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Musiktheater
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Norma


Tragedia lirica in zwei Akten
Libretto von Felice Romani
Musik von Vincenzo Bellini

In italienischer Sprache

Aufführungsdauer: ca. 3h 15' (eine Pause)

Premiere im Aalto Musiktheater Essen
am 29. Juni 2002

Konzertante Aufführung

Besuchte Aufführung: 12. Juli 2002


Logo:  Theater Essen

Theater Essen
(Homepage)
Des Kaisers neue Kleider

Von Thomas Tillmann



Während am 29. Juni 2002 die Stuttgarter Oper eine offenbar überzeugende szenische Neuproduktion von Bellinis Norma versuchte (die Deutsche Oper am Rhein zieht im nächsten Sommer nach), beschränkte man sich am Aalto-Theater auf fünf konzertante Aufführungen der Norma, was verwundert angesichts der Tatsache, dass für die kommende Saison eine Neuinszenierung der dramaturgisch weitaus schwächeren Puritani geplant ist.

Bereits die stimmungsvolle Sinfonia litt unter dem besonders in den Staccato-Passagen und den Triolen unpräzisen, Bellinis dynamische Vorschriften negierenden Spiel der Essener Philharmoniker, und gerade hier hätte die Kunst darin bestanden, die Tuttistellen nicht wie Kirmesmusik klingen zu lassen. Anders als sonst schwor Stefan Soltesz diesmal auf mitunter unerträglich breite, sängerunfreundliche und dem Werk jegliche Spannung nehmende Tempi, da half auch kein theatralisches Herumgezappel, kein befremdendes Schnauben und kein wohl von Toscanini abgelauschtes Mitsummen, und anstelle der kitschig-sentimentalen, reichlich bemühten Rubati hätte man lieber die vom Komponisten gewünschten Schlusstakte gehört, die in Carlo Felice Cillarios Aufnahme mit der Caballé und derjenigen von James Levine mit Renata Scotto zur Ausführung kommen.

Geradezu nervös machte mich das ständige Auf- und Abtreten der Solisten, die gerade rechtzeitig zu ihren Einsätzen, mitunter auch während der letzten Takte der vorausgehenden Nummer mit klappernden Absätzen auf dem Podium erschienen und nicht selten unmittelbar nach ihrem letzten Ton den Ort des Geschehens wieder verließen, ihre Klavierauszüge fest in der Hand, von denen sie ohnehin die Augen nur Bruchteile einer Sekunde zu lösen vermochten, was ebenso wenig für eine seriöse Vorbereitung spricht wie der Umstand, dass man sich über eine Vielzahl mitunter skandalöser Textfehler ärgern musste. Ich habe einigen konzertanten Norma-Vorstellungen beigewohnt, und in denen waren die Sängerinnen und Sänger mindestens zu Beginn der Szenen anwesend, an denen sie beteiligt waren, die meisten aber betraten das Podium bereits vor dem ersten Akt und verließen es nur in der Pause.

Essen scheint so etwas wie eine Probebühne für Luana DeVol zu werden: Im Ruhrgebiet gab sie ihr nicht unumstrittenes Rollendebüt als Färberin, in der kommenden Spielzeit wird sie zum ersten Mal das Kostüm der Ägyptischen Helena in Strauss' gleichnamiger diskutabler Oper tragen. Mit der Norma näherte sie sich nun einer weiteren Wunschpartie, die das Letzte verlange, was sie aufzubieten habe, nicht zuletzt eine "gesunde und geschulte Stimme", die "einen großen Umfang mit enormer Flexibilität besitzen und die komplette Farbskala aufweisen" muss. Si tacuisses ... Über die Schärfe des jahrelang im lukrativen hochdramatischen Fach überstrapazierten, über zu wenig Volumen in der tieferen Lage verfügenden Sopran und über das ausladende Vibrato besonders in der häufig intonationsvagen Höhe hätte man vielleicht noch hinweghören können, nicht aber über das farblose Säuseln, mit denen sie sich durch die meistens verwischten, unsauberen Zweiunddreißigstel- und Sechzehntelfiguren meinte retten zu können und das Pseudoconnaisseurs vielleicht mit Pianokultur verwechseln mögen, was aber eigentlich nichts anderes als Markieren ist, während tatsächlich im Pianissimo angesetzte Töne in der oberen Lage meistens zur Zitterpartie wurden. Auch das Atmen an falschen Stellen, das Ersetzen von Romanis bedeutendem Text durch Vokalisen bei schwierigen Aufschwüngen und von Trillern durch merkwürdige Schüttler, das Übergehen von Bellinis rhythmischen Vorgaben, der falsche Einsatz in der Schlussszene und das Aufbieten raumfüllender Gesten anstelle einer wirklich durchdachten Interpretation und Textausdeutung sind keine Hinweise auf eine profunde, künstlerische Seriosität erkennen lassende Beschäftigung mit diesem Meisterwerk, dessen herausragenden Interpretinnen sich Kerstin Schüssler in einem oberflächlich-lückenhaften Artikel im Programmheft halbherzig annimmt.

