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Die Walküre
1. Tag des Bühnenfestspiels
Der Ring des Nibelungen
von Richard Wagner

Aufführungsdauer: ca. 5 h 20' (zwei Pausen)

Premiere am 16. Dezember 2001


Logo: Oper Köln

Bühnen der Stadt Köln
(Homepage)
Todesstoß aus dem Graben

Von Thomas Tillmann / Fotos von Klaus Lefebvre



Wer eine actionreiche Neuinszenierung der Walküre von Robert Carsen erwartet hatte, der wurde enttäuscht. Der Kanadier verlässt sich nicht selten auf die Wirkung der Bühnenbilder seines Ausstatters Patrick Kinmonth, der das Werk zurecht als ein von der entsetzlichen Realität des Krieges durchzogenes liest (Sieglinde und Hunding fristen, folgerichtig mit Kampfanzügen bekleidet, ihr tristes Dasein in einem ungastlichen Militärcamp, Walhalls Saal wirkt mit seiner protzigen, aber den rechten Sinn für Geschmack vermissen lassenden Einrichtung und den stets gegenwärtigen Wachsoldaten wie ein Offizierscasino, und das Schlachtfeld des dritten Aufzugs spricht ohnehin für sich), und die streckenweise beträchtlichen darstellerischen Fähigkeiten seiner Solisten, die er auf ein sehr natürlich wirkendes Agieren und sparsame, aber prägnante Gesten eingeschworen hat. Dass es dabei zu szenischem Stillstand kommt, mochten viele Zuschauer nicht verzeihen.

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"Winterstürme wichen dem Wonnemond..." - Siegmund (Christopher Ventris) hält Sieglinde (Nina Stemme) die Augen zu. Das Ereignis geschieht im Inneren.

An vielen Stellen überzeugt Carsens gleichsam entmythologisierende Sichtweise jedoch: Der Einbruch des Lenzes etwa passiert hauptsächlich in den Herzen des Wälsungenpaares (auch wenn der ständig bemühte Bühnenschnee nun einhält), Sieglinde sackt fassungslos in sich zusammen, als Siegmund das Schwert aus der längst gefällten Esche löst, anstatt den berüchtigten Schrei zu tun, sie sucht den toten Geliebten unter den gefallenen Helden, als Brünnhilde ihre Schwestern um Beistand in der Not anfleht, während letztere keinen eigenen Felsen bekommt, sondern sich zum langen Schlaf unspektakulär zwischen die noch nicht abtransportierten Krieger legt. Solche Szenen gehen unter die Haut und bringen einem das Geschehen sehr nahe, während es in anderen Momenten ins allzu Banale abzurutschen droht, wenn Fricka beispielsweise nach ihrem Sieg über Wotan nonchalant ihr Make-up überprüft, Wotan als Alberich-Parodie über den Wohnzimmertisch krabbelt oder den Brand des Schlussbildes mit einem Feuerzeug entfacht, das er einem toten Soldaten aus der Manteltasche entwendet hat. Und wer sind diese neun Mädchen in ihren luftigen Sommerkleidchen, die leseabenteuerhungrig mit Büchern auf der Walstatt erscheinen, mit einem Lächeln auf den Lippen Recken für Wotans Privatarmee auf die Feuerleitern schicken und trotz permanenten Schneefalls nicht zu frieren scheinen? Erst als Papa Wotan der ungezogenen Brünnhilde die Leviten liest, schnappt sich diese fröstelnd den Mantel eines leblosen Kriegers. Nein, ein unterschiedliches Kälteempfinden ist wohl doch ein zu schwaches Bild für den Unterschied zwischen Götter- und Menschenwelt, die in diesem Werk aufeinandertreffen: Genau hier versagt das Konzept, zu viele Fragen bleiben offen - da helfen keine klugen Fontane-Zitate oder nicht enden wollende Erörterungen über den allgegenwärtigen Einfluss der düsteren Schopenhauerschen Philosophie auf Wagners Tetralogie im Programmheft. Dennoch empfand ich die heftigen Buhs für das Regieteam als überzogen, man hat Schlimmeres, Unausgegoreneres und Überflüssigeres gesehen an Rhein und Ruhr und anderswo.

