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Musiktheater
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Madame La Peste
Musiktheater in vier Bildern
für Sänger, Tänzerin, Chor und Orchester
Nach Bruno Jasienski, Edgar Allan Poe und Claude Debussy
Text von Matthias Kaiser
Musik von Gerhard Stäbler


Auftragswerk der Deutschen Oper am Rhein
und des Saarländischen Staatstheaters Saarbrücken

Uraufführung am 26. April 2002 im Theater der Stadt Duisburg


Homepage
Deutsche Oper am Rhein
(Homepage)

in Koproduktion mit

Homepage des Staatstheaters Saarbrücken
(Homepage)
Ungebändigte Kräfte der Zersetzung

Von Stefan Schmöe / Fotos von Eduard Straub



In Paris wütet die Pest. Die Stadt ist durch einen cordon sanitaire von der Außenwelt abgeschnitten, die im Inneren eingeschlossenen Menschen suchen nach Überlebensstrategien – Forschung an einem Serum gegen die Krankheit, Ausbruch aus der Isolation, Religiösität, Bestechung der Wachen werden als mögliche, aber letztlich vergebliche Mittel zur Rettung vorgeführt. Das Szenario ist dem Roman Die Pest über Paris des polnischen Schriftstellers Bruno Jasienski (1901 – 1939) von 1926 entnommen, und Librettist Matthias Kaiser entwickelt hier das düstere Bild einer Zivilisation, die angesichts ihrer Zersetzung auf engstem Raum und extrem komprimiert verschiedene Gesellschaftsmodelle durchspielt. Ratten (Symbol der Krankheit) und Hunde (eine Chiffre für totalitäre, aber möglicherweise den Ratten überlegene Macht) bilden in diesem ohnehin symbolisch schwer beladenen Kontext die Gegenpole. Ein wahrhaft operntaugliches Sujet also, in dem Madame La Peste, die Personifizierung der Krankheit, als (stumme) Tänzerin agiert und eine zusätzliche, choreographische Dimension erschließt.

Vergrößerung Der Sündenfall (wie das Programmheft zur Aufwertung durch den kulturell-religiösen Kontext bedeutungsschwer formuliert): P'an erliegt der Verführung der Madame La Peste und wird infiziert.

Doch damit nicht genug: Kaiser setzt der Katastrophe der Gesellschaft die Katastrophe des Individuums entgegen. Auf das große Pest-Bild folgt ein kammerspielhaftes weiteres Bild, das Edgar Allan Poes Novelle Der Untergang des Hauses Usher zum Thema hat: Die inzestuöse Verbindung eines Geschwisterpaares, hier ergänzt durch das Erscheinen Poes selbst. Die Parallelen zum Vorhergehenden werden durch Dopplung der Personen gezogen: Lady Madeline ist Madame La Peste, ihr Bruder Roderick die Wiederkehr des Pestarztes, Poe das Doppel des Kommunisten P'an, der zuerst von der Pest infiziert wurde. Nach der verdichteten Atmosphäre der Pest-Szenen dominiert hier ein anderes, langsameres Zeitmaß, musikalisch geprägt durch einen gelegentlich impressionistisch eingefärbten Sprechgesang (Komponist Gerhard Stäbler verwendet Material von Debussy, der auch für einige Zeit an einer Usher-Oper arbeitete).

Doch damit immer noch nicht genug: Eingerahmt werden diese beiden Szenen von einem Prolog, der die Verführung und Infizierung P'ans durch Madame La Peste zeigt, und einem Epilog, in dem Madame La Peste eine surreale Gerichtsverhandlung über die Toten der Pest halten lässt. Das Libretto schlägt zudem noch eine Klanginstallation im Foyer und über den Theaterausgängen vor, die man sich in Duisburg aber gespart hat (man vermisst sie auch nicht). Kurzum: Stäbler und Kaiser haben sich inhaltlich wie formal ein Riesenprogramm aufgeladen, ein abendfüllendes Gesamtkunstwerk von gewaltigem Material- wie Gedankenaufwand. Die Deutsche Oper am Rhein und das Saarländische Staatstheater Saarbrücken, die Madame La Peste in Koproduktion auf die Beine stellen, setzen damit auch ein nachhaltiges Zeichen gegen die museale Erstarrung des Opernbetriebs: Hier wird das zeitgenössische Musiktheater nicht zwischen den Stützen des Repertoires mitgeschleppt, sondern ein Werk mit höchstem künstlerischen Anspruch setzt einen markanten Akzent.

