Eine Entdeckung fürs Repertoire
Von Thomas Tillmann
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Fotos von Matthias Stutte
Ist es das immer noch nicht ganz überwundene tiefe Misstrauen gegenüber Vertonungen klassischer deutscher Dichtung, das Luisa Miller bis heute ein Schattendasein besonders auf deutschen Bühnen fristen lässt, ein Schicksal, das das bemerkenswerte Werk mit Boitos Mefistofele oder auch Donizettis Maria Stuarda teilt, die erfreulicherweise in der nächsten Spielzeit ebenfalls am Theater Krefeld-Mönchengladbach zu neuen Ehren kommen wird? Dass Verdis fünfzehnte Oper, die dessen Hinwendung zu privateren Themen, zur Darstellung des Seelenlebens psychologisch komplexerer Charaktere und zur flexibleren Gestaltung des nunmehr der jeweiligen dramatischen Situation angepassten musikalischen Materials markiert, unbedingt einen Platz im Repertoire verdient, zeigte nicht zuletzt der langanhaltende Schlussapplaus im gut gefüllten Rheydter Opernhaus.
Noch gibt es für Luisa (Janet Bartolova) und Rodolfo (Kairschan Scholdybajew) nichts anderes als Liebe ...
Alexander Schulin, der für die Vereinigten Städtischen Bühnen bereits Madama Butterfly und gerade an der Hamburger Staatsoper Verdis Un ballo in maschera inszeniert hat, widersteht der Versuchung, Cammaranos
nicht selten als Banalisierung des bürgerlichen Trauerspiels verunglimpftes Libretto durch eine stärkere Einbeziehung der Vorlage "aufzuwerten" - die damaligen rigiden Zensurbestimmungen erforderten natürlich eine Entschärfung der von Schiller geübten Gesellschaftskritik, so dass die Handlung im Wesentlichen auf den tragischen Liebeskonflikt konzentriert werden musste, übrigens gegen den anfänglichen Willen des Komponisten, der nun freilich eine Fülle seiner "Lieblingsthemen" aufgreifen konnte wie den Konflikt zwischen Vater und Kind, den Ehrgeiz und die Einsamkeit der Mächtigen, die Figur des betrügerisch-diabolischen Vertrauten und das unglückliche Schicksal zweier Liebender. Dabei gelingt es dem jungen Regisseur, den bis in die Nebenrollen präzis, differenziert und liebevoll charakterisierten, unerhört authentisch wirkenden Figuren echtes Leben einzuhauchen, man leidet als Zuschauer mit diesen beiden sympathischen jungen Menschen, die ihre Sehnsucht nach Glück gegen bestehende Machtstrukturen zu verwirklichen suchen. Durch die fast kammerspielartige Konzentration auf die grandios geführten Protagonisten - der (hervorragend disponierte) Chor tritt in schwarzer Einheitskleidung beobachtend und kommentierend nur am Rand der erhöhten Spielfläche in der Bühnenmitte auf -, durch den Verzicht auf szenischen Aufwand, die Beschränkung auf die allernötigsten Requisiten und schlichte, der Jetztzeit zuzuordnende Alltagskostüme (Ausstattung: Christoph Sehl) gelingt dem Team ein ungeheuer ehrlicher, dichter Abend, so dass man auf einzelne weniger geglückte Ideen wie die pantomimischen Momente, bei denen sich Schulin offenbar von zeitgenössischen Fotografien hat leiten lassen, kaum noch hinweisen mag.
Luisa (Janet Bartolova) erfährt von ihrer Freundin Laura (Maria Hilmes) und den Frauen des Dorfes (Damenchor), dass ihr Vater verhaftet worden ist.
Und auch in musikalischer Hinsicht kam Freude auf: Anthony Bramall treibt die Niederrheinischen Sinfoniker zu Höchstleistungen an, er drängt vorwärts, ohne zu hetzen, er bietet pure Dramatik, ohne sich auf billige Effekthascherei einzulassen, er stellt sich in den Dienst der Sängerinnen und Sänger, ohne dem unerhört frisch musizierenden Orchester allzu große dynamische Fesseln anzulegen und dem Werk seinen Farbenreichtum zu nehmen - so muss Verdi klingen!
Rodolfo (Kairschan Scholdybajew) bezichtigt Luisa (Janet Bartolova) zu Unrecht der Untreue.
Dass Ensembletheater nicht nur eine nostalgische Idee sein muss, beweist der Umstand, dass es den Mönchengladbachern gelingt, das Werk mit festengagiertem Personal und dabei so idiomatisch zu besetzen. Die zu Beginn merklich nervöse Janet Bartolova ist vor allem für den zweiten und dritten Akt, in denen dramatisches Temperament und "Peng" unerlässlich sind, erste Wahl, was nicht heißen soll, dass sie den virtuosen Passagen etwas schuldig geblieben wäre; freilich klang die Stimme hier noch nicht ausgeglichen genug, die Spitzentöne gerieten etwas knapp, hart und flackernd, während die Bulgarin sich im weiteren Verlauf des kurzweiligen Abends immer mehr frei sang und auch einige zarte, aber sichere Piani intonierte, die bei ihr eben nicht einen Mangel an Volumen erkennen lassen, sondern ein tiefes Verständnis von musikalischen (!) Ausdrucksnuancen belegen. Eine echte Entdeckung ist der aus Kasachstan stammende, von Bernd Weikl entdeckte Kairschan Scholdybajew, der für den Rodolfo nicht nur die unentbehrliche Durchschlagskraft in der mühelos attackierten Höhe mitbrachte, sondern auch einige feinere Nuancen anzubieten hatte; sein "Quando le sere al placido" geriet zu Recht zum "showstopper", auch wenn man sich ein wenig Sorgen um das etwas unbekümmerte Hinausschmettern der Töne machte - eigentlich überflüssiges Kritikergemäkel angesichts dieser wirklich großartigen Leistung. Einen guten Eindruck hinterliess auch Philip Rock mit seinem gleichermaßen kraft- wie klangvollen, in der Höhe etwas behäbigen Bariton, dem es freilich noch ein bißchen an Schliff fehlt. Ulrich Schneider war mit knarzendem, metallisch-kühl timbrierten Bass ein idealer Graf unangenehmer Autorität; mit Mikhail Lanskoi hatte er einen sich bizarr-idiosynkratisch verkrümmenden, schleimig herumtänzelnden Intriganten zur Seite, der seinem Bühnennamen alle Ehre machte. Margaret Thompson gab mit ihrem bedeutenden, ausdrucksstarken dramatischen Mezzosopran eine charaktervolle Herzogin, die junge Maria Hilmes empfahl sich mit den kurzen Einwürfen der Laura für anspruchsvollere Aufgaben.
Vater Miller (Philip Rock) blickt verzweifelt auf das sterbende Paar (Kairschan Scholdybajew und Janet Bartolova).
FAZIT
Operndirektor Andreas Wendholz hat recht, wenn er im Programmheft konstatiert, der Oper Luisa Miller gebühre aufgrund ihrer eminenten musikalischen und theatralischen Qualitäten ein fester Platz im Repertoire, zumal wenn das Werk so engagiert und niveauvoll zur Aufführung gebracht wird wie von der Gemeinschaftsbühne am Niederrhein, die in ihrer Jubiläumssaison Giuseppe Verdi mit dieser Neuproduktion weitaus größere Ehre zuteil werden lässt als manch anderes, finanziell besser gestelltes Haus - unbedingt hingehen!
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