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Fricka (Doris Soffel) kehrt die resolute "First Lady" heraus.

Dass es trotzdem ein schaler, verärgernder Premierenabend wurde, hatte andere Gründe: Vor die Aufgabe gestellt, die Leistung des Gürzenich-Orchesters zu beschreiben (das ja nun wirklich Wagner-Erfahrung hat und die Tetralogie in den letzten Jahren konzertant unter Leitung von James Conlon in der Kölner Philharmonie aufgeführt hat!) drängt sich mir unweigerlich das Bild eines trüben stehenden Gewässers auf: Jeffrey Tate wählte derart lahme Tempi, dass der Fluss der Musik nicht selten zum Stillstand zu kommen drohte und die nicht gerade mit Riesenstimmen gesegneten Solisten mitunter beinahe nach jedem Ton atmen mussten (und auch die Kommunikation zwischen Bühne und Graben war nicht die beste) - da nützte es gar nichts, dass er ansonsten eine sehr lyrische Lesart der Partitur favorisierte, die an manchen Stellen freilich arg um ihren Farbenreichtum und ihre Wirkung beraubt klang. Zudem kann ich mich nicht erinnern, von einem professionellen, nicht schlecht bezahlten Orchester derart viele falsche oder klappernde Einsätze und so zahlreiche Spielfehler gehört zu haben, so dass man sich irritiert fragte, ob die im Programmheft aufgeführten Auszubildenden des Berufskollegs Wipperfürth wirklich als Statisten eingesetzt waren und warum sich hier nicht massivere Missfallensbekundungen erhoben.

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Gebildete, höhere Töchter und ihr merkwürdiges Hobby. Brünnhilde (Renate Behle) hat was verbockt und sucht daraufhin die Unterstützung ihrer Schwestern.

Ähnlich skandalös fand ich Alan Titus' im zweiten Aufzug eher markierten als wirklich gesungenen Wotan - nein, das war kein lobenswerter, substanzreicher, gut gestützter Pianogesang in der langen Szene mit Brünnhilde, das war schlichtweg ein durch die pseudodramatische Konsonantenspuckerei kein bisschen aufgewertetes Geflüster, dessen eigentlicher Zweck wohl war, die inzwischen ohnehin nicht sehr belastbare, im Forte kratzige, in der Höhe wie in der Tiefe unzureichende und in der Mittellage maulige, aber wenigstens hier noch legatofähige Stimme für den kräftezehrenden dritten Teil zu schonen, und ein fesselnder Darsteller ist der meistens reichlich willkürlich über die Bühne stolzierende Sänger wahrlich auch nicht. Dagegen fand ich die Buhs, mit denen Renate Behle bedacht wurde, letztlich ungerecht: Niemand weiß besser als die Sopranistin, dass sie keine Hochdramatische ist und dass ihr einiges an Fundament gerade für die tiefer gelegenen Passagen fehlt, aber dafür hörte man die Partie endlich einmal sorgfältig und auf Linie gesungen (sieht man von den verdächtigen Hojotoho-Schreien ab) und musste sich nicht über unmusikalische, einzig auf eine hohe Dezibelstärke getrimmte Kraftmeierei und ein die vom Komponisten vorgesehenen Noten nur erahnen lassendes Vibrato ärgern; dass die Österreicherin eine kluge, unermüdlich alle textlichen Valeurs aufspürende Interpretin ist, die gerade auch durch ihr aktives Zuhören und Eingehen auf die Impulse ihrer Partner der statuarischen Inszenierung einiges an Spannung beizugeben vermag, steht ohnehin außer Frage.

