Zur OMM-Homepage Zur OMM-Homepage Veranstaltungen & Kritiken
Musiktheater
Zur Homepage Zur Musiktheater-Startseite E-mail Impressum



Faust
Oper in vier Akten
Text nach J.W. von Goethe von Jules Barbier und Michel Carré
Musik von Charles Gounod

In französischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Premiere am 20. Mai 2000
im Aalto-Theater Essen


(rezensierte Aufführung: 23.5.2000)


Logo:  Theater Essen

Theater Essen
(Homepage)

Ein Seniorenstudent sieht Gelb Schwarz Rot

Von Stefan Schmöe / Fotos von Harald Reusmann



"Habe nun, ach! Philosophie, Juristerei und Medizin und leider auch Theologie durchaus studiert mit heißem Bemühn!": Wer wie Faust heute gleich in mehreren Fächern einen deutschen Universitätsabschluß erhalten möchte, der verläßt die Hochschule in fortgeschrittenem Alter. Und da ein Dr. phil. auf der Visitenkarte noch lange keinen Zugang zum freien Arbeitsmarkt garantiert, läßt Michael Schulz seinen Faust gleich von der Assistentenstelle in die Sozialhilfe abrutschen: Ein tragischer Fall von Akademikerarbeitslosigkeit. Kein Wunder, dass der depressive Langzeitstudent sich ins Nirwana spritzen will, nur kommt ihm der Teufel dazwischen: Warum gleich zum Äußersten gehen und nicht erst einmal ein bewußtseinserweiterndes Halluzinogen ausprobieren? Dank der intravenös zu verabreichenden Droge erlebt Faust dann doch noch drei ziemlich lange Akte.

Irgendwas, mag Regisseur Michael Schulz gedacht haben, muss aus dieser blöden Oper doch zu machen sein, die den Faust dramaturgisch auf ein armseliges bürgerliches Moral- und Rührstück zurecht stutzt, und doch, Fluch der ungeheuren Rezeptionsgeschichte, den Atem des alten Goethe im Nacken nie los wird. "Um einen Zugriff auf die Personen dieser Oper zu erhalten ...sind wir auf die Möglichkeit gestoßen, daß Werk in drei Teile zu gliedern" schreibt Dramaturgin Ina Wragge etwas holprig im Programmheft, und so gibt es nach dem "Prolog" die Abschnitte "Mephisto", "Faust" und "Margarete". Um dem Zuschauer diese Dreiteilung so richtig deutlich zu machen, taucht Schulz bzw. dessen Ausstatter Michael Scott die Mephisto-Sphäre einschließlich Chor und Statisterie in knalliges Gelb, Faust bekommt existentialistisches Schwarz, und Margarete, wie originell, ein blutiges Rot (wobei sie selbst natürlich jungfräulich weiß gewandet ist). Auf die Dauer geht dieses bei Regisseuren immer wieder beliebte Konzept ziemlich auf die Nerven. Und eigentlich müßten alle Teile "Mephisto" heißen, denn die Akteure sind durchweg Puppen von des Teufels Gnaden: Auf der Bühne fehlt der Dreiteilung die Überzeugungskraft.


Szenenfoto Symmetrisch arrangierte Puppen von Mephistos (Marcel Rosca, vorne) Gnaden: Der Chor

Faust, Margarete, Siebel und Valentin werden von Schulz zu "Protagonisten einer Idee" degradiert: Faust als Triebwesen (hier geht es um Sex), Margarete als Inkarnation der gefallenen Jungfrau, Valentin als Prototyp des tapferen, gottesfürchtigen Soldaten, und Siebel als Idee des selbstlos aber naiv Liebenden. In der Tat krankt die Oper an dieser Vereinfachung (wie fast alle Opern des 19. Jahrhunderts - den durch das Bürgertum geprägten Zerrbildern konnte sich die bürgerliche Kunst praktisch nicht entziehen), aber allein dieses überdeutlich zu machen, das liefert noch keinen wirklich sehenswerten Regieansatz. Den aber bleibt Schulz letztendlich schuldig.