Vergrößerung Danach tummelt Madame sich in unserer Mediengesellschaft.

Dass dieses beim großen Publikum nicht die ungeteilte Zustimmung finden wird, das ahnte man in der Dramaturgie der Rheinoper schon vorab, jedenfalls schloss die Einführungsveranstaltung mit den Worten „immerhin können Sie hinterher sagen, Sie haben die Pest überlebt“. In der Tat entwickelten sich in der Pause der Uraufführung heftige Diskussionen darüber, ob man dieses Werk ohne vorheriges sorgfältiges Studium von Libretto und Sekundärliteratur überhaupt adäquat aufnehmen kann. Die komplexe Verschränkung der Schichten und die inflationäre Verwendung von Symbolen aller Art sind auf der textlichen Ebene sicher nur nach und nach zu erschließen. Die Gedanken können beim Sehen und Hören von Madame La Peste schon mal abschweifen, und bewundernd gedenkt man dann der schlichten Stringenz der Libretti Puccinis.

Musikalisch wird das Werk von verschiedenen „Strukturen“ durchsetzt: Da gibt es einen 13-tönigen „Pest-Akkord“ (der 13. Ton entsteht aus der enharmonischen Verwechslung Dis-Es), der die Oper durchzieht; eine in extrem hohen Lagen schwirrende „Rattenstruktur“, und eine rhythmisch komplexe Hunde-Struktur. Weiteres Material gewinnt Stäbler aus einer ausgewürfelten Reihe, und auch die Anzahl der Werke, die der griechisch-stämmige Lyriker Konstantinos Kavafis veröffentlicht hat („Kavafis-Reihe“). Das klingt soweit ganz possierlich, und irgendwie muss ein zeitgenössischer Komponist ja auch an sein Material kommen, und wenn Stäbler in einem Interview von „Angeboten“ spricht, die er dem aufmerksamen Zuhörer macht, dann spricht daraus ja beinahe so etwas wie sozialpädagogischer Impetus. Die einzelnen Schichten sind relativ leicht voneinander zu trennen, und auch wenn Stäbler sich dagegen wehrt, konkrete Musik zu schreiben, ist etwa die Rattenstruktur in ihrem fiependen Charakter schon fast tonmalerisch. Trotz des dissonanten und zerklüfteten Charakters ist Musik, nicht zuletzt wegen der raffinierten, dabei oft geräuschhaften Instrumentierung, in ihren wesentlichen Elementen zumindest auf einer ersten, unmittelbar wirkenden Ebene leicht nachvollziehbar. Ein unheimliches Grummeln, das die Spannung der Handlung verdichtet und verstärkt, kennt man natürlich auch aus der Filmmusik. Stäbler geht mit solchen Effekten souverän um, setzt sie sehr gezielt ein, am deutlichsten sicher am Schluss der Oper: Da singt ein sphärischer Chor aus dem Off ein kleines Motiv derart oft, dass es selbst für den unmusikalischen Hörer irgendwann einen Wiedererkennungswert hat. So jedenfalls kann man sich als zeitgenössischer Künstler in die Erinnerung des Publikums einkomponieren.

Vergrößerung Was wäre eine große Oper ohne eine tragische Liebesgeschichte? Hier werden P'an und Tschen von Madame ins Jenseits befördert.

In den ersten beiden Bildern entwickelt sich daraus eine in weiten Teilen faszinierende Struktur; im dritten und vierten Bild jedoch verdichtet sich mehr und mehr der Eindruck, dass die musikalische Substanz (ebenso aber auch die des Textes) nicht ausreicht, um die anspruchsvolle Konzeption zu tragen. Der Sprechgesang des Roderick ist schnell ermüdend; zwar komponiert Stäbler immer dann, wenn der heruntergeleierte Text (das „Zuviel“ an Text hat hier System, weil es im scharfen Kontrast zu den extrem komprimierten Kommunikationsformen im 2. Bild steht) allmählich nervt, beschwichtigt Stäbler den Hörer mit raffinierten, meist impressionistisch gefärbten Orchesterfiguren. Vergleichbar trostlos im künstlerischen Gehalt ist das vierte Bild, ein „Epilog“, in dem die 6 Richter ebenfalls in eine Art Sprechgesang verfallen: 3 in extrem hoher, die anderen in extrem tiefer Lage (das Verfahren vermag nur Sekunden lang zu fesseln). Die künstlerischen Mittel reichen nicht aus, die vier Bilder zu einem schlüssigen Ganzen zusammenzufügen. So fällt die Oper auseinander in zwei recht interessante (die ersten beiden) und zwei enttäuschende (die letzten beiden) Bilder.

