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Konventionelle Carmen
Von Thomas Tillmann
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Fotos von Thilo Beu
Sie hätte eine Sternstunde der französischen Oper werden können, diese Neuproduktion von Bizets so beliebter Carmen, in Angriff genommen von einem überwiegend französischen Team, das um die Erfordernisse des Genres wissen müsste. Jean Louis Martinoty hat eifrig Quellenstudium betrieben und sich ernsthafte Gedanken über das Stück gemacht, was nicht nur sein langer, kenntnisreicher Artikel im Programmheft belegt, sondern auch viele interessante Details seiner Inszenierung, die freilich untergehen in einem allzu selten augenzwinkernd-ironisch gebrochenen, altmodischen Naturalismus, der trotz entgegengesetzter Absichtserklärung und trotz des sinnstiftenden Überblendens von Szenen und des Einfügens einleuchtender Nebenhandlungen mächtige Langeweile und Gedanken an Folkloreabende für Pauschaltouristen aufkommen ließ.
Trotz bemerkenswerter Ansätze verloren sich auch Figurenzeichnung und Personenführung häufig im Konventionellen, und auch der erhebliche szenische Aufwand, zu dem ich auch die traditionellen, üppigen Kostüme von Daniel Ogier rechne, die grundsätzlich der Optik der Handlungsepoche verpflichtet waren, mitunter aber auch im Stil der bieder bemalten, altmodisch-sperrigen, häufig geräuschvoll verschobenen Dekorationselemente von Bernard Arnould bedruckt waren und soziale Unterschiede zwischen Spaniern und Zigeunern andeuteten, führte letztlich ins Leere. Um es deutlich zu sagen: Wenn ich mich über andalusisches Brauchtum und die Frömmigkeit der Menschen dort informieren will, gehe ich in einen VHS-Vortrag oder studiere entsprechende Literatur; der Job eines Regisseurs indes besteht darin, eine Geschichte zu erzählen und dem Publikum die Konflikte und Stimmungen der Figuren näher zu bringen, pardon. Zu allem Überfluss hatte man sich überdies nicht für die vom Komponisten vorgesehene Dialogfassung im Stil der opéra comique entschieden, sondern für die lähmenden Rezitative von Ernest Guiraud, die der Handlung den letzten Rest an Tempo nahmen, zumal sich das flotte, elegant phrasierte und duftige légèreté atmende Spiel des Orchesters der Beethovenhalle leider nur im Prélude und in den Entr'actes so richtig entfaltete. Marc Soustrot war immerhin durchgängig ein Garant für Transparenz und schlanken Orchesterklang, womit er auch den Solistinnen und Solisten zu ihrem Recht verhalf; zudem betonte er manche sonst übergegangene Stimmen der Partitur und hatte auch in den Ensembleszenen den gesamten Apparat vorbildlich im Griff.
Sylvie Brunet war ein wirkliches Ereignis in der Titelpartie, traf sie doch im ersten Teil genau den hier geforderten Chansonton, ohne deshalb musikalisch nachlässig zu werden, aber auch ohne allzu sehr in Kunst zu machen. Die Französin weiß um die Bandbreite der dynamischen Differenzierung, hat ein nicht enden wollendes Spektrum an Farben und raffiniert-delikaten Nuancen parat und eben diese sehr französische, saftige, stets diszipliniert eingesetzte, ebenmäßige Stimme mit einer gänzlich unforcierten Tiefe, einer besonders reichen Mittellage und einer kraftvollen Höhe, dazu eine verführerische Physis und die Gabe, sich ungemein erotisch zu bewegen, ohne dabei vulgär die Hand in die Hüfte zu stemmen und platt die Röcke zu heben.
Dagegen war Luca Lombardo zwar ein stilsicher auf Linie singender, auch darstellerisch sehr involvierter José, aber seinem hellen, sehr lyrischen, eher metallisch als warm timbrierten, mitunter auch von rasselnden Nebengeräuschen nicht freien Tenor fehlt es einfach an vokaler Substanz und Stamina, die besonders im zweiten Teil des Abends in hohem Maße gefordert sind, und vor allem die hohen Töne klangen durchweg forciert, grell und strapaziert. Reichlich hausbacken - wie die gesamte Produktion! - und soubrettig gab Anja Vincken mit kleinem, in der Höhe klingelnden Sopran die Kontrastfigur der Micaela, optisch wie akustisch ein spätes, manchmal auch burschikoses Mädchen. Ohne heldenbaritonale Kraftmeierei war Jean-Luc Chaignaud ein solider Toréador, auch wenn es seiner Stimme ein bisschen an Glanz und Strahlkraft in der Höhe mangelte. Keine rechte Präsenz entwickelten dagegen die Interpreten der kleineren Partien, sieht man von Daniel Sander ab, der einen herrlich durchtriebenen, schrägen Lillas Pastia beisteuerte. Eine ganz große Leistung boten die Chöre, die Sibylle Wagner auf ein wunderbar schlankes, dynamisch unerhört flexibles Singen eingeschworen hat.
Trotz bestem Wollen kommt diese Produktion über konventionelle Sichtweisen nicht hinaus, während musikalisch durchaus schöne Momente und besonders die Interpretin der Titelpartie einen Besuch der Bonner Oper lohnend machen.
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ProduktionsteamMusikalische LeitungMarc Soustrot
Inszenierung
Bühne
Kostüme
Choreinstudierung
Kinder- und Jugendchoreinstudierung
SolistenCarmenSylvie Brunet
Don José
Escamillo
Micaela
Frasquita
Mercédès
Moralès
Zuniga
Remendado
Dancairo
Lillas Pastia
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