Nichts rührt sich - Don Carlo im Streik der Gefühle
Von Silvia Adler
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Fotos von Thilo Beul
Wie kaum ein anderer Komponist gilt Guiseppe Verdi dem Opernpublikum als Garant für dramatisches Feuer und leidenschaftliches Pathos. Auch im Don Carlo, der 1867 in Paris uraufgeführt wurde und als Wendepunkt zwischen dem traditionellen melodramma und den beiden letzten Shakespeare-Vertonungen gilt, findet sich die ganze Bandbreite menschlicher Gefühle: Liebe und Eifersucht, Machtgier und Verrat bilden den explosiven Stoff aus dem das verhängnisvolle Drama gemacht ist.
Tamar Iveri als Elisabeth von Valois
und Endrick Wottrich als Don Carlos
Wer hochdosierte Emotionen erwartet hatte, musste sich in David Mouchtar-Samorais Don Carlo-Inszenierung, die am Sonntag in der Oper Bonn Premiere hatte, allerdings auf eine längere Durststrecke gefasst machen. Seltsam unbeteiligt und verloren agierten die Protagonisten im modernistischen Bühnenbild von Heinz Hauser zwischen den herabgesenkten Stahlzylindern, die das Kloster von St. Juste markierten. Besonders zu Anfang, in der düsteren Kreuzgangszene, herrschten auf der Bühne weitgehend Lethargie und emotionaler Kahlschlag. Wie eine allzu blasse Kopie der emotionsgeladenen Übertitel vermittelte das statische Bühnengeschehen kaum etwas von der spannungsreichen Dramatik der von Schiller inspirierten Handlung. Trotz durchaus überzeugender gesanglicher Leistungen, gelang es weder Endrick Wottrich, den liebeskranken Don Carlos, noch Heikki Kilpeläinen, den freiheitsbegeisterten Marquis de Posa wirklich glaubhaft zu verkörpern. Die groțen Leidenschaften köchelten meist auf Sparflamme, sodass die zu Herzen gehende musikalische Expressivität auf der Bühne nur wenig Widerhall fand. Allzu blass geriet auch der feurig-pathetische Freundschaftsschwur am Schluss der Szene, der den Zuschauer trotz der mitreițenden Musik kaum berührte.
Leandra Overmann als Prinzessin Eboli
und Endrick Wottrich als Don Carlos
Erst im kühlen, königlichen Garten - im minimalistischen Bühnenbild von einem übergroßen Blatt symbolisiert - frischte die Inszenierung etwas auf. Dies war nicht zuletzt der hervorragenden Leistung von Leandra Overmann zu verdanken, die mit der bravourös gestalteten Schleierarie der Eboli einen echten musikalischen Höhepunkt setzte. Auch Tamar Iveri als Elisabeth gelang es mit ihrer wunderbar intensiven, klangreinen Stimme, den emotionalen Stillstand zu durchbrechen und der Figur die nötige Ausstrahlung zu verleihen. Leider konnte die Inszenierung die plötzlich gewonnene Intensität nicht lange durchhalten. Enttäuschend leidenschaftslos wirkte vor allen die langersehnte Begegnung zwischen Elisabeth und Don Carlos. Auch das mitternächtliche Stelldichein mit der tiefverschleierten Eboli kam über halbherziges Händchenhalten nicht hinaus. Etwas zu teilnahmslos blieb auch Gleb Nikolskij als König Philipp in der demütigenden Konfrontation mit seiner jungen Frau.
