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Europeras 1-5
"... a circus of independent elements"
in italienischer, französischer, spanischer,
tschechischer, russischer, deutscher und englischer Sprache
von John Cage

in einer Realisation von Johannes Harneit,
Nigel Lowery, Stefan Schreiber und Xavier Zuber

Premiere in der Staatsoper Hannover
am 14. Oktober 2001
Rezensierte Vorstellung am 20. Oktober 2001



Entstellte Cage-Opern

Von Sebastian Hanusa



Die Aufmerksamkeit des deutschen Kulturbetriebs war auf die Staatsoper Hannover und ihren neuen Intendanten Albrecht Puhlmann gerichtet, schließlich stand die erstmalige Aufführung aller fünf Teile von Cages Zyklus Europeras an einem Abend an. Nachdem zwar das szenische Element im Werk von John Cages immer wieder von Bedeutung gewesen war, begann er erst 1985 mit der Arbeit an einem expliziten Werk für das Musiktheater, damals als im Namen der Frankfurter Oper von Heinz-Klaus Metzger und Reiner Riehn ausgesprochener Kompositionsauftrag. Doch ist festzuhalten, dass die 1986 uraufgeführten Europeras 1 und 2 wohl zu dem bedeutendsten Werken zählen, die im 20. Jahrhundert in dieser Gattung komponiert wurden. Mit Cages ästhetischer Position hat eine der wichtigsten Position des vergangenen Jahrhunderts Eingang in das Opernrepertoire gefunden und zugleich bilden die Europeras - die Teile 3 bis 5 entstanden in den Jahren bis zum Tod des Komponisten im Jahre 1991 - eine Summe cagianischen Denkens und Arbeiten in Auseinandersetzung mit der aufwändigsten und intermedial reichsten Gattung der musikalischen Tradition.

Inwieweit es sich bei Europeras um eine Negation der Oper ausschließlich unter Verwendung des negierten Materials handelt - keine der erklingenden Noten ist von Cage im ursprünglichen Sinne komponiert worden - was der hegelschen Definition folgend mit dem Ende der Oper gleichbedeutend wäre, oder doch eine Synthese aus der Negation und somit ein Fortleben der Oper möglich erscheint, wäre Gegenstand für eine weiterreichende Diskussion. Festzuhalten bleibt vorerst die vollkommen andersartige Behandlung der musiktheatralischen Mittel, auch die neue Rolle, die Cage der Regie zuerkennt. In den Europeras 1 und 2 sind sämtliche Darstellungsebenen der Oper im Kompositionsprozess streng voneinander getrennt. Das Orchestermaterial, Licht, Kostüme, Gestik, Bühnenbild und die von den Sängern vorzutragenden Arien-Teile sind separat mittels computergestützter Zufallsoperationen organisiert und erst hiernach simultan montiert. Somit vermeidet Cage in seinem Kompositionsprozess jegliche Semantisierung und erst in der inhaltlich nicht vom Komponisten beeinflussbaren Kombination der einzelnen Ebenen entstehen zufällige und unkalkulierbare semantische Bezüge. Die Bedeutungshaftigkeit des verwendeten Materials wird somit offengelegt, die zufällige Kombination erzeugt eine völlig neue Art von Syntax, und neuartige Bedeutungsmöglichkeiten des verwendeten Materials werden erschlossen. Letzteres geschieht jedoch ohne den beabsichtigenden Eingriff eines komponierenden Subjekts, lediglich in einer durch den Zufall bestimmten Disposition.

Die Auswahl des verwendeten Materials ist von Offenheit geprägt. Während für das Orchestermaterial Cage auf alle nicht mehr urheberrechtlich geschützten Partituren in der Bibliothek der Metropolitan Opera zurückgriff und auch bei der Auswahl und Kombination Zufallsprinzipien anwandte, ist die Auswahl der Arien-Teile den Sängern und ihren Fähigkeiten und Vorlieben überlassen. Ähnliches ließe sich auch zu den anderen Parametern sagen. Die Aufgabe des Regisseurs ist im wesentlichen die eines Proben- und Bewegungskoordinators, hinzu kommen einige Entscheidungen bei der Auswahl z.B. der Bühnenbilder. Konzeptionell ähnlich, wird in den Teilen 3 - 5 der Europeras eine weitere Reduktion der verwendeten Materialien bis hin zu einem schattenhaften Verstummen im fünften Teil vollzogen.

Leider fand sich in der hannoveraner Produktion nicht mehr viel vom beschriebenen Stück wieder. Es begann damit, dass Regisseur Nigel Lowery die Eigenständigkeit der unabhängig organisierten Ebene Beleuchtung und Bühnenbild vollständig gestrichen hat. Während sich das Licht ganz im tradierten Sinne auf eine Ausleuchtung des Bühnengeschehens beschränkt und somit gerade in dem Sinne verwendet wird, in dem Cage es explizit nicht verwenden wollte, geht es beim Bühnenbild noch weiter, indem hier mehrere Räume für vom Regisseur erzählte Geschichten geschaffen werden, die Dekoration geradezu als Dienerin einer fremden semantischen Struktur auftritt. Man sieht unter anderem eine angedeutete Bahnhofshalle, eine Arztpraxis und eine Eisdiele. Ganz bewusst wird die Kulisse für von den Sängern zu spielende Szenen geschaffen. Nachdem die ganze Struktur der Oper eine Idee von Entsemantisierung verfolgt, nutzt Lowery die Offenheit des Stückes, um irgendwelche Geschichtchen zu erzählen. Er geht hierin soweit, dass er bei der Inszenierung der Sänger Typen erfindet, zudem das Personal durch weiß bekittelte Ärzte, vereinsamte Individuen und zwei obskure, Eis verkaufende Krankenschwestern aufbläst, die die eigentlichen Handlungsträger der dargebotenen Szenen sind.

