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Musiktheater
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Iris

Melodramma in drei Akten
Libretto von Luigi Illica
Musik von Pietro Mascagni

in italienischer Sprache

Aufführungsdauer: ca. 2h 50' (eine Pause)

Konzertante Aufführung im Concertgebouw Amsterdam
am 18. Januar 2003




Concertgebouw Amsterdam
(Homepage)
Koninginnedag

Von Thomas Tillmann


Nein, nein, natürlich hat man in den Niederlanden den Koninginnedag nicht vom 30. April in den Januar vorverlegt, aber bereits vor Jahren hat das Amsterdamer Publikum Nelly Miricioiù den Titel "Königin der VARA-Matineen" verliehen, und diesem Ruf wurde die Sopranistin auch an diesem kühlen Januarnachmittag wieder einmal gerecht: Zweifellos ist sie eine der wenigen wirklich großen vokalen Persönlichkeiten der Opernbühne unserer Zeit, was man auf dem Konzertpodium, also ohne theatrale Umgebung, vielleicht noch deutlicher erleben kann als bei einem ihrer gleichwohl beeindruckenden Bühnenauftritte. Damit steht sie in der großen Tradition etwa einer Magda Olivero, die die Titelpartie in Mascagnis Iris am selben Ort vor 40 Jahren anlässlich des hundersten Geburtstages des Komponisten gab (das beeindruckende Dokument der konzertanten Aufführung ist neben der im Januar 1996 in Rom mitgeschnittenen Produktion mit Daniela Dessi, José Cura, Roberto Servile und Nicolai Ghiaurov, die Gianluigi Gelmetti dirigierte, nach wie vor im Handel, während Magda Oliveros erste, 1956 in Turin entstandene Aufnahme des Werkes, Clara Petrellas im selben Jahr aufgenommene Interpretation aus Rom - mit keinen geringeren Partnern als Giuseppe de Stefano und Boris Christoff und Gianandrea Gavazzeni am Pult -, die 1960 ebenfalls mit der letztgenannten entstandene Einspielung unter Gabriele Santini sowie die 1988 in München produzierte mit Ilona Tokody, Plácido Domingo und Juan Pons sowie Lamberto Gardelli am Pult zur Zeit in den Katalogen fehlen), wobei für die in England lebende Rumänin der weitgehende Verzicht auf eben die außermusikalischen Mittel spricht, derer sich die große Italienerin so gern und exzessiv bediente (pace, liebe Fans).

Einmal mehr bewunderte man bei dieser dritten Veranstaltung der Opernserie der bereits in der 42. Saison veranstalteten Matinee op de vrije zaterdag den großen musikalischen Ernst der Miricioiù, der eben nicht nur ihren Interpretationen der großen Belcantoheroinen zugute kommt (im Herbst diesen Jahres wird sie endlich auch ihre Imogene in Bellinis Il Pirata in Amsterdam vorstellen), sondern allen Partien ihres riesigen Repertoires, die Raffinesse und Intelligenz ihres Singens, den nicht enden wollenden Farbenreichtum selbst in den verschiedenen Abstufungen des Piano und in der mezza voce, ihr vollendetes, nie eitel eingesetztes fil di voce, ihr Wissen um einen sinnstiftenden, kontrollierten Einsatz des Portamento, aber auch die Energie in der furchtlosen Attacke (am beeindruckendsten vielleicht in der Arie "Un dì, ero piccina", die das Publikum mit lauten Brava-Rufen und langem Beifall zum Showstopper werden ließ), das Wissen auch um die natürlichen Grenzen der dank einer hervorragenden Projektion auch die ausladendsten Orchestereruptionen durchdringenden Stimme, die hohe Identifikation mit der anvertrauten Rolle, die in der Uraufführung übrigens die ebenfalls aus Rumänien stammende Hariclea Darclée verkörperte, die zwei Jahre später auch die erste Tosca sang (also eine Rolle, die im Zentrum der internationalen Aktivitäten auch der Jüngeren steht), die angedeutete, aber nicht übertrieben ausgespielte oder aufgesetzt wirkende Mädchenhaftigkeit, das Ringen um feinste Nuancen des heutzutage von so vielen vernachlässigten Texts (das auf einer japanischen Erzählung basierende Libretto von Luigi Illica, der auch zusammen mit Giuseppe Giacosa den Text für Puccinis Madama Butterfly verfasste, findet sich ebenso wie viel anderes Lesenswertes über Werk und Leben Mascagnis unter www.mascagni.org/works/iris/libretto).

Eine Entdeckung ist zweifellos Nicola Rossi Giordano, der erst im Februar 2001 in Kairo sein Operndebüt als Radamès gab, den er inzwischen auch in Mailand und anderen italienischen Städten gesungen hat. Als Pollione war er in Salerno und Turin erfolgreich, im Mai 2002 sang er in Triest den Pinkerton, das Teatro Real in Madrid hat ihn als Cavaradossi und Gabriele Adorno in Simon Boccanegra verpflichtet, und in der letztgenannten Partie wird er auch in London debütieren, während seine erste Rolle im amerikanischen Dallas Rodolfo in Verdis Luisa Miller sein wird. 2005 schließlich wird man den jungen, attraktiven Sänger auch wieder in Amsterdam erleben können, wenn er an der Nederlandse Opera an der Seite der Miricioiù, für die die Neuproduktion der Bellini-Oper auf den Spielplan gesetzt wurde, Pollione sein wird. Man freute sich über den in allen Lagen souverän ansprechenden, geschmeidigen, legatostarken, ausgesprochen schön und ebenmäßig timbrierten Tenor, der natürlich besonders in der berühmten Serenata hervorragend zur Geltung kam (die er mit perfektem Morendo beenden konnte), dem sein Besitzer aber noch nicht die Nuancen zu entlocken versteht, die bei aller Schönheit des Tons nötig wären, um den an wirklicher Interpretation interessierten Zuhörer nicht schnell zu langweilen. Mit einiger Besorgnis nahm man auch zur Kenntnis, dass der Italiener im Passaggio und in der Vollhöhe ein Volumen vortäuscht, das seine Stimme noch nicht hat, und auch die beschriebene Rollenauswahl stimmt bedenklich - es gibt zu viele prominente Beispiele für die katastrophalen Folgen eines solchen Raubbaus.

