Guillaume Tell
Oper in vier Akten von Etienne de Jouy und Hippolyte Bis
Musik von Giacchino Rossini
Premiere an der Wiener Staatsoper am
am 24. Oktober 1998
Von Veronika Agnes Fáncsik
rezensierte Vorstellung: 31.10.98 (3.Vorstellung dieser Produktion)
Fotos: Österreichischer Bundestheaterverband, Axel Zeininger
Endlich einmal ist nach der Ouvertüre auch die Oper zu hören:
Hampsons Volltreffer in der Wiener Staatsoper
Welch prachtvolle Geschichte ist doch die des Wilhelm Tell für eine Oper
(und besonders für die französische Grand Opéra)! Da gibt es wirklich alles, was Herz und
Geist bewegt: Ein unterdrücktes Volk, das für seine Freiheit kämpft; eine heimliche Liebe,
deren Dramatik sich aus der Feindschaft zwischen geknechteten Schweizern und Habsburgischer
Willkürherrschaft ergibt; ein Kind, dessen Leben in Gefahr gebracht wird; und ein Held, der
Patriot und Tyrannenmörder (und dazu ein genialer Bogenschütze) ist und dessen heroische Taten
all die Konflikte wieder lösen. Rossini wählte damit gewiß einen guten Stoff für seine 37.
und letzte Oper, von der jedoch bloß ihre Ouvertüre zu den meistgespielten Stücken aller
Konzerthäuser zählt.
Letztere beginnt (unter der Leitung von Fabio Luisi) auch ganz reizend und setzt sich nach der
berühmten Trompetenfanfare in einem ordentlichen Tempo fort - was freilich beim Wiener
Publikum enthusiastisches Kopfnicken und die Schläge auf die Knie auslöst - allerdings verliert
der galoppierende Effekt des Reitens durch das vielleicht sogar etwas zu schnelle Tempo an
Schärfe und Präzision. Sonst gelingt aber dem Dirigenten die zweifellos brilliant instrumentierte
Orchesterpartie mit den Solisten (von denen vor allem die sowohl musikalisch als auch
schauspielerisch großartige Leistung von Thomas Hampson herauszuheben ist) in glanzvollen
Einklang zu bringen.
Herr der Armbrust: Tell (Thomas Hampson)
Thomas Hampson ist mit seiner frischen, ungezwungenen Stimme und attraktivem Aussehen der
ideale Titelheld, von dessen Text jedes Wort zu verstehen ist (!); fast schade für die
Opernwelt, daß er kein Tenor geworden ist. Seine Unbefangenheit dient sicherlich auch dem
Konzept des Regisseurs
David Pountney, der mit seiner Inszenierung einerseits Idylle und Natur des Schweizer Volkes
akzentuieren wollte, andererseits den dummen Mechanismus der Habsburger Soldaten zu
demonstrieren versucht. Auf das Ballett im 3. Akt, das mit der Schilderung der Grausamkeit
der österreichischen Soldaten schon an der Grenze des Grotesken steht, reagiert das Publikum
unterschiedlich: Laute "Buhs" von denjenigen, die in sich den Nationalstolz gekränkt fühlen,
und begeisterte "Bravos" von denen, die die ausgezeichnete Präzision des Balletts schätzen.
Zweifellos ist der Arnold eine der schwierigsten Tenorpartien überhaupt mit ihren oft leisen
Spitzentönen. Obwohl Giuseppe Sabbatini mit piano-Stellen etwas zu vorsichtig umgeht und daher
seine Stimme auch im Liebesduett mit Mathilde im 2. Akt manchmal fast eng, gepreßt wirkt,
absolviert er seine Rolle insgesamt ordentlich; zu Gunsten Sahbatinis schauspielerischer
Intensität sei es noch sagt, daß seine Leistung in der Szene, wo Arnold vom Tode seines Vaters
erfährt (und die Dramatik von Rossinis Musik nicht gerade plausibel erscheint), ein absoluter
Gewinn ist.
Nancy Gustafson, die offenbar nicht in der besten gesundheitlichen Verfassung ist (einige
wacklige hohe Töne, starkes Vibrato, Probleme mit dem Atmen), bietet dennoch eine
vielschichtige Interpretation der Mathilde, die sich auf dem Höhepunkt der Oper - der
Apfelszene - zu einer kämpferischen Heldin entwickelt. Dawn Kotoski gestaltet die Rolle
von Tells Sohn Jemmy äußerst glaubwürdig. Bloß die Realisierung des Apfelschuß' ist etwas
kitschig gelöst: das Volk, das sich zwischen Tell und Jemmy aufgestellt hatte, reicht den
Pfeil herum, und der letzte Schweizer in der Reihe trifft aus ca. 3 cm Entfernung genau in
die Mitte des Apfels hinein.
Ein großes Kompliment noch für den Chor, der viel und schwierig zu singen hatte. Die
Chorpartie erklang jedoch ganz präzise und auch bei den a-capella-Passagen sauber und
deutlich.
Fazit
Insgesamt hinterließ Guillaume Teil in der Staatsoper einen
sehr positiven Eindruck sowohl für das Ohr als auch das Auge. "Buhs" hin, "Bravos" her:
Uninteressant war es auf keinen Fall.