hervorragend. Dazu kommt Timothy Simpson mit strahlendem, absolut höhensicherem und sehr kontrolliert geführtem Tenor als staatsmännisch (und theatergemäß natürlich auf der politisch falschen Seite) agierender Adorno, dem Liebhaber von Simons Tochter Amelia. Mit dieser glänzenden Herrenriege schwingt sich die Bonner Oper unversehens in den Verdi-Himmel empor. Gegen so viel musikalisch klug eingesetzte maskulin-vokale Kraft kann sich Anja Vincken als Amelia nur schwer behaupten, obwohl sie sich nach verhaltenem Start frei singen kann und ein mehr als akzeptables Rollenportrait bietet. Ihre Stimme ist, an diesen Größenverhältnissen gemessen, zu klein, und dadurch fehlt dieser an sich schon recht männerlastigen" Oper ein wenig das Gegengewicht angesichts des hohen Niveaus ein nur kleiner Wermutstropfen. Der Chor singt, ganz im Sinn der Regie, schlagkräftig präsent. Und Christoph König entwickelt am Pult des bestens disponierten Orchesters der Beethovenhalle eine schlüssige und spannungsreiche Interpretation der großartigen, wohl wegen des Fehlens von wunschkonzertgeeigneten Highlights häufig verkannten Partitur. ... da helfen, auch das wissen Opernkenner, selbst die schneidigen Jungs von der GSG 9 nichts, denn Boccanegra hat längst am vergifteten Wasser genippt. Trotzdem: Für Verdi'sche Verhältnisse gibt es verhältnismäßig wenig Tote und ein Finale voll gegenseitigem Verzeihen. Fast schon ein Weihnachtsstück, passend zum Premierendatum ...
Durch das Zusammenspiel von Musik und Szene wird das Pathos der Handlung vorgeführt und gleichzeitig ironisch gebrochen. Diese lakonische Sichtweise wird durch die Übertitel (eingerichtet vom Dramaturgen Jens Neuendorf) verstärkt, die nicht wie sonst üblich eine verknappte, aber mehr oder weniger wörtliche Übersetzung des Originaltextes (gesungen wird in italienischer Sprache) im Sinn haben, sondern wie eine parallele Inhaltsangabe fast wie die Zwischentitel in Stummfilmen liefern. Das führt zu einer Brechung ähnlich Brechts epischem Theater, denn oft greifen die Texte der Handlung, wenn auch nur für Momente, vor. Und mitunter feiern sie geradezu ihre Überflüssigkeit: Wenn Simon seine verschollene Tochter wiedererkennt und in die Arme schließt, dann verkündet der Übertitel ganz korrekt: Wiedersehensfreude. So einfach und dabei überwältigend - kann Oper sein.
Brillante Comic-Oper auf musikalisch höchstem Niveau: Kurz vor Jahresschluss gelingt der Bonner Oper noch eine der ganz starken Produktionen in 2002. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
ProduktionsteamMusikalische LeitungChristoph König
Inszenierung
Bühne und Kostüme
Licht
Choreinstudierung
Dramaturgie
Solisten* Besetzung der rezensierten AufführungSimon Boccanegra Bastiaan Everinck / *Vittorio Vitelli
Jacopo Fiesco
*Andrej Telegin
Paolo Albiani
*Martin Tzonev
Pietro
Andrej Telegin
Maria (Amelia)
Gabriele Adorno
Hauptmann der Bogenschützen
Johannes Mertes
Eine Magd
Regina Naczinski
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