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Der arme Heinrich
Musikdrama in drei Akten
Text von James Grun
Musik von Hans Pfitzner;

Premiere im Theater Dortmund
am 05. Dezember 1999


Logo:  Theater Dortmund

Theater Dortmund
(Homepage)

Blutopfer zur Rettung Deutschlands

Von Stefan Schmöe



Heinrich, ein besonders edler deutscher Ritter des Hochmittelalters ist krank. Was die Sache prekär macht: Nur der freiwillige Opfertod einer unschuldigen Jungfrau kann ihn heilen. Eine solche Jungfrau ist in der Oper natürlich schnell zur Hand, und Agnes, deren Eltern den armen Heinrich pflegen, möchte sich in frommer Entzückung nur zu gerne bei lebendigem Leibe das Herz herausschneiden lassen. Aber, höchstes religiöses Wunder, sie darf (wenn auch stumm) am Leben bleiben, als Heinrich in letzter Sekunde auf das Opfer verzichtet, dadurch geläutert wird und geheilt sein weiteres Leben in Demut verbringen will.

Das unsägliche Libretto von James Grün, der einer mittelalterlichen Dichtung Hartmann von Aus noch den letzten Rest an Humor austrieb (bei Hartmann dürfen Agnes und Heinrich wenigstens noch heiraten), steht heute einer Verbreitung des Armen Heinrich derart massiv im Wege, daß auch die geheimnisvoll schwebende, über weite Strecken faszinierende Musik nicht mehr viel retten kann.

Szenenfoto Kämpfend: Heinrich steht mit beiden Beinen fest auf deutscher Literatur

Der schwächelnde Ritter, der nur durch eine hingebungsvolle Jungfrau seine Kraft zurückerhält - diese überdeutliche Sexualsymbolik steht nicht nur zeitlich in der Nähe der Psychoanalyse, und Siegmund Freud, Zeitgenosse Pfitzners, ist in John Dews Dortmunder Inszenierung allgegenwärtig: Verkörpert durch Bodo Busse sitzt er schweigend am Bühnenrand an einem kleinen Schreibtisch und bittet wechselnd die Akteure auf seine Couch. Damit schafft Dew geschickt eine Brechung zu dem mystischen Gründerzeit-Spektakel, daß sich dahinter abspielt.

Im eindrucksvollen, immer wieder mit überraschendem Effekt ausgeleuchteten Bühnenbild von Heinz Balthes (ein Reigen von engelhaften Jugendstilstatuen umgibt die Bühne, dahinter zeigt ein Prospekt Helden und Heerführer vergangener Epochen) entfaltet die Musik durchaus ihre magische Wirkung. Heinrichs Sessel, aus Büchern (Schopenhauer, Luther, Nietzsche, Wagner) zeugt leider unfreiwillig karikierend vom volkshochschulnahen Bildungsauftrag des Dortmunder Theaters.

Szenenfoto Entsagend: Agnes bekundet den Eltern ihren Opferwillen

Dew deutet die erlösungssüchtige Endzeitstimmung des Armen Heinrich als Ausdruck deutscher Befindlichkeit im Wilhelminischen Kaiserreich, und die vermeintliche Erlösung ist der große Krieg. Agnes Opfer ist die Uniform, die sie sich überzieht, und der Arzt und Henker ein schneidiger kaiserlicher General. Das Dies irae singen bei John Dew nicht die Mönche, sondern die Soldaten, bevor sie in den Schützengräben bei Verdun verrecken.

Bis hierhin wird in Dortmund grandioses Theater geboten, optisch, intellektuell und auch musikalisch. Gesungen wird ausnahmslos auf sehr hohem Niveau (lediglich der Chor dürfte an klanglichen Konturen noch gewinnen), wobei Norbert Schmittbergs heldentenoral leidendem Heinrich die Krone gebührt. Und unter dem Dirigat von Alexander Rumpf entwickelt das Orchester die unendliche Melodie Pfitzners höchst delikat und mit großer Spannung. Nie massiv, sondern auch in den Ausbrüchen weich im Klang, findet Rumpf ganz hervorragend Zugang zu dieser Musik. Dies ist das eigentliche Ereignis an diesem Abend.

Szenenfoto Rettend: Agnes nimmt Abschied von Heinrich und folgt dem Ruf des Generals

Das pathetische Finale, in dem die Heilung auch ohne Opfer erfolgt (Agnes' Verstummen ist wohl weniger Strafe als Ausdruck schönster weiblicher Demut), ist natürlich der ganz besonders heikle Punkt des Werkes. Und Regisseur John Dew ist für extravagante Schlußpointen berüchtigt. Die Kombination von beiden verheißt, vorsichtig gesagt, nichts Gutes. So verschlägt einem das Ende den Atem: Während im Hintergrund der zerbombte Reichstag vom Ende des 2.(!)Weltkriegs kündet, erhält Agnes ein Ehrengrab, an dem Bundeswehrsoldaten einen Kranz niederlegen. Heinrich taucht geläutert in die Friedensbewegung unter und trägt jetzt Breitcordhosen, der kaiserliche General ist Bonner Finanzminister mit leeren Kassen. Würde die Musik noch länger dauern, Heinrich würde ganz sicher als erster grüner Außenminister deutsche Blauhelme in den Balkan schicken.

Der grelle Schlußeffekt ist ärgerlich, weil er auf seine Weise pathetisch ist - mit dem triumphalen Pathos dessen, der es besser weiß (und hundert Jahre deutsche Geschichte in ein buntes Bildchen packen will). Nicht die kräftigen Buhs (einer schrie sogar entsetzt Pfui!) derer, die ohnehin nicht verstehen wollten, sondern der vergleichsweise dünne Beifall dahinter sollte Dew zu denken geben. Vielleicht wäre er stärker ausgefallen, hätte er dem Publikum mehr eigene Gedanken zugetraut. Denkanstöße hat er auch zuvor genug gegeben.


FAZIT

Ende schlecht, fast alles gut: Ebenso faszinierende wie problematische, auf jeden Fall aber spannende Opern-Wiederentdeckung mit störendem Knalleffekt.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Alexander Rumpf

Regie
John Dew

Bühne
Heinz Balthes

Kostüme
José José-Manuel Vazquez

Choreinstudierung
Granville Walker



Das Philharmonische
Orchester Dortmund

Chor, Extrachor und Statisterie
des Theater Dortmund


Solisten

Heinrich
Wolfgang Schmittberg

Dietrich
William Killmeier

Hilde
Sharon Markovich

Agnes
Michaela Kaune

Arzt
Karl-Heinz Lehner

Siegmund Freud (stumm)
Bodo Busse


Weitere Informationen
erhalten Sie vom
Theater Dortmund (Homepage)


Szenenfoto

Fragend: Der kranke Heinrich
versteht das Schicksal nicht



Szenenfoto

Protestierend: Nach den Weltkriegen ist
der gesunde Heinrich friedensbewegt



Szenenfoto

Irritierend: Der Arzt wird Nazi



Szenenfoto

Bangend: Agnes auf dem
Weg an die Front



Szenenfoto

Liebend: Agnes weiß, was sich
für eine deutsche Opernheldin
gehört und opfert sich



Da capo al Fine

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