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Blutopfer zur Rettung DeutschlandsVon Stefan Schmöe
Heinrich, ein besonders edler deutscher Ritter des Hochmittelalters ist krank. Was die Sache prekär macht: Nur der freiwillige Opfertod einer unschuldigen Jungfrau kann ihn heilen. Eine solche Jungfrau ist in der Oper natürlich schnell zur Hand, und Agnes, deren Eltern den armen Heinrich pflegen, möchte sich in frommer Entzückung nur zu gerne bei lebendigem Leibe das Herz herausschneiden lassen. Aber, höchstes religiöses Wunder, sie darf (wenn auch stumm) am Leben bleiben, als Heinrich in letzter Sekunde auf das Opfer verzichtet, dadurch geläutert wird und geheilt sein weiteres Leben in Demut verbringen will. Das unsägliche Libretto von James Grün, der einer mittelalterlichen Dichtung Hartmann von Aus noch den letzten Rest an Humor austrieb (bei Hartmann dürfen Agnes und Heinrich wenigstens noch heiraten), steht heute einer Verbreitung des Armen Heinrich derart massiv im Wege, daß auch die geheimnisvoll schwebende, über weite Strecken faszinierende Musik nicht mehr viel retten kann. Kämpfend: Heinrich steht mit beiden Beinen fest auf deutscher Literatur
Der schwächelnde Ritter, der nur durch eine hingebungsvolle Jungfrau seine Kraft zurückerhält - diese überdeutliche Sexualsymbolik steht nicht nur zeitlich in der Nähe der Psychoanalyse, und Siegmund Freud, Zeitgenosse Pfitzners, ist in John Dews Dortmunder Inszenierung allgegenwärtig: Verkörpert durch Bodo Busse sitzt er schweigend am Bühnenrand an einem kleinen Schreibtisch und bittet wechselnd die Akteure auf seine Couch. Damit schafft Dew geschickt eine Brechung zu dem mystischen Gründerzeit-Spektakel, daß sich dahinter abspielt. Im eindrucksvollen, immer wieder mit überraschendem Effekt ausgeleuchteten Bühnenbild von Heinz Balthes (ein Reigen von engelhaften Jugendstilstatuen umgibt die Bühne, dahinter zeigt ein Prospekt Helden und Heerführer vergangener Epochen) entfaltet die Musik durchaus ihre magische Wirkung. Heinrichs Sessel, aus Büchern (Schopenhauer, Luther, Nietzsche, Wagner) zeugt leider unfreiwillig karikierend vom volkshochschulnahen Bildungsauftrag des Dortmunder Theaters. Entsagend: Agnes bekundet den Eltern ihren Opferwillen
Dew deutet die erlösungssüchtige Endzeitstimmung des Armen Heinrich als Ausdruck deutscher Befindlichkeit im Wilhelminischen Kaiserreich, und die vermeintliche Erlösung ist der große Krieg. Agnes Opfer ist die Uniform, die sie sich überzieht, und der Arzt und Henker ein schneidiger kaiserlicher General. Das Dies irae singen bei John Dew nicht die Mönche, sondern die Soldaten, bevor sie in den Schützengräben bei Verdun verrecken. Bis hierhin wird in Dortmund grandioses Theater geboten, optisch, intellektuell und auch musikalisch. Gesungen wird ausnahmslos auf sehr hohem Niveau (lediglich der Chor dürfte an klanglichen Konturen noch gewinnen), wobei Norbert Schmittbergs heldentenoral leidendem Heinrich die Krone gebührt. Und unter dem Dirigat von Alexander Rumpf entwickelt das Orchester die unendliche Melodie Pfitzners höchst delikat und mit großer Spannung. Nie massiv, sondern auch in den Ausbrüchen weich im Klang, findet Rumpf ganz hervorragend Zugang zu dieser Musik. Dies ist das eigentliche Ereignis an diesem Abend. Rettend: Agnes nimmt Abschied von Heinrich und folgt dem Ruf des Generals
Das pathetische Finale, in dem die Heilung auch ohne Opfer erfolgt (Agnes' Verstummen ist wohl weniger Strafe als Ausdruck schönster weiblicher Demut), ist natürlich der ganz besonders heikle Punkt des Werkes. Und Regisseur John Dew ist für extravagante Schlußpointen berüchtigt. Die Kombination von beiden verheißt, vorsichtig gesagt, nichts Gutes. So verschlägt einem das Ende den Atem: Während im Hintergrund der zerbombte Reichstag vom Ende des 2.(!)Weltkriegs kündet, erhält Agnes ein Ehrengrab, an dem Bundeswehrsoldaten einen Kranz niederlegen. Heinrich taucht geläutert in die Friedensbewegung unter und trägt jetzt Breitcordhosen, der kaiserliche General ist Bonner Finanzminister mit leeren Kassen. Würde die Musik noch länger dauern, Heinrich würde ganz sicher als erster grüner Außenminister deutsche Blauhelme in den Balkan schicken. Der grelle Schlußeffekt ist ärgerlich, weil er auf seine Weise pathetisch ist - mit dem triumphalen Pathos dessen, der es besser weiß (und hundert Jahre deutsche Geschichte in ein buntes Bildchen packen will). Nicht die kräftigen Buhs (einer schrie sogar entsetzt Pfui!) derer, die ohnehin nicht verstehen wollten, sondern der vergleichsweise dünne Beifall dahinter sollte Dew zu denken geben. Vielleicht wäre er stärker ausgefallen, hätte er dem Publikum mehr eigene Gedanken zugetraut. Denkanstöße hat er auch zuvor genug gegeben.
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Produktionsteam
Musikalische Leitung
Regie
Bühne
Kostüme
Choreinstudierung
SolistenHeinrichWolfgang Schmittberg
Dietrich
Hilde
Agnes
Arzt
Siegmund Freud (stumm)
Fragend: Der kranke Heinrich versteht das Schicksal nicht
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- Fine -