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Musiktheater
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Nabucco
Dramma lirico in vier Teilen
Libretto von Temistocle Solera
Musik von Giuseppe Verdi

In italienischer Sprache
mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 2 h 30' (eine Pause)

Premiere am 15. September 2001
Besuchte Aufführung: 25. September 2001


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Musiktheater im Revier
(Homepage)
Ein wahres MiR-tyrium

Von Thomas Tillmann / Fotos von Rudolf Finkes



Was ein glänzender Einstieg in eine neue Ära des Musiktheaters im Revier (nach dem Aufkündigen der unseligen, Schillertheater NRW genannten Fusion mit den Wuppertaler Bühnen) und in die erste Spielzeit des jungen Teams um Generalintendant Peter Theiler hätte werden sollen, entwickelte sich zum ersten Skandal der neuen Saison: Nicht nur, dass sich die Neue Philharmonie Westfalen noch vor der Premiere von der Inszenierung distanziert und eine Verschiebung der ersten Vorstellung gefordert hatte. Regisseur Tilman Knabe, vom Premierenpublikum für seine äußerst diskutable Werksicht gnadenlos ausgebuht, beschädigte anschließend im trunkenen Zustand mit einer Bierflasche auch noch das bekannte blaue Relief im großzügigen Foyer, das Yves Klein 1958/59 installiert hatte, und erhielt in der Folge Hausverbot im Gelsenkirchener Opernhaus. Was die Besucher der Premiere am 15. September so aufgebracht hat, war sicher nicht nur das Verlegen der Handlung in die Entstehungszeit der Oper, die trotz seitenlanger Rechtfertigung im Programmmagazin nur sehr begrenzt überzeugt, zumal der gesungene Text nun oft einfach überhaupt nicht zum Bühnengeschehen passen wollte, sondern auch die Taktlosigkeit, den berühmten Gefangenenchor durch einen täuschend echt klingenden Bombeneinschlag zu unterbrechen - vier Tage nach den entsetzlichen Anschlägen in den Vereinigten Staaten.

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Nabucco (Nikolai Miassojedov) zieht mit Pferd und Kronleuchter in die gute Stube des Zaccaria ein. Alle Anwesenden sind geblendet vom elektrischen Licht seiner Herrscherkrone.

Der Schauplatz verlagert sich in dieser Inszenierung vom Tempel in Jerusalem in den liebevoll ausgestatteten, wuchtigen großbürgerlichen Salon Zaccarias, womit der soziale Ort beschrieben werden soll, an dem sich im 19. Jahrhundert Dramen und Konflikte ereigneten, nämlich im Privaten. Die Handlung entwickelt sich hier als Konsequenz enttäuschter Macht- und Liebesgefühle in einer sich zerfleischenden Großfamilie, die Mitglieder des Chores in ihren üppigen Biedermeierroben verkörpern nicht Hebräer und Babylonier, sondern Gäste im Hause Zaccarias, die sich - manipulierbar durch einfachste technische Tricks und Nabuccos Einzug auf einem echten Pferd - je nach Situation der einen oder anderen Partei zuschlagen. Man mag diesen Ansatz nachvollziehen oder nicht, für eine angemessene Umsetzung hätte es eines auch handwerklich besseren Regisseurs bedurft. Mit anderen Worten: Die Produktion wirkt in ihrem schnell nervigen Aktionismus, der im zweiten Teil von einem totalen szenischen Stillstand abgelöst wird, und mit ihren durchschaubaren, angestaubten Mätzchen (wenn etwa die "Juden" die Grünpflanzen pflegen und die vorher ausgekippte Erde zusammenfegen müssen - was für eine platte Anspielung auf die Hängenden Gärten!) wie eine schlechte Parodie einer Inszenierung Dietrich Hilsdorfs, der zwar auch mitunter über das Ziel hinaus schießt, dessen Werkdeutungen aber immer spannend sind und der es bei aller Provokation versteht, wirkliche Menschen aus Fleisch und Blut auf die Bühne zu bringen und damit einen anregenden Theaterabend zu realisieren.

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Nabucco (Nikolai Miassojedov) und der Kampf der beiden Schwestern Fenena (Regine Herrmann) und Abigaille (Gabriella Morigi). Im Hintergrund Ismaele (Fabrice Dalis), der "Oberpriester des Baal" (Jacques-Greg Belobo) und Abdallo (Eun-Yong Kim).