Elisabeth und Don Carlo mit Mumie
Immer wieder ließ die unzureichende Personenregie den mühsam aufgebauten Spannungsbogen in sich zusammenbrechen. Dabei wirkte der Ansatz des Regisseurs, den konfliktreichen gesellschaftlichen Hindergrund des Stückes zu beleuchten und die Tragödie der Inquisition in den Vordergrund zu rücken, als Gesamtkonzept durchaus schlüssig: Auf der Bühne versinnbildlichten mumienhaft verhüllte Skulpturen die gespenstische Totenruhe des gefesselten Landes. Eindrucksvoll unterstrich ihre ständige Präsenz die Allgegenwart von Bespitzelung, Unterdrückung und Fanatismus. Starken Eindruck hinterließen auch die Szenen mit dem stimmgewaltigen Vladimir Vaneev als Groținquisitor. Gebrechlich bis zur völligen Hinfälligkeit steigerte er sich immer wieder in einen religiösen Eifer, der ihm unheimliche Kräfte verlieh. Im Streitgespräch mit König Philipp erlangte der Greis eine so frische Jugendlichkeit als stünde er mit dem Teufel im Bunde. Wirklich schade, dass die Inszenierung für Freiheitspathos und Rebellion nicht ebenso eindrucksvolle Bilder finden konnte. Weder Don Carlos Begeisterung für die Befreiung Flanderns noch Posas heldenhafte Selbstaufopferung wurden wirklich plastisch. Dabei hatte sich das italienische Publikum zu Verdis Zeiten vor allem von den freiheitlichgesinnten Verschwörungsszenen gerührt und hingerissen gezeigt.
Gleb Nikolskij als Philipp II.
Auch musikalisch wollte der revolutionäre Funke nicht wirklich zünden. Oft recht hölzern, ließ das Orchester unter der Leitung von Wolfgang Ott die nötige Emphase vermissen, die gerade der pathetische Freiheitsschwur oder die heroische Kerkerszene gebraucht hätten. So konnte auch das stetig wiederkehrende Solidaritätsmotiv erstaunlich wenig rühren. Nicht recht organisch wirkten auch die spannungsreichen polyphonen Ensembles, deren Intonation oft gefährlich getrübt war. Alles in allem hätte etwas mehr klangliche Intensität in den dramatischen Höhepunkten und mehr Zurückhaltung bei der Begleitung der Arien - in denen unscheinbare Begleitmotive oft viel zu präsent hervorstachen - der Aufführung sicher nicht geschadet.
Erstaunlich einhellig war an diesem Abend die deutlich abgestufte Reaktion des Publikums: Euphorische Zustimmung für Leandra Overmann, Tamar Iveri und Vladimir Vaneev; etwas zurückhaltenderer Beifall für Dirigent und Orchester und ein heftiges Buhkonzert für die Regie.
FAZIT
Sehr statische Inszenierung mit einigen stimmlichen Glanzpunkten aber deutlichen Defiziten in der Personenregie. Leider auch von musikalischer Seite oft nicht eindringlich genug. Nur wenig Temperament und musikalisches Feuer.
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Produktionsteam
Musikalische Leitung
Wolfgang Ott
Regie
David Mouchtar-Samorai
Bühne
Heinz Hauser
Kostüme
Anna Eiermann
Chor
Sibylle Wagner
Licht
Jürgen Zoch
Dramaturgie
Laura Berman
Chor und Extrachor der Oper der Bundesstadt Bonn
Orchester der Beethovenhalle Bonn
Solisten
Philipp II., König von Spanien
Gleb Nikolskij
Elisabeth von Valois
Tamar Iveri
Don Carlos, Infant von Spanien
Endrik Wottrich
Prinzessin Eboli
Leandra Overmann
Rodrigo, Marquis von Posa
Heikki Kilpeläinen
Großinquisitor
Vladimir Vaneev
Ein Mönch
Taras Konoshchenko
Graf von Lerma
Erik Biegel
Gräfin von Aremberg
Asta Zubaite
Tebaldo
Gisela Stille
Ein königlicher Herold
Josef-Michael Linnek
Stimme vom Himmel
Ann-Christine Larsson
Sechs flandrische Deputierte
Stefan Baumgärtel, Algis Lunskis,
Mark Morouse, Hartmut Nasdala,
Reuben Willcox, Pieris Zarmas
Mönche
Johannes Flögl, Adnan Gündogdu,
Egbert Herold, Martin Maßmann,
Volker Philippi, Guido Scheer
Schauspieler
Günter Disch, Frank Frede,
Kai Mönnich, Mario Scheel,
Philipp Sebastian, Christoph Thiebes
Weitere Informationen
erhalten Sie von der
Oper Bonn (Homepage)
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