Etwas besser gefiel mir da schon die wenigstens um Ausdruck bemühte Viktoria Vizin, deren schlanker Mezzosopran zwar mit Partien wie Zerlina oder Cherubino sicher besser bedient wäre, die mitunter etwas zu früh oder zu spät einsetzte und sicher keine Virtuosa im engeren Sinne ist, aber immerhin über einige interessante Töne in der Mittellage verfügte, nicht jedoch über das hohe C, das der Komponist gegen Ende ihres ersten Duetts mit Norma notiert hat (auch das zweite in der Kadenz vor "Mira, o Norma" war nicht sicher bewältigt). Um jedem Missverständnis vorzubeugen: Es geht hier nicht um hohe Töne an sich, sondern um den Komponistenwillen, und wenn man in einer konzertanten Aufführung derart lyrische Rollenvertreter aufbietet, dann müssten sie wenigstens über brillante Spitzentöne verfügen - viel schwerere Stimmen wie Giulietta Simionato, Fiorenza Cossotto oder Shirley Verrett haben es schließlich auch geschafft.

Das größte Besetzungsmanko war jedoch zweifellos Jeffrey Dowd, dessen behäbiger, von der qualligen, abgedunkelten Mittellage bestimmter, im ohnehin nur selten versuchten Piano gänzlich stumpfer Tenor nur noch unter massivem Druck ansprach, jeglichen gesunden, resonant-vollen Klang, Glanz, Farbenreichtum und die Beweglichkeit für raschere Notenwerte oder die exakte Ausführung etwa der Triolen in der Arie "Meco all'altar di Venere" eingebüßt hat, in der der Amerikaner das keineswegs fakultativ gesetzte hohe C kurzerhand ausließ (anders als Tenöre wie Carlo Cossutta, Giuseppe Giacomini und Richard Margison, die sicher keine kleineren Stimmen haben) und sich daher über die massiven Striche im die Szene abschließenden "Me protegge", im Duett mit Adalgisa (dessen Beginn er trotz Noten auf dem Pult verschlief und dessen Sechzehntel korrekt zu bewältigen ihm nicht gegeben war), am Ende des ersten Aufzugs und im Duett mit Norma vor dem Finale sicher ebenso freute wie der sensible Zuhörer.

Die einzige wirkliche Stimme des Abends gehörte ohnehin Marcel Rosca, der dem Oroveso mit seinem warmen, klangvoll-reifen Bass auch ohne äußerliche Gesten große Autorität und Charakter verlieh, den ihm anvertrauten Text zu wirklichem Leben erweckte und nicht nur hilflos buchstabierte, so dass man enttäuscht war über den überflüssigen Strich in seiner Auftrittscavatina und über sein Fehlen in großen Teilen der Ensembles des zweiten Aktes. Astrid Kropp und Herbert Hechenberger schließlich lieferten brav Stichworte, und dies keinesfalls schlechter als die Mehrzahl ihrer Kolleginnen und Kollegen oder der massiv verstärkte und dennoch wenig Eindruck machende Chor ihre Aufgaben absolvierten.


FAZIT

Was sicher als Ehrung für Vincenzo Bellini gedacht war, entpuppte sich als halbherzige, provinzielle Veranstaltung, die nur von denjenigen gefeiert werden konnte, die das Werk nicht wirklich kennen!


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Stefan Soltesz

Choreinstudierung
Alexander Eberle



Opernchor und Extrachor
des Aalto-Theaters

Philharmonischer Chor
Essener Musikverein e. V.

Essener
Philharmoniker


Solisten

Pollione,
Prokonsul Roms
in Gallien
Jeffrey Dowd

Oroveso,
oberster Druide
Marcel Rosca

Norma,
Druidin,
Tochter Orovesos
Luana DeVol

Adalgisa,
junge Dienerin am
Tempel Irmins
Viktoria Vizin

Clotilde,
Vertraute Normas
Astrid Kropp

Flavio,
Freund Polliones
Herbert Hechenberger






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Da capo al Fine

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