Aber auch musikalisch litt der Abend an mangelndem Niveau, wobei auf den Umstand hinzuweisen ist, dass in einigen Partien nicht die möglicherweise kompetentere Premierenbesetzung zu erleben war. Natürlich ist es die Schuld der Intendanz, einem so jungen Sänger wie Nicolai Karnolsky eine so diffizile Partie wie die des Zaccaria anzuvertrauen; der hellen, leichten Bassstimme mangelt es noch an Farbenreichtum, Zwischentönen, Rundung und Intonationssicherheit, dem Darsteller an Autorität und Charisma. Auch Erin Caves ist weit davon entfernt, ein mehr als lyrischer Tenor zu sein, und der reicht meines Erachtens auch für die kurze Partie des Ismaele nicht, was freilich den hörbaren Krafteinsatz besonders in der engen Höhe erklärt. Ein Skandal war die Abigaille Maria Slavkovas, deren matter, ausgesungener, von einem entsetzlichen wobble entstellter Sopran eigentlich nur noch einige interessante Stimmreste in der Mittellage aufweist, während kein einziger Ton oberhalb des Systems auch nur annähernd auf der vom Komponisten notierten Höhe zu hören war, man in der tiefen Lage entweder mit vulgären Brusttönen oder heißer Luft vorlieb nehmen musste und die Koloraturtechnik mit eigenwillig noch allzu euphemistisch beschrieben ist, gar nicht zu reden von den vielen rhythmischen Freiheiten, die die Sängerin sich meinte leisten zu dürfen.

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Die größenwahnsinnige Abigaille (Gabriella Morigi) fängt sich böse Blicke des "Oberpriesters" (Jacques-Greg Belobo) ein.

Den besten Eindruck hinterließ der von mir stets geschätzte Nikolai Miassojedov, der zwar kein wirklicher Heldenbariton und auch kein geborener Schauspieler ist, der aber einmal mehr mit schönem Legato und einer exzellenten Höhenattacke auffiel - das Gebet Nabuccos war einer der wenigen musikalischen Höhepunkte des Abends. Regine Herrmann verfügte zwar aber über eine gewisse szenische Präsenz, aber mit ihrer leichten, unruhigen Stimme empfahl sie sich nicht gerade für größere Aufgaben, was man leider auch für die übrigen Solisten konstatieren muss. Keinen großen Abend hatte überdies der erweiterte Chor des MiR, besonders die Soprane klangen arg unruhig und ältlich. Der Umstand, dass von den Damen und Herren permanent zweifelhafte kommentierende Bewegungen und Tänzchen verlangt wurden, dürften der Konzentration auf den Gesang nicht zuträglich gewesen sein, so dass man sich mit einigen klappernden Einsätzen abzufinden hatte. Samuel Bächli schließlich gelang es am Pult der in der besuchten Vorstellung manches Mal unkonzentriert, verschwommen und beileibe nicht fehlerfrei musizierenden Neuen Philharmonie nicht, ein eindeutiges, fesselndes Konzept zu entfalten (trotz interessanter Statements im Programmmagazin) - inspirierende Momente wie die klar strukturierte Sinfonia standen neben eher lieblos und unnötig in knallig-lärmendem Forte heruntergespielten, den nötigen Feinschliff vermissen lassenden Passagen und Augenblicken mangelnder Kommunikation zwischen Graben und Bühne.

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Das wars dann. Nach der Pause (dem "geteilten" Gefangenenchor) bewegt sich nichts mehr. Aus dem Dunkel fährt nur noch das Licht hoch und der Zuschauer von seinem Sitz.


FAZIT

Mit einem szenischen Schlag unter die Gürtellinie, der musikalisch nicht aufgefangen werden kann, startet das neu formierte Musiktheater im Revier glücklos in die Saison.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Samuel Bächli

Inszenierung
Tilman Knabe

Bühne
Stefan Heyne

Kostüme
Birgitta Lohrer-Horres

Szenische Mitarbeit
Rolf Gildenast

Dramaturgie
Johann Casimir Eule

Choreinstudierung
Nandor Ronay



Chor, Extrachor und Statisterie
desMusiktheaters im Revier


Neue Philharmonie Westfalen


Solisten

* Besetzung der rezensierten Aufführung

Nabucco, König von Babylon
Nikolai Miassojedov

Ismaele, Neffe des Königs
Sedecia von Jerusalem
Erin Caves*
Fabrice Dalis

Zaccaria,
Hohepriester der Hebräer
Nicolai Karnolsky

Abigaille, Sklavin, vermeintliche
erstgeborene Tochter Nabuccos
Gabriella Morigi
Maria Slavkova*

Fenena, Tochter Nabuccos
Anna Agathonos
Regine Herrmann*

Oberpriester des Baal
Jacques-Greg Belobo

Abdallo, Getreuer Nabuccos
Georg Hansen
Eun-Yong Kim*

Anna, Schwester des Zaccaria
Birgit Brusselmans

Pferdeknecht
Uwe Ristow



Weitere Informationen
erhalten Sie von der
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(Homepage)



Da capo al Fine

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