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Musiktheater
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Die Entführung aus dem Serail
Deutsches Singspiel von Christoph Friedrich Betzner
bearbeitet von Johann Gottlieb Stephanie d.J.
Musik von Wolfgang Amadeus Mozart

Aufführungsdauer: ca. 2h 30' (eine Pause)

Premiere im Opernhaus Köln
am 4. März 2001

Logo: Oper Köln

Bühnen der Stadt Köln
(Homepage)

Radikale Puppenspielereien

Von Stefan Schmöe / Fotos von Klaus Lefebvre


Es gibt Inszenierungen, die spielen sich nur im Programmheft ab. Wenn ein Regisseur sein Konzept – ob selbiges überzeugend ist oder nicht, das ist dabei belanglos - nur verbal, nicht aber visuell darstellen kann, dann hilft alle Bühnenherrlichkeit nicht weiter: Der Zuschauer wird zum Mitleser degradiert. Auf den ersten Blick droht auch bei der neuen Kölner Entführung ein solches Schicksal, denn Dramaturg Hans-Joachim Wagner fasst auf zwei Seiten die wichtigsten Elemente aus Torsten Fischers Inszenierung samt Kurzinterpretation zusammen. Der Bassa Selim, so die inhaltliche Umdeutung Fischers, ist der Initiator eines Spieles, mit dem er die Gunst Konstanzes zu gewinnen sucht, oder mit den Worten des Dramaturgen: "Die Liebes- und Treueprüfung als Parabel und die Konzentration auf menschliche Grundbefindlichkeiten, Emotionen und Verhalten können ihr szenisches Äquivalent in einer Bühnensituation finden, die als Versuchsanordnung, als Experiment oder Spiel zu begreifen ist: Mozarts Entführung funktioniert dramaturgisch als Puppentheater". Wow!


Szenenfoto Bassa vor geometrischer Landschaft: Selim (vorne) ist von seiner angebeteten Konstanze (oben) einige Ebenen getrennt. Blonde steht aber mehr zufällig als symbolisch dazwischen.

Fischers Inszenierung erweist sich dann allerdings als komplexer. Zwar ist die Puppentheater-Dimension allgegenwärtig, indem alle Darsteller von Holzpuppen "gedoubelt" werden, aber Fischer vermengt und verschränkt die verschiedenen Ebenen permanent. Mal singen die Protagonisten die "eigene" Puppe an, mal lassen sie diese stellvertretend singen; aber auch die leibhaftigen Sänger agieren "puppenhaft". Der Bassa ist zwar allgegenwärtig, aber vollkommen schwarz, die Maske eingeschlossen: Zumindest unmittelbar gibt er seine Menschlichkeit (im eigensten Sinne des Wortes) nicht preis. Blonde (eine Mischung aus Dompteuse und Domina, wobei der Unterschied ja nicht so groß ist) und Pedrillo sind von vornherein als Gestalten der Commedia dell'Arte angelegt, Osmin und selbst Belmonte haben dort zumindest ihre Wurzeln. Nur Konstanze ist ganz Mensch, und was für einer! Nicht nur musikalisch großartig, mit leuchtend klarer, strahlender und auch in höchsten Höhen intonationssicherer Stimme, sondern auch von großer Ausstrahlung ist Regina Schörg der umjubelte Star des Abends.


Szenenfoto Puppenspielereien? Belmote (oben) ärgert Osmin; der widerum peinigt Pedrillo.

Was Realität, was Spiel ist, das bleibt an vielen Stellen offen. Die Dialoge sind stark gekürzt und weitgehend dem Bassa übertragen (auch die Passagen seiner Dialogpartner), eine Art großer Monolog. So schildert Fischer – das ist aber nur eine Sichtweise auf diese Inszenierung – das Seelenleben des Bassa, der durchaus nicht als großmütiger Vergeber auftritt. Vielmehr scheitert er an seiner latenten Gewaltbereitschaft: Konstanze ist ihm eigentlich längst verfallen (was ein wenig zu deutlich ausgespielt wird), aber seine Drohgebärden halten sie vom entscheidenden Schritt ab. Belmonte ist als tumber Trottel im barocken Outfit als Liebhaber wohl kaum der Rede wert und leider auch gesanglich Konstanze nicht ebenbürtig. Daniel Kirch setzt seinen recht dünnen Tenor zwar gerne in heldentenoraler Manier an, bleibt aber an mancher Koloratur- und Intonationsklippe hängen.


Szenenfoto Sollte Konstanze (oben) sich wirklich mit dem barocken Herrn Belmonte abgeben?

