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Musiktheater
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Don Giovanni

Dramma giocosa in zwei Akten
Libretto von Lorenzo da Ponte
Musik von Wolfgang Amadeus Mozart


In italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 3h 30' (eine Pause)

Premiere im Opernhaus Köln am 29. Juni 2002

Logo: Oper Köln

Bühnen der Stadt Köln
(Homepage)

Sexuelle Klimmzüge am Abgrund

Von Stefan Schmöe / Fotos von Klaus Lefebvre


Wohl über keine andere Oper ist so viel geschrieben worden wie über den Don Giovanni, und trotzdem herrscht nicht einmal über den genauen Handlungsablauf Einigkeit: Was in der ersten Szene, während Leporellos Auftrittsarie, zwischen Giovanni und Donna Anna passiert, das hat Mozart verschwiegen und damit Raum für Spekulationen aller Art eröffnet. Verführt oder vergewaltigt? Gewalttäter oder erotisches Wunschbild einer jungen Frau? Es gehört zum Wesen ganz großer Kunstwerke, dass sie ihr Geheimnis nicht vollständig enthüllen, und das macht auch den Don Giovanni in der soundsovielsten Inszenierung spannend.

Vergrößerung Hier sieht man Herrn Giovanni, Atelierbesitzer und zentrale Figur der großstädtischen Schicki-Micki-Kunstszene. Die Uhr zeigt, dass er sich mit letzten Dingen befassen muss.

Hat er (sie vergewaltigt?) oder hat er nicht, diese Frage stellt Regisseur David Alden in seiner vom vergleichsweise aufgeschlossenen und in der Intendanz von Günter Krämer an manche Zumutung gewöhnten Kölner Publikum gnadenlos ausgebuhten Neuinszenierung gar nicht, oder zumindest nicht auf dieser vordergründig handlungsbezogenen Ebene. Donna Anna ist eine Frau, die zwischen ihren sexuellen Wünschen, projiziert auf den großen Verführer, und einem ödipal geprägten Verhältnis zu ihrem Vater zerrissen wird. Der Vater stellt sie vor die Entscheidung zwischen ihm und Giovanni, und als sie dieser Entscheidung ausweicht, schneidet er sich die Pulsadern auf: Ein Duell mit dem Rivalen ist bei Alden gar nicht nötig. Überhaupt ist Giovanni in dieser Inszenierung nicht oder nur indirekt die treibende Kraft des Geschehens; er ist die Projektionsfläche für die (sexuellen) Wünsche der anwesenden Personen, ohne das er allzu oft in das Geschehen eingreifen müsste. Dietrich Henschel, der diese Partie mit überragender musikalischer Intelligenz gestaltet, singt und spielt ihn nicht als ungezügelten Draufgänger, sondern als Schmeichler mit berückend zärtlichen Tönen. Auch in jeder Körperbewegung perfekt scheint er, besonders im (stärkeren) ersten Teil der Inszenierung, über der Szene zu schweben, den anderen beinahe entrückt. Er wird seinen Untergang inszenieren, seinen Selbstmord zum Kunstwerk machen in seinem riesigen Atelier in einem Wolkenkratzer hoch über der Großstadt, dass durchaus gewollt Assoziationen an Andy Warhols legendäre Factory hervorruft. Der Künstler Giovanni ist sein eigenes Kunstwerk, in dem sich alle anderen widerspiegeln.

Vergrößerung Über das Liebesleben des Herrn Giovanni informiert meist Herr Leporello, der hier der Dame Elvira einige Fotos von früheren Bekanntschaften des Herrn Giovanni zur Verfügung stellt.

Alden inszeniert schrill, frech, bunt und poppig eine abgedrehte Partygesellschaft im postmodernen Künstlermilieu. Zerlina ist hier das Model, dass die erotischen Spielregeln kennt und durchaus willkommen akzeptiert (zumal ihr prolliger Gatte Masetto, ein ungepflegter Rocker mit Hang zu Süßigkeiten und Dosenbier, sexuell zunächst ziemlich unmotiviert ist). Sie wird aber in Masettos bierseliges Spießermilieu zurückkehren, sich in der hintersten Kinoreihe schwängern lassen, und im Finale posiert der stolze Vater von Fünflingen mit seinem Nachwuchs zum Fototermin vor dem erhängten Don Giovanni. Alden arbeitet die sozialen Verwerfungslinien, die zunächst aufgehoben scheinen, sehr ironisch heraus. Die Zerlina, von Natalie Karl mit prallen Brüsten im knappen bis knappsten Kostümen außerordentlich präsent gespielt und dabei exzellent und weit jenseits aller Soubretten-Naivität gesungen, wird gegenüber den anderen Frauen deutlich aufgewertet: Als einzige durchschaut sie die Situation und kann angemessen reagieren. Sie entscheidet sich bewusst für Masetto (Andrew Collis) und gegen die smarte Partygesellschaft, und deshalb ist ihr als einziger der Damen ein (wenn auch ironisch gebrochenes) Happy-End beschieden.

Vergrößerung Mit nicht uninteressanten Proportionen findet derzeit im Atelier des Herrn Giovanni das Fotomodell Zerlina, hier nur indirekt zu sehen, höchste Beachtung.