Auch Nina Stemme ist eine unerhört involvierte, mitreißende Darstellerin, die zudem noch über die reicheren vokalen Mittel verfügt, über die kraftvollere, aber nicht künstlich verbreiterte Mittellage und Tiefe, über die attraktivere, mitunter vor Überschwang geradezu vibrierende Höhe, über eine exzellente Textverständlichkeit, ein bestechendes Gespür für Phrasierung und die Fähigkeit, die gesamte dynamische Skala überlegt auszuschöpfen - ihre die Erfahrung auch im italienischen Fach erkennen lassende Sieglinde war das eigentliche Ereignis dieser Neuproduktion. Ebenso bejubelt wurde Christopher Ventris für einen intensiv gespielten Siegmund; seinen vergleichsweise hell timbrierten, leicht ansprechenden Tenor fänd ich für Partien wie Max oder Hans vorerst zwar geeigneter, denn durch das Hochziehen der Bruststimme wird der schwerere Klang nur vorgetäuscht, was bereits zu ersten Schwierigkeiten im Passaggio führt, aber eine ansonsten ansprechende Leistung ist dem Engländer wahrlich nicht abzusprechen (die Portamenti am Ende der nicht eben imposanten Wälse-Rufe dagegen empfand ich als sehr überflüssig, das Vibrato streckenweise als zu ausladend).

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Mit dem Feuerzeug eines toten Soldaten entfacht Wotan (Alan Titus) den "Feuerzauber".

Doris Soffel war eine reife, resolute Fricka; ich persönlich bevorzuge in dieser Partie wohl eine etwas üppigere, weniger drahtige Stimme, deren Register etwas organischer miteinander verbunden sind, aber was die Mezzosopranistin aus dem Text und der mitunter doch recht eindimensional gegebenen Rolle macht, das ist schon große Klasse. Kristinn Sigmundsson hingegen hat durchaus die Mittel für einen guten, schwarzstimmigen Hunding, aber seinem Rollenportrait fehlte es einfach an Präsenz und Tiefgang, was natürlich durch den Umstand begünstigt wurde, dass dem Regieteam wenig zu dieser Figur eingefallen ist - dass er sich permanent am Inhalt einer Schnapsfalsche gütlich tut, ist nicht abendfüllend. Bleiben die ebenfalls sehr leicht besetzten Walküren, bei denen sich wie an jedem Haus Licht und Schatten die Waage hielten.


FAZIT

Auch eine noch so spannende Inszenierung und eine ihren Aufgaben besser gewachsene Besetzung hätten keine Chance gehabt gegen die lähmende Schwere, mit der Wagners geniale, auch durch noch so viele Spielfehler nicht zu entstellende Musik unter Jeffrey Tates unzulänglicher Leitung aus dem Graben des Kölner Opernhauses wabberte!


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Produktionsteam

Eine Produktion von
Robert Carsen
und Patrick Kinmonth

Musikalische Leitung
Jeffrey Tate

Regie
Robert Carsen

Ausstattung
Patrick Kinmonth

Licht
Manfred Voss

Dramaturgie
Ian Burton



Gürzenich-Orchester
Kölner Philharmoniker

Statisterie der
Bühnen der Stadt Köln
sowie Auszubildende des
Berufkollegs Wipperfürth


Solisten

Siegmund
Christopher Ventris

Hunding
Kristinn Sigmundsson

Wotan
Alan Titus

Sieglinde
Nina Stemme

Brünnhilde
Renate Behle

Fricka
Doris Soffel

Gerhilde
Magnea Tómasdóttir

Ortlinde
Machiko Obata

Waltraute
Molly Fillmore

Schwertleite
Katja Boost

Helmwige
Kerstin Blanck

Siegrune
Andrea Andonian

Grimgerde
Regina Richter*

Roßweisse
Ute Döring

* Mitglied des Kölner Opernstudios





Weitere Informationen
erhalten Sie von den
Bühnen der Stadt Köln
(Homepage)



Da capo al Fine

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