Veranstaltungen & Kritiken Musiktheater |
|
|
Strenge Bilder von Liebe und Tod
Von Stefan Schmöe
/
Fotos von Michael Hörnschemeyer Im Jahr 1590 ließ der Graf Carlo Gesualdo durch seine Lakaien seine Frau und deren Liebhaber aus Eifersucht ermorden. Auf Grund seines adeligen Standes blieb er straffrei und machte sich einen Namen als (ziemlich eigenwilliger) Komponist. Kurzum: Gesualdos Leben liefert einen Plot par excellence für eine schaurig-schöne Künstleroper. Im 17. Jahrhundert fand das Schicksal des Fürsten regen literarischen Niederschlag, unter anderem in Giacinto Cicogninis Drama Il tradimento per l'onore von 1664, auf dem der Operntext von Salvatore Sciarrino basiert. Losgelöst von Raum und Zeit: Graf und Gräfin
Das romantische Element der an sich nicht eben besonders originellen Konstellation aus Liebe, Eifersucht und Tod blendet Sciarrino allerdings völlig aus. Er skelettiert das Handlungsgerüst geradezu und verzichtet völlig auf Arien und große, opernhafte Momente. Seine Textfassung besteht durchgehend aus Dialogen, in denen die Akteure um Worte und deren Bedeutung ringen, Bedeutungen permanent verschieben und neu deuten. Dies schlägt sich unmittelbar in der Musik nieder, der jeder romantische Affekt fehlt und die in großen Linien nur ganz langsame Entwicklungen nachzeichnet. Der Orchestersatz, ohnehin für Kammerbesetzung gesetzt, ist radikal ausgedünnt; Atemgeräusche der Bläser und die extrem hohen Lagen der Solo-Violine prägen das zerrissene Klangbild, das von den sehr kantablen Gesangslinien dominiert wird. Die Musik ist nie illustrativ oder kommentierend, sondern in enger Verzahnung mit dem Text konstituiert sie ein Suchen nach dem Kern des Dramas. Machtstrukturen: Graf und Gräfin
Diese beinahe asketische, dabei aber außerordentlich fesselnde Konzeption greifen Birgit Angele und Klaus-Peter Kehr in ihrer Inszenierung für die Wuppertaler Bühnen konsequent auf, indem sie auf jeglichen Realismus und auch Aktionismus verzichten. In der in ihrer Klarheit großartigen Ausstattung von Birgit Angerer scheint eine rechteckige matt-weiße Spielfläche im schwarzen Raum zu schweben, losgelöst von jeglichem Kontext. Für diesen Effekt wird sogar das Parkett des Wuppertaler Opernhauses für Besucher gesperrt: Den idealen Standpunkt hat man nur vom Rang aus. Unter Verzicht auf jedes Requisit haben treten Graf und Gräfin, Diener und Liebhaber in stilisierten Renaissance-Kostümen auf (dies korrespondiert mit der Verwendung eines Madrigals von Claude Le Jeune aus dem Jahr 1608 und Modellen der Renaissancemusik als Ausgangsmaterial der Komposition). Mimik und Gestik der Personen sind auf ein sehr durchdacht organisiertes Minimum beschränkt. Dadurch ist die Inszenierung ebenso auf elementare Prozesse reduziert wie die Musik. Erfüllte und unerfüllte Liebe: Gräfin und Besucher, der Diener steht abseits
Die Sänger stellen sich nicht nur szenisch, sondern auch musikalisch ganz in den Dienst des Werkes. Obwohl Sciarrinos Komposition durch die fast vollständig durchgehaltene Beschränkung auf Piano-Werte recht sängerfreundlich ist, verzichten die Gesangssolisten auf jede Selbstdarstellung und ordnen sich ganz dem Gesamtkonzept unter. Dabei sind alle vier Rollen ausgezeichnet besetzt: Friederike Meinel und Kay Stiefermann als Gräfin und Graf, Gerson Sales als rätselhafter Besucher (in den sich die Gräfin verliebt) und Gregor Finke (als seinerseits in die Gräfin verliebter Diener, der die verbotene Liebesbeziehung enthüllt) harmonieren auch ausgezeichnet miteinander. Überzeugend präsentiert sich auch das Wuppertaler Sinfonieorchester, und Dirigent Martin Braun hält souverän die Fäden in der Hand. Todesfackel: Der Graf tötet die Gräfin
Im Ergebnis entsteht eine sehr konzentrierte, jede Effekthascherei vermeidende Aufführung von hoher Qualität, die unterstreicht, dass Sciarrino (dessen Infinito Nero gerade erfolgreich in Saarbrücken gespielt wird) zu den ganz wichtigen Komponisten der letzten Jahre gehört. Das Stück macht es dem Publikum sicher nicht einfach. Es spricht für die Wuppertaler Bühnen, dass sie den Mut haben, dies mit einer strengen und zurückhaltenden Inszenierung noch zu unterstreichen und nicht durch eine opulente Bebilderung aufweichen. So fügen sich Text, Musik und Szene mustergültig zu einem gleichermaßen schwierigen und faszinierenden Kunstwerk von hohem Rang zusammen.
Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne und Kostüme
Dramaturgie
Künstlerische Mitarbeit
Licht
SolistenIl MalaspinaKay Stiefermann
La Malaspina
L'Ospite
Servo
|
© 2002 - Online Musik Magazin
http://www.omm.de
E-Mail: oper@omm.de