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Die Zauberflöte

Eine deutsche Oper in zwei Aufzügen
Text von Emanuel Schikaneder

ohne Dialoge

Premiere in Gelsenkirchen am 15. 1. 2000



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Schillertheater NRW
(Homepage)

Szenen einer Ehe -
Familienkrieg im Hause Sarastros




Von Meike Nordmeyer / Fotos von Rudolf Majer-Finkes



Nun ist es also soweit: Regisseur Hilsdorf vervollständigte jetzt seine Reihe von Mozart-Inszenierungen mit der Aufführung der Zauberflöte. Wie nicht anders zu erwarten, gab es eine höchst ungewöhnliche Interpretation dieser so beliebten Oper von Mozart. Schon das Programmheft ist äußerst originell gestaltet. Vorgeschlagen wird dort, die Szenen der Zauberflöte völlig neu zu ordnen unter Zuhilfenahme von bestimmten alphabetisch geordneten Oberbegriffen, die zum größten Teil aus dem Buch Fragmente einer Sprache der Liebe von Roland Barthes entnommen sind - so sei die Mozart-Oper sicher noch nie aufgeführt worden.

Sehr frei geht die Regie auch in der Aufführung selber mit der Zauberflöte um, was jedoch die Reihenfolge der Szenen angeht, wird nicht so radikal kombinatorisch verfahren wie im Programmheft angegeben. Der Ablauf der Geschichte bleibt im großen und ganzen durchaus eingehalten. Dennoch gibt es freilich vielerlei Überraschungen: einige Umstellungen der Szenen wurden auch hier vorgenommen, die gesprochenen Dialoge bleiben ausgespart, und auch Neues ist hinzugefügt: zwei Stücke aus dem erst kürzlich entdeckten Singspiel Der Stein der Weisen sind eingearbeitet. Damit entstand eine außergewöhnliche Zauberflöte, die überraschende Gedankenspiele auslöst.

Foto: Gelsenkirchen: Zauberflöte Tamino (Mark Adler, sitzend) wird von seinem Doppelgänger
Papageno (Joachim Gabriel Maaß) überrascht.

Auch in der Personage zeigt sich ein freier Umgang mit der Vorlage: Sarasto und die Königin der Nacht werden als Elternpaar von Pamina aufgefaßt. Es ist keine unbekannte Deutung, die beiden Hauptfiguren als Darstellung der zwei komplementären Seiten des elterlichen Prinzips zu verstehen. Nur konsequent ist es daher von Hilsdorf, das Experiment durchzuführen, auch weitere Personen als Familienmitglieder zu behandeln: Tamino als Sohn, die drei Damen sind die Tanten und Nichten. Papageno hingegen ist der Doppelgänger von Tamino - sein sinnlich-triebhaftes Gegenstück, sein Es? Papagena ist eine der drei Damen.

Foto: Gelsenkirchen: Zauberflöte Mutter und Tochter:
Die Königin der Nacht (Kristina Totzek)
und Pamina (Claudia Braun).

Die ganze Geschichte spielt sich im Schloß des Ehepaars Sarasto und der Königin der Nacht ab. Das weitläufige, schon sehr morbide anmutende Gebäude ist dargestellt durch eine raffinierte bewegliche Bühne. Die Wände haben ihren Dreh- und Angelpunkt in der Mitte des runden Bühnenaufbaus und bilden damit ständig neue Räume mit immer wieder neuen, geheimnisvollen Stimmungen. Die Eheleute, die in diesem Räumen gemeinsam hausen, verstehen sich nicht mehr, sie sind zerstritten. Nur einmal, als der Flöte Zauberton erklingt, sieht man sie glücklich vereint wie einst, aber schnell ist dieser versöhnliche Zauber wieder vorbei. Sarasto nimmt es sehr wichtig mit seinen Zöglingen, nach väterlichem Prinzip unterstellt er sie einem strengen System von Überwachung und Strafe - nicht zufällig wird im Programmheft Foucault zitiert. Der Vater will die Kinder mit Strenge zum Guten erziehen und meint, dafür die Kinder dem Einfluß der Mutter entziehen zu müssen. Sie rast wütend durch das Haus. Ein Ehekrieg bricht aus mit dem üblichen Zank um die Kinder, dem Streit um das Sorgerecht, in dessen Strudel auch die Kinder selbst geraten, all das ist heute leidlich bekannt. Eine dekadente barocke Gesellschaft schaut neugierig zu.

Foto: Gelsenkirchen: Zauberflöte Die drei Knaben als Mumien
(Tina Scherer, Martina Kellermann, Angela Froemer)
im Gespäch mit Pamina (Claudia Braun).

