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Tödliche Kindereien
Von Stefan Schmöe
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Fotos von Matthias Jung Familientreffen bei den Lears: Man schaut alte Super-8-Filme, Familienszenen am Strand, glückliche Kinder. Lang ist's her, die Kinder sind groß geworden, die Schwiegersöhne sitzen inzwischen mit am Tisch. Nach dem Film bitte ein nettes Kompliment für den Papi: Goneril und Regan sagen brav ihr Sprüchlein auf, nur Cordelia, die jüngste, ist trotzig. Das verärgert den Vater sehr, und das Drama nimmt seinen Lauf. Auf den ersten Blick scheint es vermessen, den sagenhaften britischen König aus einer mythischen Welt voller Mord und Totschlag auf den Wohnzimmer-Teppich zurückzuholen. Lässt man freilich das Schwerter-Geklappere erst einmal weg, dann wird der Generationskonflikt dahinter schnell sichtbar. In Essen streift Regisseur Michael Schulz frech das Pathos und die Relikte der romantischen Sichtweise auf den Stoff ab. Reimanns Oper, seit der Uraufführung 1978 für ein zeitgenössisches Werk verblüffend häufig gespielt, ist verschiedentlich vorgeworfen worden, sich zu sehr auf einer emotionalen Sphäre des Mit-Leidens zu bewegen, die Groteske dahinter zu verschleiern und damit Shakespeares Vorlage damit auch zu entschärfen. In Essen muss sich das Stück nun in einer Sichtweise behaupten, die stark auf die Groteske abzielt.
Transformiert man die Erhabenheit der Könige auf die der Familienväter, dann überschreitet man in aller Regel die Grenze von der Tragödie zur Komödie. Die Leistung der Essener Aufführung liegt vor allem darin, dass dies nicht (oder besser: sehr kontrolliert) geschieht. Die Tragik der Figuren wird nicht gemildert, wenn die Figuren an den Rand der Lächerlichkeit geführt werden. Vor allem liegt das am genialen Bühnenraum von Johannes Leiacker, der einen Kasten gebaut hat, der mit überdimensionalen Kinderzeichnungen (offenbar Nachbildungen von Zeichnungen von Leiackers fünfjahhriger Tochter) bespannt ist. Diese werden im Verlauf des Stückes von Lears Anhängern mit obszönen Sprüchen beschmiert und eingerissen bedrückendes Zeichen für die Zerstörung der heilen Kinderwelt, die im oben erwähnten Film (der am Beginn des Stückes, noch vor den ersten Worten Lears, eingespielt wird) angedeutet ist.
Edgar, der auf Grund einer Intrige verbannte Sohn des Grafen Gloster und wohl die positivste Figur des Stücks, wickelt sich in die Fetzen dieser Zeichnungen ein, wenn er in die Rolle des irren Tom schlüpft. In diesem Moment bekommt die Inszenierung einen Hauch von Poesie, die sich auch in der Musik widerspiegelt, wenn Countertenor David Cordier in der hohen Lage Melismen wie aus einer anderen (Kinder-)Welt singt. Und über allem schwebt als Utopie eines besseren Lebens das Kinderbild einer Königin, die wie auf einem Regenbogen über die Wirrnisse der Erwachsenenwelt hinweg balanciert. Eindrucksvoll ist die Inszenierung dann, wenn sie sich auf dieser bildhaften Ebene bewegt; aber viel zu oft verfällt Schulz in ein recht banales Erzählschema zurück. Es ist mitunter wie beim Schultheater: Was im Textbuch steht, das muss auch inszeniert werden. Hätte Michael Schulz doch nur den Mut gehabt, sich konsequenter von Reimanns bzw. Shakespeares Regieanweisungen zu lösen; gerade in Essen haben Regisseure wie Konwitschny und Hilsdorf vorgemacht, dass man einem Stück damit oft sehr viel näher kommen kann als mit scheinbarer Werktreue. Schulz dagegen inszeniert Mord und Totschlag in weitgehend konventioneller Manier. Da dürfen Männer in Uniformen mit Dolchen meucheln, sich Väter und Kinder verzeihend in den Armen liegen und feindliche Brüder mit riesigen Schwertern kämpfen. Kurz: Es ist so, wie man es von gut gemeinten Verdi-Aufführungen zur Genüge kennt.
