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Ernani

Oper in vier Akten von Francesco Maria Piave
nach dem Drama von Victor Hugo
Musik von Giuseppe Verdi

Premiere an der Staatsoper Wien
am 14. Dezember 1998

(rezensierte Aufführung: 18.12.98)

Von Veronika Àgnes Fáncsik



Tödliche Hornklänge in der Wiener Staatsoper

Mehr als siebzig Jahre lang erklangen an der Wiener Staatsoper keine Liebeserklärungen mehr an die schöne Elvira, denn die Partien des Banditen Ernani und seinen zwei Rivalen - dem König Carlo und dem Aristokraten Silva - erklangen in Wien zuletzt im Jahre 1925, unter der Leitung von Pietro Mascagni. Jetzt wurde die frühe, 1843-44 komponierte und sich nur noch im Repertoire italienischer Bühnen haltende Oper Verdis an der Staatsoper Wien neu aufgegriffen und in der Regie des britischen Regisseurs Graham Vick zu einer teilweise modern inszenierten Darstellung gebracht.

Auf einer etwas sparsam ausgestatteten Bühne und ein wenig schüchtern stimmen die Banditen ihr Lob über die Schönheiten des Lebens - den Wein und das Gold - an. Doch wo Neil Shicoff mitspielt, ist keine Situation verloren! Mit einer prachtvollen, hellen und dynamischen Stimme und hunderten von roten Rosen in der Hand tritt er in der Rolle des verliebten jungen Edelmanns Don Juan, der schließlich zum Banditen Ernani werden muß, dazu und singt seine Arie ("Come rugiada al cespite...") beeindruckend dramatisch und energisch. Es gibt vielleicht Tenöre, die über eine wohlklingendere und womöglich noch volltönendere Stimme als Shicoff verfügen, seine hervorragende schauspielerische Leistung ist aber schwer zu übertreffen; er gestaltet die leidenschaftliche Rolle des Ernani so intensiv und überzeugend, daß man sich tatsächlich wundert, wenn er nach seinem Tod im letzten Akt noch lebendig vor dem Vorhang erscheint.

Ebenfalls schon mit ihrem ersten großartigen Auftritt gewann Michéle Crider die Gunst des Publikums für die ganze Oper. Daß ihre tiefen Töne nicht ganz so schön erklingen, mag auch an der Partie der Elvira liegen, die neben allen Möglichkeiten der virtuosen musikalischen Entfaltung in der Höhe auch Gefahren bei - für einen Sopran zweifellos zu tiefen, aber bei Verdi gar nicht untypischen - Noten wie des kleinen b und eingestrichenen c in sich birgt. Auf jeden Fall hinterläßt sie einen sehr positiven Eindruck, ihre saubere Intonation trotz des schnellen Tempos ihrer berühmten Arie ("Ernani, Ernani, involami...") und ihr zuletzt ausgeschlagenes zweigestrichenes b haben den großen Applaus des Publikums zu recht verdient.

Ein gehimnisvolles roter Seil - und sonst auch nicht viel mehr - befindet sich im ersten Akt die ganze Zeit auf der Bühne; es bezieht sich auf das mit roten Strichen bemahlte weiße Hemd von Ernani. Daß das Seil für die Regie eine bedeutende - aber zwei Akte lang vor allem die einzige - Rolle spielt, steht außer Frage: vier rote Seile auf der Wand symbolisieren die vier Lebenswege der Protagonisten; mit ihm werden auch die Hochzeitsstühle von Silva und Elvira zusammengefesselt; schließlich ist der Bindfaden des Horns auch rot, von den Tragseilen eines gewaltigen Kreuzes im 4. Akt ganz zu schweigen. Der Gedanke ist gar nicht mal schlecht, bloß für das Auge des Publikums vielleicht zu wenig; gerade zur richtigen Zeit bricht der Glanz der Krönungsszene im 3. Akt hinein. Großartig ist die Idee der Erscheinung des nach Rache dürstenden Silvas im 4. Akt: Weiße Blumen von der Hochzeit Elviras und Ernanis überall, die von der Richtung der Bühne her, wo Silva eintritt, allmählich bis zum letzten Stück (durch einen Lichtwerfer) rot werden.

Der König Don Carlo - verkörpert von Carlos Alvarez - der seine Liebe zu Elvira mit einer klangvollen, wohllautenden Baritonstimme gesteht (das Duett der beiden gelingt ebenfalls fabelhaft, nicht weniger das Terzett, mit dem zur Elviras Rettung plötzlich erschienenen Ernani), ist im 3. Akt in Hochform und hinterläßt mit seiner Arie ("O de' verd'anni miei...") einen guten Eindruck. Mit dem Auftritt von Roberto Scandiuzzi, der die Rolle des älteren Herren und eigentlichen Verlobten der Elvira, Silva spielt, ist zu guter letzt die Reihe der verliebten Eroberer geschlossen; Silvas Arie ist zwar mit sonorer Baßstimme, jedoch vor gespielter Entrüstung mit zu starken Akzentuierungen gestaltet. Schade, daß unmittelbar danach weder von ihm noch dem Chor der Ritter etwas zu hören ist (von der Mundbewegung können wir aber ziemmlich sicher sein, daß auch in dem Augenblick gesungen wird). Der Männerchor tut sich auch am Anfang des 3. Aktes schwer: Über den ersten Einsatz "Ad augusta!" weiß man nicht ganz genau, ob er zufällig oder absichtlich gesungen ist. Von Scandiuzzis Seite ist aber die alleletzte Szene noch hervorzuheben, die beweist, daß er nicht nur eine attraktive Stimme hat, die er mit einer gnadenlosen Tönung färben kann, sondern auch ein guter Schauspieler ist.

Alle Achtung an Seiji Ozawa, der vom ersten Ton an bis zum letzten äußerst verläßlich und präzise - noch dazu ohne Partitur(!) - dirigierte, und eine typisch Verdische Stimmung, einen effektiven Klang aus dem Orchester herausholte.



FAZIT:

Insgesamt eine sehr schöne Vorstellung, die den Rebellen Ernani vielleicht - zu recht - zu einem neuen Lieblingshelden des Wiener Opernpublikums machte.



Musikalische Leitung
Seiji Ozawa

Inszenierung
Graham Vick

Bühne und Kostüme
Richard Hudson

Choreinstudierung
Ernst Dunshirn


Solisten

Ernani, der Bandit
Neil Shicoff

Don Carlo, König von Spanien
Carlos Alvarez

Silva, Grande von Spanien
Roberto Scandiuzzi

Elvira, seine Nichte und Verlobte
Michéle Crider

Giovanna, ihre Vertraute
Liliana Ciuca

Don Riccardo, Schildknappe des Königs
Benedikt Kobel

Jago, Schildknappe Silvas
Aik Martirosyan

Chor und Orchester der Wiener Staatsoper


Weitere Aufführungen

Dezember '98: 22., 26., 30.
Januar '99: 3.
Juni '99: 5., 9., 13., 17.





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