Individuum und Gesellschaft
Rundum gelungene und spannende Jenufa am Theater Bielefeld
Von Kilian Vollmer
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Fotos von Matthias Stutte
Versetzt man sich einmal in die Rolle eines Theaterbesuchers, so hat dieser sicherlich einige Wünsche an eine Opernaufführung. Er möchte zunächst einmal unterhalten werden. Manch einer möchte besonders gute Stimmen hören, der andere legt Wert auf ein schönes, passendes Bühnenbild, noch jemand anders findet den Aspekt der Bildung oder des aktuellen Bezuges wichtig. Oder das Mitfühlen mit den handelnden Personen ? Theater, und gerade Musiktheater, kann sehr vielfältig und spannend sein.
Bei der Neuinszenierung der "Jenufa" von Leos Janacek am Theater Bielefeld wurde man all diesen Ansprüchen gerecht und so wurde die Premiere unter der Leitung von GMD Peter Kuhn auch begeistert vom (leider nicht so zahlreich wie sonst erschienenen) Publikum aufgenommen.
Richtig unheimlich: Sharon Markovich als Kindsmörderin
Thema dieser Oper ist das Individuum und sein Verhältnis zur Gesellschaft.
Da ist zum einen die Küsterin des Dorfes, Buryja, die sich um Jenufa sorgt, für unsere Zeit aber so altmodisch denkt, dass sie das uneheliche Kind Jenufas mit Steva, ertränkt. Es darf einfach nicht sein, dass ihre im Grunde geliebte Jenufa nicht heiraten kann, weil sie solch ein Kind behalten möchte. Sängerisch wie darstellerisch eine sehr gut aufgelegte Sharon Markovich. Sie kann den Mord bis zum Schluss vertuschen, erst dann kommt alles ans Tageslicht und der Aufruhr ist groß.
Steva, der Kindsvater, von John Charles Pierce überzeugend gespielt, ist der Lebemann, der sich einfach nicht binden möchte oder kann. Was zu unseren Zeiten (leider) fast normal geworden ist, war sicherlich auch in den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts, wo Regisseur Aron Stiehl das Stück ansiedelt, gesellschaftlich nicht akzeptabel.
Laca, Stevas Halbbruder, steht immer etwas in dessen Schatten und ist im Grunde eine sehr viel grüblerische und zerbrechlichere Persönlichkeit als der Trunkenbold Steva. Luca Martin wird dieser Rolle mehr als gerecht und so ist der Kampf der beiden Brüder um Jenufa spannend mitzuverfolgen.
Steva (John Charles Pierce) liebt „seine“ Jenufa (Karine Babajanyan)
Einfach brillant, mit einer phantastischen Stimme, Karine Babajanyan in der Hauptrolle.
Sie pendelt immer zwischen der realen Welt und ihrer Traumwelt, in die sie sich in Angst- und Notsituationen zurückzieht. Sie kann dem Zuschauer eigentlich nur leid tun: Ihr Kind wird von der eigenen Stiefmutter getötet und die Gesellschaft verachtet sie als Mutter eines unehelichen Kindes. Aber auch sie kann sich nicht zwischen Steva und Laca entscheiden und ist eine schillernde Persönlichkeit.
Das Mitfühlen mit den handelnden Personen wird umso spannender, als dass die Figuren nicht schwarz-weiß gemalt werden, sondern die Vielschichtigkeit ihrer Charaktere zum Ausdruck kommt. Dies wird in der Inszenierung auch sehr genau herausgearbeitet.
Unterstrichen wird der Gefühlszustand der Personen durch das sehr intelligente Bühnenbild von Karen Fries und die geschickte Regieführung Aron Stiehls.
Man blickt die ganze Aufführung auf eine kärglich ausgestattete Küche, wo gearbeitet, geredet, gestritten und diskutiert wird.
Beängstigende, aber sehr realistische Momente sind es, wenn sich die Beklemmung der Figuren auch durch das sich zusammenziehende Bühnenbild ausgedrückt wird.
Aber keine Angst, im Augenblick voller Freude weitet sich alles und der Blick geht auf in die Ferne, in die Zukunft.
Ausgezeichnet besetzt sind neben den Hauptrollen auch die kleineren Partien. Es zeigt sich einmal mehr, dass das Theater Bielefeld wahrlich keine kleine unbedeutende Provinzbühne ist, sondern vielmehr ein Sprungbrett für große Gesangstalente.
Ensemble: Verheißungsvolle Zukunft oder alles nur Utopie ?
Das heimische Orchester unter der Leitung seines Chefs Peter Kuhn war sehr konzentriert bei der Sache und spielte mit viel Engagement. Etwas heikel an manchen Stellen die sehr dichte Partitur, die die Gefahr birgt, die Sänger zu sehr zu fordern. Aber auch dies wurde durch Peter Kuhn geschickt und überzeugend gelöst.
Der Chor ist mit Lust bei der Sache, viel Applaus vom Publikum für alle Beteiligten und von den Sängern an Souffleuse Susanne Plänitz, die sicherlich keinen leichten Abend hatte.
Bleibt alles in allem nur zu hoffen, dass sich herumspricht, welch großartige Arbeit mit dieser Inszenierung geleistet wurde. Dieses Team hat ein volles Haus verdient.
FAZIT
Mit dieser Neuinszenierung der Jenufa beschert das gesamte Theater-Ensemble dem Publikum einen spannenden, abwechslungsreichen und unterhaltsamen Abend. Inszenierung und Darsteller sind unbedingt eine Reise wert !
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