Paolo Gavanelli, der in der Matinee bereits im Jahre 2000 neben der Miricioiù in Francesca da Rimini zu hören war, überzeugte wie die Diva mit einer breiten Palette von Ausdrucksvaleurs und dem vorbildlichen Auskosten der gesamten dynamischen Bandbreite, was nicht selbstverständlich in einem Fach ist, in dem gerne gebrüllt und pseudoexpressiv deklamiert wird, statt eine aus dem Musikalischen und dem Text entwickelte Charakterisierung der Figur anzustreben, wie der Italiener es so vorbildlich verstand. Große Momente hatte Veteran Nicolai Ghiaurov auch 47 Jahre nach seinem Debüt in Sofia als blinder Vater der Titelheldin, wobei der Jubel der Zuhörer, von denen sich einige vielleicht noch an seinen Mosè erinnerten, den er im März 1973 im Concertgebouw interpretiert hatte, wohl auch Dank für das Lebenswerk des großen Bassisten war. Einen glänzenden Eindruck hinterließen aber auch die aus Estland stammende Aile Asszonyi mit ihrem erstaunlich dunklen lyrischen Sopran von sehr persönlicher Farbe als Dhia und in den kleinen Partien der Rumäne Ioan Micu, der eben keine krächzende Comprimariostimme besitzt, sondern einen klangvollen lyrischen Tenor, der sicher auch in größeren Rollen Eindruck machen würde. Eine wirklich beglückende Leistung ist auch dem wie aus einer Kehle singenden, exzellenten Omroepkoor zu bescheinigen, der natürlich besonders in dem effektvollen Sonnenhymnus zu Beginn und am Anfang auftrumpfen konnte - einen solch superben Chor habe ich live kaum je gehört!

Etwas mehr Prägnanz, deutlicher herausgearbeitete Strukturen und Übergänge sowie mehr rhythmische Schärfe und Drive bei den dramatischen Höhepunkten der reizvollen Partitur hätte dem ansonsten freilich tadellosen Spiel des Radio Symfonie Orkest nicht schlecht angestanden, wofür Jean-Yves Ossonce, Chefdirigent der Oper und des Sinfonieorchester von Tours, vielleicht noch die Autorität und Erfahrung fehlt, die man auch für eine einfühlsamere Sängerbegleitung braucht. Die Frage, ob man das am 22. November 1898 im römischen Teatro Costanzi uraufgeführte Werk heute noch szenisch aufführen könnte, wurde während und nach dem Konzert von den Connaisseurs kontrovers diskutiert; einen Versuch wäre es allemal wert, zumal man sich ja auch bei manch anderem Opus an eigenwillige Libretti gewöhnt hat und mancher sich das allerorts aufgeführte Erstlingswerk des Komponisten leid gesehen hat, der knapp fünfzig Jahre mehr oder minder vergeblich versucht hat, an den Erfolg eben dieser Cavalleria rusticana anzuknüpfen (Mascagni schrieb insgesamt fünfzehn Opern, eine Operette, einige Orchester- und Vokalwerke, Lieder und Klaviermusik, machte auch eine bedeutende Karriere als Dirigent, stand aber immer im Schatten Giacomo Puccinis und machte sich durch seine Nähe zu Mussolini natürlich auch nicht nur Freunde). Zu Unrecht gilt der Schüler des gleichfalls auf eine Oper reduzierten Ponchielli ausschließlich als Exponent des Verismo; gerade Iris beweist, dass Mascagni auch ein hervorragender Vertreter des Impressionismus war (Debussy etwa ist da nicht so fern), der hier keinesfalls plakativ das Postkarten-Japan der späteren Madama Butterfly heraufbeschwört. Auch die drei Gegenspieler der Hauptfigur dürften bei genauerem Hinsehen spätestens in dem bemerkenswert-merkwürdigen dritten Akt eher symbolisch als realistisch zu verstehen sein, während die Theater-auf-dem-Theater-Szene mit den Marionetten und die folgende Tanzszene mit den "Personen" Schönheit, Tod und Vampir die expressionistischen Anteile dieses typischen fin-de-siècle-Werkes repräsentieren.


FAZIT

Wenn das musikalische Niveau einer Aufführung so hoch ist wie bei dieser Matinee im Concertgebouw und wenn man sich klar macht, dass die Konzerte der Opernserie bereits mehr als ein Jahr vor dem jeweiligen Ereignis nahezu ausverkauft sind, dann nimmt man wohl oder übel in Kauf, dass man auch als Berichterstatter für seine Karte zur Kasse gebeten wird ...


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Programm

Musikalische Leitung
Jean-Yves Ossonce

Choreinstudierung
Martin Wright



Groot Omroepkoor

Radio Symfonie Orkest


Solisten

Il Cieco
Nicolai Ghiaurov, Bass

Iris
Nelly Miricioiù, Sopran

Osaka
Nicola Rossi Giordano,
Tenor

Kyoto
Paolo Gavanelli, Bariton

Eine Geisha (Dhia)
Aile Assonyi, Sopran

Ein Hausierer/
Ein Lumpenhändler
Ioan Micu, Tenor



Weitere Informationen
erhalten Sie von der
Matinee op de vrije zaterdag



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