Nicht dass der Regisseur nicht ambitioniert an die Sache herangegangen wäre, aber die verschiedenen Ideen laufen auseinander. Ist das alles nun die Vision des alten Faust ? (Wenn ja - mit welchen Konsequenzen?) Zwar geistert der Grufti - mit einem anderen Sänger besetzt als der strahlende Jüngling (was plausibel ist), gelegentlich über die Bühne, aber das reicht nicht aus, um die einzelnen Szenen zu verklammern. Verweigerung jeglichen Realismus? Valentins Tod ist grotesk verfremdet, der Sterbende zieht vor dem Exitus noch ganz korrekt seine Uniform an, um in den Stiefeln zu sterben. Andererseits erleben wir sehr naturalistisch Gretchens Abtreibungsversuche. Dann immer wieder symbolische Überhöhung: Margarete gebiert einen gelbgrünen Teufel. Aber die Symbolik ist auf den Effekt ausgerichtet, fügt sich nicht zu einem geschlossenen Konzept.


Szenenfoto Jugendlicher Liebhaber: Siebel (hier: Marie-Hélène Joël, die in der Premiere sang) ist nur mit Spezialgriffen zu halten

Es ist sicher ein richtiger Ansatz, der wunderschönen, aber eben auch zuckersüßen Musik herbe und sperrige Bilder entgegenzusetzen. Aber was Ideen- und Assoziationsreichtum betrifft, da steht Schulz doch hinter Dietrich Hilsdorf zurück, dessen Inszenierungen in Essen Maßstäbe gesetzt haben. Hilsdorf scheint überhaupt seltsam gegenwärtig: Das Bühnenbild, ein sich perspektivisch nach hinten stark verjüngender Tunnel, der Zeit und Raum aufhebt, zitiert Hilsdorfs Aida-Finale, die Einblendungen auf den Vorhang den Trovatore, die Luftballons den Don Carlos. Doch der Biss eines Hilsdorf (oder Konwitschny), der fehlt.

Zielsicherer geht Dirigent Patrick Ringborg an die Oper heran: Mit den einmal mehr hervorragenden Essener Philharmonikern kostet er die Schönheiten der Partitur voll aus. Die Tempi sind sehr schön ausgewogen, die Entwicklungen homogen und natürlich. Die Musiker dürfen kräftig auf die Pauke hauen, ins Horn blasen etc., aber wenn jemand singt, dann hält sich das Orchester wunderbar begleitend zurück Und dieser Wechsel funktioniert so elegant, dass er nie auffällt: So viel schmeichlerischer Charme war selten. Dagegen können sich die Sänger nicht ganz so sehr profilieren, wenngleich das Niveau gut ist. Thomas Piffka und Zsuzsanna Bazsinka sind ein jugendlich strahlendes Liebespaar, dem lediglich nur das letzte Quäntchen lyrischer Schmelz fehlt, Marcel Rosca legt als Mephisto Wert auf Eleganz; er müßte noch ein wenig mehr Schärfe, Schwärze besitzen, um auch das Bösartige verkörpern zu können. Mit knabenhafter Frische singt Gritt Gnauck den Siebel. Und Philip Doghan gibt dem alten Faust die nötige tenorale Kraft, aber auch die Resignation.


FAZIT
Die Oper gibt nicht her, was der Regisseur möchte: Mit Goethe im Hinterkopf hat Michael Schulz viel vor, verheddert sich aber im undurchsichtigen Gestrüpp seiner divergierenden Ansätze. Gounods Melodien strömen davon unbeeindruckt weiter.


Ihre Meinung ?
Schreiben Sie uns einen Leserbrief
(Veröffentlichung vorbehalten)

Produktionsteam

Musikalische Leitung
Patrick Ringborg

Inszenierung
Michael Schulz

Ausstattung
Michael Scott

Choreinstudierung
Alexander Eberle

Licht
Hartmut Litzinger



Die
Essener Philharmoniker

Opern- und Extrachor
des Aalto-Theaters

Statisterie



Solisten



Alter Faust
Philip Doghan

Junger Faust
Thomas Piffka

Méphistophélès
Marcel Rosca

Marguerite
Zsuzsanna Bazsinka

Valentin
Heiko Trinsinger

Wagner
Andreas Baronner

Siebel
Grit Gnauck

Marthe
Margarita Turner


Weitere Informationen
erhalten Sie vom
Theater Essen (Homepage)




Da capo al Fine

Zur Homepage Zur Musiktheater-Startseite E-mail Impressum

© 2000 - Online Musik Magazin
http://www.omm.de

- Fine -