Dies ist um so ärgerlicher, als das Dargebotene eine Art dümmlichen Slapsticks im Ambiente des gerade aktuellen Bahn-Designs ist. Mit enervierenden Witzen wird um die Gunst des befremdet bis aufgebrachten Publikums gebuhlt. Währenddessen sind die Sänger, die bei Cage eine zentrale Rolle spielen, vollkommen in den Hintergrund gedrängt. Bei Cage sind gerade die Sänger der Brennpunkt der gesamten Konzeption. An den Personen der Sänger findet eine gleichzeitige Überlagerung mehrerer unabhängiger Schichten statt, indem sie Kostüme tragen, die unabhängig vom gestischen Spiel organisiert sind, während beide Ebenen sich wiederum unabhängig von den gesungenen Arien-Teilen verhalten. Dies führt zu nicht kalkulierbaren Kombinationen, rückt aber ebenso den Sänger als Person, Projektionsfläche und Kreuzungspunkt verschiedener Bedeutungsebenen in der Oper hervor, während die Fiktion einer Rolle negiert wird. Regisseur Lowery fällt streckenweise nichts anderes ein, als die Sänger hinter die Bühne zu verbannen, während er auf der Szenerie seine billigen Gags abspult. Auch in den Passagen, in denen die Sänger in das alberne Geturne mit einbezogen sind, ist von der konzeptionellen Gestalt nichts zu erkennen. Dies ist um so trauriger, als die Sänger mit einem enormen spielerischem Engagement und mit erstklassiger sängerischer Leistungen glänzen.

Zugunsten Lowerys könnte man anführen, er habe seine interpretatorische Freiheit genutzt. Nur wie ein derartiges Argument auf ein Stück anwenden, welches explizit den traditionellen Begriff der Interpretation, jeglicher interpretierender Gestaltung auch auf Ebene der Komposition qua Konzeption verneint? Hinzu kommt, dass auch eine mögliche Interpretation Lowerys auf aller unterstem Niveau anzusiedeln wäre. Die einzige erkennbare Idee ist der Versuch, mit den überlebten Mitteln platter Publikumsprovokation und einem einfältigen Comedy-Humor eine narzistische Selbstbespiegelung auf Kosten der gerechtfertigten Verärgerung des Abonnenten-Publikums zu produzieren. Cages Europeras dienen augenscheinlich nur als Projektionsfläche oder dürfen Tapete liefern, wie auch das bezeichnenderweise in einen akustisch äußerst ungünstigen Kasten auf der Hinterbühne verbannte Orchester. Es ergibt sich dabei die höchst ungünstige Situation, dass größere Teile des Publikums die verheerende Regie-Leistung nicht von der weitestgehend unbekannten Komposition Cages abstrahieren können, der berechtigte Unmut nicht wie im Fall eines allseits bekannten Repertoire-Stücks auf das Produktionsteam bezogen wird, sondern auf das vermeintliche gesehene Stück und seinen Komponisten bezogen wird.


FAZIT
Angesichts der Bedeutung des Werkes und der Aufmerksamkeit, die das angekündigte Projekt der Europeras auf sich gezogen hatte, lässt sich die Aufführung wohl nur als Fiasko bezeichnen - ärgerlich für das Publikum und im Ergebnis ausschließlich nachteilig für das Werk und seinen Komponisten.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Johannes Harneit

Inszenierung und Ausstattung
Nigel Lowery

Licht
Thomas N. Smith

Technische Realisation
Klangmischung
Karl-H. Löffler

Dramaturgie
Xavier Zuber



Staatsorchester Hannover
Kinderchor der
Staatsoper Hannover
Statisterie der
Staatsoper Hannover


Solisten

Sängerinnen und Sänger

Hilke Andersen
Marie Angel
Cordula Berner
Marianne Beate Kielland
Michaela Schneider
Manuela Ochakovski
Leandra Overmann
Ulrike Spengler
Hans-Dieter Bader
Daniel Hendriks
Shigeo Ishino
Nils Ole Koch
Xiaoliang Li
Christoph Rosenbaum
Volker Thies

Pianistinnen und Pianisten

Ansi Verwey
Rainer Baruth
André Hammerschmied
Johannes Harneit
Kai-Uwe Jirka
Thorsten Kaldewei

Komponistinnen und Komponisten

Beat Fehlmann
Chao Qu
Christoph Kalz
Snezana Nesic
Sarah Reuter
Eun-Jung Suh







Weitere Informationen
erhalten Sie von der
Staatsoper Hannover
(Homepage)




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