Donna Anna dagegen bleibt in ihrer vornehmen Welt gefangen, in der man Gefühle, noch dazu solche sexueller Art, weitgehend unterdrückt. Noemi Nadelmann verkörpert das perfekt, nicht nur von der attraktiven Erscheinung, sondern auch im musikalischen Ausdruck. Ottavio (Gunnar Gudbjörnsson) ist zunächst ein weitgehend gefühlloser Beamtentyp, aber der Regisseur gönnt ihm eine Entwicklung und wertet ihn dadurch vom Schablonenhaften, was der Figur in fast allen Inszenierungen anhängt, zum Individuum auf: Das macht ihn für Anna letztendlich erträglich, sodass sie bei ihm und dadurch in ihrer Gesellschaftsschicht verbleibt. Die tragische Figur ist die Elvira, von Martina Serafin mit selbstzerstörerischer Intensität gesungen und gespielt. Sie offenbart vorbehaltslos ihre Gefühle, und deshalb endet sie als Ausgestoßene, die nach Giovannis Tod keinen Halt findet.

Vergrößerung Gelegentlich werden im Atelier des Herrn Giovanni auch tolle Partys gefeiert, an denen das Opernpublikum, dass leider nur von Ferne zusehen darf, allerdings keine ungeteilte Freude fand. Man erkennt trotz toller Kostüme Ottavio (links), Giovanni und Zerlina.

Leporello ist so etwas wie Giovannis Manager, ein etwas schmieriger, mafioser Typ. Peter Rose, wuchtig in jeder Hinsicht und dennoch in Stimmführung wie im Spiel äußerst agil, gestaltet die Rolle grandios zwischen Tragik und Slapstick. Aldens Inszenierung scheut auch hier Banalitäten nicht, gleitet oft ins Alberne und auch Triviale ab und bekennt sich zur reinen Lust an der (gelegentlich auch unmotivierten) Provokation, aber an den entscheidenden Stellen zeigt sie auf höchst eindrucksvolle Weise die Zerrissenheit der Personen. Alden hat dafür ein in jeder Rolle herausragend besetztes Ensemble, bei dem von der äußeren Erscheinung bis zur kleinsten Geste alles stimmt, und das dabei noch auf allerhöchstem Niveau singt. Da kann das Orchester nicht mithalten, das unter der Leitung von Graeme Jenkins in der Ouvertüre ziemlich unkonzentriert wirkt, später aber auch starke Szenen hat. In einigen Szenen trifft Jenkins bewundernswert den richtigen Tonfall, an anderen Stellen (etwa in der ersten, recht flott gespielten Zerlina-Arie) wirken die Tempi wenig plausibel.

Vergrößerung Nachdem der Herr Giovanni in einer gelungenen Performance aus dem Leben geschieden ist, treffen sich die Damen und Herren (v.l.) Masetto samt Nachwuchs, Zerlina, Elvira, Ottavio und Anna zum finalen Gruppenfoto.

Die Inszenierung erzählt keine stringente und logisch widerspruchsfreie Geschichte, sondern Alden durchbricht immer wieder ironisch die narrative Struktur. Nicht alles ist schlüssig, manches sicher auch abgegriffen, aber es gelingen eine Reihe von sehr eindrucksvollen Momenten. Immer wieder wird die Fallhöhe der Figuren ganz plastisch deutlich, wenn sich Aktionen auf dem Fenstersims abspielen; und die Verletzbarkeit jeder einzelnen Person des Dramas ist selten so eindrücklich herausgearbeitet worden. Der oft eine Spur zu schrille Tonfall der Inszenierung, der letztendlich weite Teile des Publikums in Rage brachte, verdeckt mitunter die Feinarbeit, die der Regisseur geleistet hat und die vom Kölner Ensemble bewundernswert umgesetzt wird. „Go home, Alden“ rief unentwegt ein besonders erboster Besucher beim Schlussapplaus. Keine Angst, das wird er sicher tun, aber er lässt eine aufregende Inszenierung zurück, über die zu streiten lohnt.


FAZIT

Spannender Pop-Art-Mozart von sängerisch aller erster Güte. Über die Inszenierung kann man sich, wenn es einem zu bunt wird, auf höchstem Niveau ärgern.

Produktionsteam

Musikalische Leitung
Graeme Jenkins

Inszenierung
David Alden

Choreinstudierung
Albert Limbach

Bühne und Kostüme
Gideon Davey

Licht
Simon Mills

Choreographie
Athol Farmer



Opernchor der
Bühnen der Stadt Köln

Gürzenich-Orchester
Kölner Philharmoniker


Solisten

Don Giovanni
Dietrich Henschel

Donna Anna
Noëmi Nadelmann

Don Ottavio
Gunnar Gudbjörnsson

Komtur
Alessandro Guerzoni

Donna Elvira
Martina Serafin

Leporello
Peter Rose

Masetto
Andrew Collis

Zerlina
Natalie Karl


Weitere Informationen
erhalten Sie von den
Bühnen der Stadt Köln
(Homepage)




Da capo al Fine

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