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Das Lexikon lebt!
Von Sebastian Hanusa
Tom Johnson schreibt eine Riemannoper, nicht über Riemann, sondern nach dem Riemann. Eine Oper, die nicht handelt, sondern abhandelt. Statt Handlung nur Definitionen: Der lyrische Tenor stellt sich als lyrischer Tenor vor, die Primadonna assoluta als eine solche - Rezitative und Arien werden im jeweils gesungenen Text nach ihrer jeweiligen Gattung definiert. Entnommen ist alles dem Riemann Musiklexikon, Sachteil, Seite... Eine Musik über die Musik, größtmögliche Transparenz bezüglich dessen, was geschieht. Der Zuschauer erfährt - nach Riemann - was die Merkmale verschiedener Typen von Arien sind - gleichzeitig haben die Arien diese Merkmale - dass eine Baccarole im 6/8-Takt steht - in einer Baccarole natürlich im 6/8-Takt, wie sich die Charaktere des Bühnenpersonals definieren lassen. Die komponierte Musik des Minimalisten Tom Johnson arbeitet exzessiv mit Tonrepitionen, der Intervall-Vorrat erschöpft sich größtenteils in Oktaven und Quinten. Anscheinend eine witzige Idee, doch es würde in anderthalb Stunden ein wenig langweilig werden, wenn das Personal sich ausschließlich selber definiert und darüber kein Geschehen möglich würde. Dieser Gefahr entkommt die Riemannoper indem sie die Anforderung an Regie und Sänger stellt, einen Ort für das Geschehen ausfindig zu machen und die verschiedenen Charakterfächer mit singenden Menschen zu besetzen, aus den Lexikonseiten einen bespielbaren Raum zu erschaffen, aus Charakterfächer ein agierendes Bühnenpersonal zu entwickeln. Zu der Genese einer Oper ist die Studiobühne des Theaters Mönchengladbach von Bühnenbildnerin Katja Spitzbarth in den dreidimensionalen Innenraum des inzwischen etwas angejahrten Riemannschen Musiklexikons verwandelt worden. Auf grauen Regalen lagert das musikologische Wissen, nach Komponisten-Namen geordnet und in Kisten abgepackt, dazwischen Aktenordner und der eine oder andere Tonsetzer-Gott in Gips. Ausgehend von einem beweglichen Schreibtisch als einzigem Ausstattungsstück werden im Verlauf der Oper aus den Regalen etliche Utensilien hervorgeholt, die nicht nur das vorherrschende Grau farblich kontrastieren, sondern zudem auf der Bühne ein dezentes Chaos verbreiten. Gelbe und rote Blumensträuße, ein aufblasbares Gummigondel-Imitat (venezianisch) anlässlich der Baccarole, ein wenig umhergeworfenes Papier und gegen Ende Schokoladenpralines und Tischtennisbälle. Einer ähnlichen Wandlung sind die Sänger unterworfen. Anfangs in streng geschnittenen, grauen Kostümen dem farblos nüchtern wirkenden Archiv angepaßt, wird im Verlauf des Abends die Kleidung schrittweise gewechselt, so dass zum Schluss die Sänger in farbenfrohen Rokoko-Kostümen auf der Bühne stehen. Regisseurin Aurelia Eggers entwickelt aus dem reinen Selbstbezug der Sänger eine Handlung um die großen Themen Liebe und Eifersucht, der Tenor mit der Primadonna assoluta, die rasende Eifersucht des Baritons und die enttäuschte Liebe der zurückgesetzten Primadonna seconda. Ein Strudel dramatischer Verstrickungen und zugleich der ständige Selbstkommentar der handelnden Personen bezüglich ihres Singens. Der Regisseurin ist es auf brillante Weise gelungen, das ironische Potenzial des Stückes zu fassen und eine schrittweise Belebung der relativ abstrakten Anlage des Stückes in Szene zu setzen. Auf Seiten der Sänger gelingt besonders Primadonna assoluta Kirstin Hasselmann und Frank Valentin in der Rolle des lyrischen Tenor die Umsetzung der beschriebenen Genese; Michaela Mehring als zweite Primadonna verbleibt auch nachdem ihr die Leidenschaft einer großen Rolle eingehaucht worden ist, ein wenig zu sehr im Gestus der holzschnittartigen Riemann-Definition, die beiden erstgenannten füllen ihre Rollen ein wenig mehr mit Geist. Auch Bariton John T. Gates überzeugte; lediglich am Anfang übertreibt er ein wenig mit dem Wutausbruch in seiner großen Rachearie. Dafür begeistert er im Duett mit dem Tenor - der Baccarole - um so mehr, wenn die beiden Männer im selben Gummiboot ihre jeweilige Geliebte an gegenüberliegenden Ufern zu erreichen versuchen. Die musikalischen Leitung hatte Karsten Seefing, der das Stück auch vom Klavier aus begleitete. Mit stoischer Ruhe erlitt er mehrminütige Tonrepitionen und setzte überdies den Witz des Stückes um; Ähnliches wäre zu den Sängern zu sagen, die insgesamt die Gleichzeitigkeit von großem Opernton und dessen ironischen Brechung in Endlos-Repitionen über der riemannschen Textgrundlage sehr gut getroffen haben.
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ProduktionsteamMusikalische LeitungKarsten Seefing
Inszenierung
Bühne und Kostüme
Regieassistenz
Dramaturgie
Pianist
Solisten
Primadonna assoluta
Primadonna
Tenor
Bariton
Concierge
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- Fine -