Die Entwicklung der Charaktere ist kaum nachzuvollziehen, denn die Figuren sind wenig profiliert. Lear ist hier nur einer von vielen, die in dieser Tragödie leiden müssen. Tomas Möwes in der Titelpartie erlangt nur selten die erforderliche Bühnenpräsenz, obwohl er seinen Part musikalisch souverän durchsteht (seine Stimme ist allerdings recht wenig nuanciert, er hat im Wesentlichen eine einzige Klangfarbe für das gesamte Werk). Von den bösen Schwestern imponiert Zsuzsanna Bazsinka als virtuos-verspielte Regan; die Wagner-erfahrene Jayne Casselman dagegen blieb als Goneril recht blass gerade in den dramatischen Abschnitten hat sie zu wenig zuzusetzen. Mit Michaela Kaune ist die Rolle der Cordelia deshalb problematisch besetzt, weil die Sängerin kaum etwas von der Mädchenhaftigkeit ausstrahlt, die gerade in dieser Inszenierung nötig wäre; musikalisch allerdings bewältigt sie ihren Part ebenso solide wie Rainer Maria Röhr als intriganter Edmund. Der bereits erwähnte David Cordier glänzt im hohen Register; in der tenoralen Lage ist die Stimme recht dünn sein Edgar ist der Narr, aber kaum der Hoffnungsträger. Dieter Hönig verleiht dem Graf Gloster trotz dünner Stimme musikalisch wie schauspielerisch klare Konturen. Uwe Schönbeck als Narr eine Sprechrolle ist in dieser Inszenierung eigentlich überflüssig und läuft trotz engagierten Spiels so nebenher mit; er ist einer aus Lears Gefolge, der ab und zu etwas sagen darf mehr weiß der Regisseur nicht mit der Figur anzufangen.
Die musikalischen Glanzpunkte setzen einmal mehr die Essener Philharmoniker, die mit einer Präzision aufwarten, als hätten sie nie etwas anderes als Reimann gespielt. Zuletzt hat diese Perfektion, die das Orchester unter seinem Chefdirigenten Stefan Soltesz erreicht hat, zu allzu oberflächlichem Glanz geführt bei Reimanns scharfen Clustern ist das wahrlich nicht zu befürchten. Soltesz ist sicher kein Freund der entfesselten Extase, und selbst in der Sturmmusik ist die Musik sehr kontrolliert. Aber er erzielt von Beginn an eine untergründige Spannung, die weniger von einzelnen Höhepunkten lebt als vielmehr in ihrer kontinuierlichen Entwicklung dem Drama den Sog verleiht, den die Personenregie oft vermissen lässt. Je weniger auf der Bühne geschieht, desto mehr beginnt die Musik zu reden. Zu den Stellen, in denen Musik, Bühne und Regie überzeugend ineinander greifen, gehört der Schluss: Nach einem absurd albernen Fechtkampf zwischen Edgar und Edmund und einem allzu plakativen Schockeffekt mit der erhängten Cordelia da muss man leider durch - holt Lear erneut den Filmprojektor hervor, und noch einmal laufen die Bilder aus besseren Zeiten ab. Er hat es nicht verstanden, das Erwachsenwerden seiner Kinder zu akzeptieren. Die Musik erstirbt mit dem Auslaufen des Films. Am Ende bleibt, Zeichen der Auslöschung, eine leere Fläche übrig. Ein in seiner Idee überzeugendes Konzept wird nur teilweise durch die Inszenierung legitimiert - und zwar vor allem dann, wenn der Regisseur sich auf symbolischer Ebene bewegt und das geniale Bühnenbild einbezieht. Zwischenzeitlich wird der in der Summe eindrucksvolle Abend durch manche Banalität getrübt. |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Ausstattung
Licht
Choreinstudierung
SolistenKönig Lear Tomas Möwes
König von Frankreichn
Herzog von Albany
Herzog von Cornwall
Graf von Kent
Graf von Gloster
Edgar
Edmund
Goneril
Regan
Cordelia
Narr
Soldat
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- Fine -