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Musiktheater
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Norma

Lyrische Tragödie in zwei Akten
Musik von Vincenzo Bellini
Dichtung von Felice Romani
Nach Alexandre Soumets gleichnamiger Verstragödie


In italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln


Premiere: 29. Juni 2002
Besuchte Vorstellung: 5. Juli 2002

Homepage Staatstheater Stuttgart

(Homepage)


Starke Diva!


Von Christoph Wurzel / Fotos von Thomas A. Schaefer


Die amerikanische Sopranistin Catherine Naglestad besitzt alles, was zur Gestaltung der Rolle in Bellinis romantischer Oper notwendig ist: ein beeindruckendes darstellerisches Talent, dazu eine schöne und extrem ausdrucksfähige Stimme. Man muss gar nicht eine berühmte Vorgängerin bemühen, um festzustellen, dass auch diese Sängerin der Norma ein Format verleiht, das sie zu einer unvergesslichen Tragödin der Opernbühne macht. Und weil Catherine Naglestad in Stuttgart und anderswo bereits mit großen Rollen reüssierte, wartete das Publikum natürlich gespannt auf ihren Auftritt im 1. Akt, bei dem sie alle Register ihrer musikdramatischen Kunst ziehen sollte. In der Szene und dem Gebet "Casta diva" kommen dann auch alle Facetten ihres Rollenspektrums zur Entfaltung: sie ist die energische, gebieterische Priesterin mit hoher Autorität und zugleich die um Schutz und um ihren und den Frieden des Volkes bittende Frau. Der innere Konflikt, in dem Norma steht, die als Priesterin zur Keuschheit verpflichtet, den feindlichen Besatzer aber liebt, könnte nicht bewegender und dramatischer auf der Bühne erscheinen als in Catherine Naglestads hingebungsvollem Rollenportrait. Dazu kommt ihr makelloses Belcanto, ihre geschliffenen Koloraturen, das fast aus dem Nichts strömende Piano und die trotzig-kraftvolle Emphase ihres Parlandos. Erneut hat sie sich mit der Norma in Stuttgart, an "ihrem" Haus, einen neuen überwältigenden Erfolg erspielt und ersungen.

Szenenfoto

Janet Jacques, Sonora Vaice, Catherine Naglestad.

Doch das ist noch nicht alles, was diese Produktion so sensationell erscheinen lässt - es ist ebenso das schlüssige und in seiner nahezu naturalistischen Genauigkeit überwältigende Regiekonzept, das diese Norma sehenswert macht. Jossi Wieler und sein Tandempartner in mittlerweile sieben Opern-Produktionen Sergio Morabito haben die Handlung von Romanis Opernlibretto ernst genommen und dessen Handlung schlüssig und spannend erzählt. Es ist eine Geschichte von mehrfacher Tragik: Da ist zuerst ein besetztes Land (unverkennbar Frankreich zur Zeit der deutschen Okkupation), ein zwischen Einschüchterung und Aufruhr schwankendes Volk, der in der Arroganz seiner Macht strotzende Besatzungsoffizier, der kalt und zynisch zugleich die Frauen verführt und betrügt, ohne dass ihm seine schmähliche Schuld bewusst wird - und dann die Gestalt der in ihrer Liebe ebenso starken wie verletzbaren, reinen wie von Rache erfüllten, um ihre Kinder besorgten wie zur Sühne ihrer Schuld bereiten Norma. Die Titelfigur wird in dieser Inszenierung zur doppelten Außenseiterin, die aber gleichwohl ihre Identität bewahrt: Sie ist die Einzige, die gegen den martialischen Kult der Männer das Gebot des Friedens zu behaupten sucht und in ihrer Funktion als Priesterin dennoch ihren Anspruch auf Liebe und nicht zuletzt auf eigene Kinder realisiert. Doch diese starke Frau scheitert an den sie umgebenden Verhältnissen, sie muss scheitern - und diese Tragik ist es, die diese Inszenierung so packend macht.

Die Mittel, mit denen Wieler und Morabito die Handlung auf die Bühne stellen und wozu Anna Viebrock einen einheitlichen, aber vielfältig nutzbaren Raum geschaffen hat, sind überzeugend in ihrer Präzision und wirkungsvoll in ihrer Eindeutigkeit. Alles spielt sich in einer kirchenähnlichen, ziemlich schäbigen Halle ab, deren Seitenflügel auch den bescheidenen Wohnbereich Normas beherbergt. Durch ein niedriges Gitter ist der Raum des Volks vom heiligen Bezirk getrennt. In diesem Vorraum befindet sich in einem Versteck im Boden ein geheimes Waffenlager, das zum kriegerischen Finale der Handlung ausgehoben wird.