Vielleicht ist es auch Konstanzes Gefühlswelt, die hier abgebildet wird; sie scheitert - ja, woran eigentlich? An den Rollenerwartungen, den Männlichkeitsattitüden des Basssa? Oder ihren Vorstellungen davon (schließlich ist der Bassa ein Phantom, das nie sein Gesicht zeigt, zuletzt gar wie eine Puppe weggetragen wird)? Fischer interpretiert nichts aus, er legt vielmehr die Vielschichtigkeit des Stückes offen – und die liegt nicht im Libretto, sondern in der Musik. Da hat Fischer mit Johannes Stert und dem Gürzenich-Orchester kongeniale Partner gefunden. Da wird nicht nur äußerst geschmeidig und sängerfreundlich musiziert, sondern in kleinen Nuancen tritt das Abgründige dieser Musik zu Tage. Die harmonischen Rückungen etwa im Quartett, indem die eifersüchtigen Herren Belmonte und Pedrillo ihre Herzensdamen auf etwaige Fehltritte ansprechen, die erhalten hier etwas Zerstörerisches, das der folgende Jubel nicht mehr kitten kann.


Szenenfoto Gewalt oder Gnade? Bassa Selim, der schwarze Mann, kann zum Schluss auch nicht mehr so recht unterscheiden. Konstanze und Pedrillo jedenfalls befinden sich in einer fesselnden Situation.

Fischer seziert das Singspiel und lässt die konventionellen Handlungselemente wie Zitate quasi neben der eigentlichen (psychologischen) Handlung spielen. Im abstrakt geometrischen, in mehrere Ebenen gestaffelten Bühnenraum von Herbert Schäfer, der fast wie ein Kerker wirkt (nur durch eine Art Fenster im Fluchpunkt kann man Himmel sehen), wird durch die Projektion von Wüste respektive palmenbestandener Oase gelegentlich so etwas wie Barocktheater angedeutet – aber nur, um die eigentliche Abstraktion umso deutlicher hervorzuheben. In der Beleuchtung von Manfred Voss entstehen dabei immer wieder frappierende Bildwirkungen; am eindringlichsten vielleicht – und an dieser Stelle fast überzogen – wenn Konstanze zu Beginn der "Martern"-Arie im Stil einer Pieta ihre "eigene" Puppe im Arm trägt. Und die Figuren erhalten in diesem Kontext eine Radikalität, als seien sie nicht von Christoph Friedrich Betzner oder Johann Gottlieb Stephanie dem Jüngeren, sondern von Max Frisch. Allerdings kann neben der Konstanze nur Natalie Karl als gar nicht so harmloses Blondchen das auch musikalisch umsetzen; Johannes Preißinger (Pedrillo) und Reinhard Dorn (Osmin) singen zwar zuverlässig, aber eben auch in recht konventioneller Singspielmanier.

Die fast einhellige Entrüstung des Premierenpublikums, die dem Regieteam entgegen brandete, stand in merkwürdigem Gegensatz zu der konzentrierten Stille während der Aufführung. Natürlich kann man über Fischers Ansatz streiten, aber die Aufführung berührt, auch und gerade in ihrem trostlosen Finale, das die humanistische Geste des Vergebens umdeutet in ein Scheitern, das zur Auflösung aller Beziehungen führt – von wegen heiteres Singspiel. Vielleicht hat manches Buh seinen Grund auch darin, das diese Entführung unangenehm berührt. Die Bühnenwirklichkeit jedenfalls hat das Programmheft um Längen hinter sich gelassen.


FAZIT
Mozart zeitgemäß? Eher Mozart zeitlos, dafür aber um so radikaler und gar nicht heiter, auf jeden Fall aber äußerst eindrucksvoll.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Johannes Stert

Regie
Torsten Fischer

Bühne
Herbert Schäfer

Puppen und Kostüme
Darko Petrovic

Licht
Manfred Voss

Dramaturgie
Hans-Joachim Wagner



Gürzenich-Orchester
Kölner Philharmoniker

Opernchor der
Bühnen der Stadt Köln


Solisten

Bassa Selim
Markus Gertken

Konstanze
Regina Schörg

Belmonte
Daniel Kirch

Blonde
Natalie Karl

Pedrillo
Johannes Preißinger

Osmin
Reinhard Dorn

Chor-Soloquartett
Ursula Meinardus
Monika Weichhold
Heiko Köpke
Boris Duric


Weitere Informationen
erhalten Sie von den
Bühnen der Stadt Köln
(Homepage)




Da capo al Fine

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