Wo das Werk an sich bereits an seiner immensen Komplexität scheitert, da will sich Regisseur Elmar Fulda nicht lumpen lassen und fügt munter weitere Schichten dazu. Etliche der im Libretto geforderten Bildsymbole (etwa eine „Totenuhr“ im Pestbild) hat er gestrichen, was man wohl unter „Kitsch vermieden“ positiv verbuchen darf. Florian Parbs hat einen düsteren Bühnenraum, irgendwo zwischen Bunker und Fahrstuhlschacht, gebaut, der durch Laufstege, die unvermittelt enden, zerklüftet wird. Mikrophone sollen wohl auf unsere in der Zersetzung begriffene Mediengesellschaft hinweisen, und Lady Usher alias Madame La Peste vervielfacht am Fotokopierer ihr Antlitz. Der Tod ist durch viel rote Farbe, die man sich beim stilisierten Ableben auf das Gesicht aufträgt, optisch präsent. Die Richter dürfen in Slapstick-Manier herumhampeln, und allerlei nervige Aktion verwirrt die Szene zusätzlich. Auch wenn Fulda im einzelnen faszinierende Bilder gelingen, kann die Regie die divergierenden Tendenzen des Werkes nicht zusammenhalten, ehr verstärkt sie dies noch. Allein die von der exzellenten Hannele Järvinen getanzte, in der strengen und herben Anlage der Choreographie beeindruckende Madame La Peste wirkt verbindend (und auch verbindlich, wogegen vieles andere wie zufällig zusammengestellt wirkt).

Vergrößerung Bei diesen Gestalten aus dem Hause Usher ist es nicht ganz so schlimm, dass sie untergehen, möchte man meinen.

Musikalisch bleiben vor allem die berückend schönen Vokalisen von Anke Krabbe (in der Rolle der Tschen, einem Mädchen, das eine kurze Liebesgeschichte durchlebt) und der exzellente Chor in Erinnerung. Dabei wird durchweg auf hohem Niveau gesungen, und Günther Albers am Pult der sehr guten Duisburger Philharmoniker hält die Fäden sicher in der Hand. Klangfarben und Lautstärke sind jederzeit sorgfältig austariert. An den ausführenden Künstlern liegt es sicher nicht, dass Madame La peste trotz der hohen Ambitionen einen durchwachsenen, in Teilen auch faden Eindruck hinterlässt.


FAZIT
Am großen, düsteren und umfassenden Gesellschaftsbild beißen sich Librettist und Komponist die Zähne aus: In einzelnen Momenten faszinierend, aber als Gesamtentwurf enttäuschend, wird der nur halb bewältigte Brocken dem Publikum vorgeworfen.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Günter Albers

Inszenierung
Elmar Fulda

Bühne und Kostüme
Florian Parbs

Chor
Gerhald Michalski



Der Chor der Deutschen
Oper am Rhein
Die Statisterie der Deutschen
Oper am Rhein
Die Duisburger Philharmoniker


Solisten

P´an/Poe
Christopher Lincoln

Professor/Roderick
Stephen Bronk

Lady Madeline / Madame La Pest
Hannele Järvinen

Eleasar
Sami Luttinen

Solomin
Torsten Hofmann

Tschen
Anke Krabbe

Mr. Lingslay
Bruce Rankin

Jeanette Lecoque
Lisa Griffith

Laval
Heikki Kilpeläinen

Vvier Weiße
Wojciech Parchem
Alexandru Ionitza
Peter Nikolaus Kante
Thorsten Grümbel

Sechs Richter
Tobias Wolff
Alexandru Ionitza
Jörg E. Werner
Peter Nikolaus Kante
Thorsten Grümbel
Iwa-Kyeom Kim



Weitere Informationen
erhalten Sie von der
Deutsche Oper am Rhein
(Homepage)



Da capo al Fine

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