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Tragödien aus der russischen Provinz
Von Stefan Schmöe
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Fotos von Eduard Straub
Als "Oper in drei Sequenzen" hat der ungarische Komponisten Peter Eötvös sein Werk, das 1998 in Lyon uraufgeführt worden ist, bezeichnet. Eine Vertonung von Tschechows gleichnamigem Drama ist die Oper nur indirekt, denn Eötvös bricht die Struktur des Schauspiels auf: An die Stelle einer linearen Fortentwicklung der Handlung tritt ein Ablauf, der dreimal das gleiche Geschehen aus unterschiedlicher Perspektive zeigt. Irina, Andrej (der Bruder der Titelfiguren) und Mascha stehen jeweils im Mittelpunkt einer Sequenz (wobei der Andrej-Abschnitt eigentlich von dessen Frau Natascha beherrscht wird, sodass letztendlich doch drei Frauen gegenüber gestellt werden). Drei Schwestern in wüster Landschaft: Mascha (M. Marquez, l.), Olga (Annette Seiltgen, m.) und Irina (Lisa Griffith,r.) Zu ihren Füßen liegt Bruder Andrej (Richard Byrne).
Die kindliche Irina, immer mit Luftballon unterwegs, ist die hoffnungsvollste von allen, doch just als sie sich halbherzig mit dem Baron Tusenbach verlobt, fällt dieser im Duell. Natascha, als mondänes Luxusweibchen offensichtlich in der Provinz fehl am Platze, streicht Stühle rosa als Symbol dafür, dass sie alles okkupiert; ihr Gatte Andrej ist ein netter Alkoholiker, der leider nicht einmal zur Flucht die Kraft findet. Mascha ist die graue Maus, die sich aber wildentschlossen und hemmungslos dem Offizier Verschinin hingibt (der aber kurz darauf abreisen muss). Olga, die dritte der Schwestern, schaut wie eine Gouvernante drein und hat folglich noch weniger Glück mit den Männern als die anderen Damen auf der Bühne. Regisseurin Inga Levant grenzt die Charaktere scharf voneinander ab, und dadurch bleiben sie recht schematisch - zur Identifikation bieten sie sich kaum an. Das Publikum wird auf Distanz gehalten. Natascha (M. Fadayomi, oben) liebt die Farbe rosa und quält Olga (A. Seiltgen, r.). Die Amme (M. Mödl) dagegen meidet das Licht.
Die rot ausgeschlagene Bühne ist mit Kleidungsstücken übersät - Zeichen einer Katastrophe ? - aber sonst weitgehend leer. Eine Art Portal im heruntergekommenen großbürgerlichen Stil, ist an einer Ecke wie von einem Anatomen mit dem Skalpell aufgetrennt, darunter kommt brüchiges Ziegelwerk an die Oberfläche. Hier sitzt, in der Rolle der Amme, Martha Mödl, die große alte Dame der Deutschen Oper am Rhein, wie ein Denkmal ihrer selbst (solche unfreiwillig parodistische Heldenverehrung hat dabei weder das Theater noch Frau Mödl nötig). Und da es "russische Provinz" zu inszenieren gilt, dann dürfen ein paar Eisenbahngleise und etliche Wodkaflaschen natürlich nicht fehlen. Die Symbolik des Bühnenbildes (Johannes Schütz), zu eindeutig und zu pathetisch eingesetzt, lastet auf der Inszenierung, die zwar in Einzelszenen gelungen ist, aber insgesamt zu unverbindlich bleibt. Die Charaktere sind zu wenig entwickelt und bleiben allzu künstlich-synthetisch, als dass sie die komplizierte Konzeption der Oper tragen könnten. Das komödiantische Element, dem Komponisten nach eigener Auskunft sehr wichtig, ist kaum auszumachen. Statt dessen herrscht pauschale Trostlosigkeit vor. Irgendwo zwischen Historie und Gegenwart angesiedelt, verläuft die Inszenierung letztendlich im russischen Sande. Auch die Anwesenheit von Ehemann Kulygin (P. N. Kante, m.) hält Mascha (M. Marquez) und Verschinin (L. Grabmeier) nicht von einer heftigen Liebesbeziehung ab. Natascha (M. Fadayomi, r.) ist empört !
Spannender ist da die musikalische Seite: Peter Eötvös hat eine äußerst transparente Partitur geschrieben, die zwar durchkomponiert, aber deutlich in "Nummern" aufgegliedert ist: Es gibt eine Reihe von wunderbaren, kammermusikalisch begleiteten Arien (in denen Eötvös sich, den Musikern und dem Publikum gelegentlich alle Zeit der Welt gönnt und jedem Ton nachhorcht), kontrastiert von schlagzeugdominierten Ensembles. Die Stimmen wechseln nuancenreich zwischen gesprochenen und gesungenen Passagen (was dem sehr homogenen Ensemble ausgezeichnet gelingt). Die Dur-Moll-Tonalität ist zwar vorhanden, aber sie stellt einen Rahmen dar, in dem Eötvös die Schönheit dissonanter Klänge auskostet. Alle trostlos: Mascha (M. Marquez, vorne), Olga (A. Seiltgen. m.) und die Amme (M. Mödl, l.)
Einem Kammerorchester hat Eötvös ein mittelgroßes Symphonieorchester gegenübergestellt. Der klangliche Effekt ist in Düsseldorf leider kaum wahrzunehmen. Davon abgesehen ist die musikalische Umsetzung überzeugend. Unter der Leitung von Wen-Pin Chien und Günther Albers spielen die beiden Klangkörper klangschön und zuverlässig, die Gesangspartien sind durchweg gut besetzt. Gegenüber der Uraufführung in Lyon gibt es in Düsseldorf allerdings einen ganz entscheidenden Unterschied: Ursprünglich hatte Eötvös die Oper ausschliesslich mit Männern besetzen lassen, darunter vier Counter-Tenöre. Die Düsseldorfer Fassung ist also "entschärft", wäre anders aber nicht machbar gewesen. Das musikalische Niveau in Düsseldorf rechtfertigt die Entscheidung; und für die Möglichkeit, die Drei Schwestern auf der Bühne zu erleben, ist das durchaus in Kauf zu nehmen.
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ProduktionsteamRegieInga Levant
Musikalische Leitung
Bühne
Kostüme
Licht
Videosequenzen
SolistenIrinaLisa Griffith
Olga
Mascha
Andrej
Natascha, seine Frau
Kulygin, Maschas Ehemann
Anfisa
Baron Tusenbach
Soljony
Verschinin
Doktor Iwan Romanytsch
Rodé
Fedotik
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- Fine -