Szenenfoto Statisten, Catherine Naglestad, Johan Weigel, Sonora Vaice.

Das Familienleben Normas und ihrer Kinder, das ja unter den Bedingungen der Geheimhaltung zu leiden hat, ist bescheiden genug auf eine kleine, einfach eingerichtete Fläche beschränkt. Umso stärker wächst die Empathie mit dem Schicksal Normas und ihrer Kinder, als erschütternd am Ende des 1. Aktes angesichts von Polliones Verrat ihr mühsam erhaltenes Glück zusammenbricht. In unverkennbarer Anspielung auf den Katholizismus (Norma trägt bei ihren kultischen Handlungen das Pallium, das Gewand des Priesters ) emanzipiert sich Norma als weibliche Priesterin von Ansprüchen patriarchalischer Herrschaft. Im hervorragend geführten Chor wird dagegen auch deutlich Widerspruch erkennbar.
Das einzige wenig überzeugende Detail ist eine fahrbare Totenbahre, auf der offenbar ein Leichnam das Objekt der Verehrung im Druidenkult darstellt. Kritik an einer Religion, die Heiligkeit und Erlösung über den Tod realisiert?

In nuancierter und subtil ausgefeilter Personenregie wird die Handlung gestaltet. Besonders in den Duetten ( Norma / Adalgisa im 1. Akt, in dem Norma ihre eigene Liebesgeschichte in der Erzählung Adalgisa schmerzlich gespiegelt sieht und Norma / Pollione im 2. Akt, in dem Norma über die Schäbigkeit des kleinen Besatzungsoffiziers moralisch hinauswächst) gewinnt diese Opernaufführung eine sogar im Schauspiel selten gesehene atmosphärische Dichte.

Neben einer so großen Rollengestaltung wie der Catherine Naglestads haben es natürlich die anderen Sängerinnen und Sänger schwer zu bestehen. Johan Weigel, der junge schwedische Tenor schlägt sich beachtlich. Er soll und kann aber eine starke Persönlichkeit nicht glaubhaft machen. Eher ist er eine Mischung von unbeherrschtem Draufgänger und weinerlichem Schwächling und fast ist es etwas unglaubwürdig, dass eine so starke Frau wie Norma diesen Mann lieben könnte. Seine recht leichte Stimme korrespondiert mit dieser Rollenanlage.
Sonora Vaice stellt eine zwischen Naivität und Größe schwankende Adalgisa dar. Ihr Sopran entbehrt nicht der Schärfe, dennoch wächst sie im Duett mit Norma zur ebenbürtigen Partnerin heran, wenn auch diese Partie mit einer Mezzosopranistin vielleicht angenehmer besetzt wäre. Verlässliche Rollengestaltungen bieten Janet Jacques als Clothilde, der in vielen Rollen bewährte Roland Bracht als Oroveso und Raphael Pauß als Flavio.
Will Humburg feuert das Orchester deutlich sicht- und hörbar mit energischem Elan zu sehr temperamentvollem Brio an. Doch auch die Lyrismen vor allem in den Präludien der Arien, diese von Bellini unnachahmlich erfundenen langen Melodien, werden nicht vernachlässigt. Als veritable Militärkapelle spielt das Bühnenorchester lärmend und fast zur Unerträglichkeit gesteigert die aggressiven Banda-Passagen. Umso deutlicher hebt sich derart dieser Kriegskult der Druiden von Normas sensibler Anrufung der Mondgöttin ab.


FAZIT
In einer neuen Deutung jenseits des Klischees der Belcanto-Oper wollte Stuttgart diese Norma präsentieren. Das ist überzeugend gelungen.



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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Will Humburg

Inszenierung und Dramaturgie
Jossi Wieler
Sergio Morabito

Bühne, Kostüme
Anna Viebrock

Chor
Michael Alber




Staatsopernchor Stuttgart
Staatsorchester Stuttgart



Solisten

Pollione, römischer Proconsul in Gallien
Johan Weigel

Oroveso, Oberhaupt der Druiden
Roland Bracht

Norma, Druidin und Orovesos Tochter
Catherine Naglestad

Adalgisa, junge Priesterin im Tempel des Irminsul
Sonora Vaice

Clotilde, Normas Vertraute
Janet Jacques

Flavio, Freund Polliones
Raphael Pauß




Weitere Informationen
erhalten Sie vom
Staatstheater Stuttgart
(Homepage)



Da capo al Fine

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