Der Vater hat in einigen Räumen des Hauses seine geheimbündlerischen Hallen eingerichtet; von der Frau dürfen sie nicht betreten werden. Hier will er die Kinder erziehen, indem er ihnen schwere Prüfungen auferlegt. In dem Kult, den Sarastros Männerbund pflegt, werden bekanntlich die ägyptischen Gottheiten Isis und Osiris beschworen. Hilsdorf macht einen Totenkult von ägyptischer Herkunft daraus. Die drei Knaben sind wiederkehrende Mumien, eine der Prüfungen besteht in nekrophilen Praktiken. Das ist eine originelle, bühnenwirksame Idee. Zusätzlich werden die Geschehnisse in Sarastos Haus stark erotisiert, überall wird angebändelt, Papageno und Papagena fangen sofort mit Kinder-machen an.

Das Finale bringt dann noch einen Knalleffekt nach Hilsdorf-Art, nachdem sich der durchaus für drastische Aktionen geliebt und gefürchtete Regisseur zuvor sehr zurückgehalten hatte und sich auf sein Familien-Spiel konzentrierte. Zum Schluß dringen bewaffnete Männer ins Schloß ein, vielleicht Revolutionäre oder vom Vater bestellte Schergen, die den Aufstand der Mutter verhindern sollen. Die Kinder geraten in die Schußlinie und kommen bei der Schießerei um. Die Eltern bekümmern die zahlreichen Toten nicht, sie reichen sich nun freundschaftlich die Hand. Ein rätselhafter Schluß, der hier angeboten wird, der aber nicht gerade einleuchtet. Der zweifellos besonderen, originellen Inszenierung fehlt doch die letzte Überzeugungskraft; der ganz große Wurf, wie er bei einigen anderen Werken von Hilsdorf gelingen konnte, ist sie nicht.

Das Regieteam konnte sich bei seiner Arbeit auf ein überaus engagiertes Ensemble verlassen, das sehr konzentriertes und genaues Spiel zeigt. Dazu stellen alle Beteiligten gesanglich rundum zufrieden. Ausgesprochen schönstimmig und kultiviert erklingt Mark Adler als Tamino. Er weiß seinen Gesang nachdenklich abzutönen und dann wieder zu klangvollen Tönen der Sehnsucht hinzuführen. Entsprechend empfindsam und zerbrechlich legt dazu Claudia Braun die Partie der Pamina an. Sehr fein zurückgenommen und innig erklingt ihre Arie "Ach, ich fühl's". Immer noch absolut verläßlich und ausgewogen gibt Hartmut Bauer den Sarasto. Kristina Totzek als die Königin der Nacht bot sehr sichere, absolut problemlose Koloraturen. Es fehlte der kleineren Stimme aber etwas an der nötigen Dramatik. Höchst überzeugend gestaltet Joachim Maaß den Papageno. Schelmisch gibt er sich sowieso, aber darüber hinaus bietet er einen sehr differenzierten Charakter-Papageno. Wie immer kann Maaß mit seinem Spiel absolut überzeugen.

Dicht gearbeiteten, konzentrierten Mozart-Klang gab es vom Orchester in kleiner Besetzung unter der Leitung von Samuel Bächli zu hören. Beeindruckend auch die genauste Zusammenarbeit mit den Sängern und das verständige Eingehen des Dirigates auf die Regie.

Der anspruchsvolle Beitrag aller Beteiligten ließ eine außergewöhnliche Zauberflöte entstehen, die höchst spannend und beziehungsreich ist. Das Publikum zeigte sich begeistert von der musikalischen Ausführung und bedachte auch die Inszenierung mit einigen Bravo-Rufen. Ein solches hochexplosives Gemisch von großen Begeisterungsstürmen und gleichzeitigen Buh-Rufen wie bei vorangegangenen Hilsdorf-Inszenerungen gab es allerdings nicht.


FAZIT
In Gelsenkirchen wurde zweifellos eine Ausnahme-Zauberflöte erarbeitet: eine eigenwillige Inszenierung in hochwertiger musikalischer Ausführung.


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Produktionsteam

Regie
Dietrich Hilsdorf

Musikalische Leitung
Samuel Bächli

Bühne
Dieter Richter

Kostüme
Renate Schmitzer

Choreinstudierung
Nandor Ronay

Licht
Bernd Krzistetzko

Dramaturgie
Norbert Grote



Neue Philharmonie Westfalen
Chor und Extrachor
des Musiktheaters Gelsenkirchen


Solisten

Sarasto / Vater
Hartmut Bauer

Königin der Nacht / Mutter
Kristina Totzek

Pamina / Tochter
Claudia Braun

Tamino / Sohn
Mark Adler

Papageno / Doppelgänger
Joachim Gabriel Maaß

3. Dame / Tante
Eva Tamulénas

1. Dame / Nichte
Elise Kaufman

2. Dame / Nichte / Papagena
Anke Sieloff

Specher / 1. Priester / 2. Geharnischter
Minister
Thomas Laske

2. Priester / 1. Geharnischter
Minister
Dan Karlström

Monostatos / Mohr
Florian Simson

1. Knabe / Mumie
Tina Scherer

2. Knabe / Mumie
Martina Kellermann

3. Knabe / Mumie
Angela Froemer



Weitere Informationen
erhalten Sie vom
Schillertheater NRW (Homepage)




















Foto: Gelsenkirchen: Zauberflöte


Das Programmheft



Da capo al Fine

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