Premiere am Theater Mönchengladbach am 12.4.1997
Der Pabst / Der Kaiser - Lado Ataneli Laura, Geliebte des Kaisers - Barbara Cramm Ein französischer Prinz/ Ein französischer Kriegskrüppel - Debra Hays Ein englischer Prinz/ Ein englischer Kriegskrüppel - Michaela Mehring Ein deutscher Prinz/ Ein deutscher Kriegskrüppel - Cornelia Dietrich Elieser, Leibarzt des Kaisers/ Meir, Armenarzt - Walter Planté Ein alter Fremder - Matthias E. Holzmann Ein junger Fremder - Maria Gurzynska Die Stimme der byzantischen Uhr - Jacqueline Stein
Die Novelle des heute nur noch wenig rezipierten Arnold Zweig von 1926 erzählt eine fiktionale Geschichte über den Staufenkaiser Friedrich II. Dieser bekommt, der literarischen Erfindung nach, einen Spiegel geschenkt, mit dem er in die Zukunft blicken kann. Der Spiegel sagt ihm nicht nur das Ende seiner Herrscherfamilie voraus, sondern zeigt schließlich das Ende jeder menschlichen Ordnung in apokalyptischen Bildern - es ist die Schlacht in Verdun im Jahre 1916, die Zweig hier den Kaiser in seinem Spiegel erblicken läßt. Der Autor läßt durch seinen literarischen Schritt in die Vergangenheit auf seine eigene Zeit des 20. Jahrhunderts, auf seine traumatischen Erfahrungen im 1. Weltkrieg vorausschauen. Es gelingt ihm, durch diese kunstvolle Verschränkung der Zeitebenen eine Parabel zu schaffen und aus dieser Distanz heraus die brennenden Fragen seines Jahrhunderts zu stellen, dichterisch zu betasten: die Fragen ob ein Sinn, ob Vernunft in der Geschichte sei, ob Einflußnahme des Einzelnen möglich wäre, ob es Verantwortung geben kann. Der Komponist Glanert hat gemeinsam mit Ulfert Becker in freier Bearbeitung ein anspruchsvolles Libretto aus der literarischen Vorlage von Zweig geschaffen.
Das Zentrum der Inszenierung in Mönchengladbach bildet das congeniale Bühnenbild von Gerhard Benz. Es ist im wahrsten Sinne des Wortes Dreh- und Angelpunkt des Geschehens. Es besteht aus einer großen, begehbaren Konstruktion aus hellem Holz und Metall, die sich um ihre eigene Achse drehen läßt, und so ständig neue Bühnenbilder freigibt. Es entstehen Räume mit Treppen und Brücken in leicht verzerrter Perspektive, eliptisch, achsensymmetrisch - architektonische Spiegelungen allenthalben.
Das große Bühnengerät ist in seinen Konnotationen vielfältig, es erinnert an mittelalterliche Forschungsinstrumente, hat aber auch Science-Fiction-Charakter. Der große Bogen, der den Kaiser-Palast beschreibt, ist gleich einem Herrscher-Balkon, ist Kommandobrücke eines Schiffes, des Erdenschiffes oder eines Raumschiffes. Dreht sich das Bühnenbild, so entsteht aus diesem Brückenbogen eine übergroße Hängematte, in der Laura und der Kaiser sich treffen am Abend.
Den Spiegel zeigt die Inszenierung als großen bunten Zauberspiegel, in dem von Laserstrahlen begleitet ein suggestiver, hypnotisch verfremdeter Film abläuft - wirkungsvoll gemacht. Die Bilder des Jahres 1916 werden schließlich in hektischer Reihung in einer auffallend langen und lauten Sequenz gezeigt, die doch etwas plakativ eingefügt wirkt.
Nachdem der Kaiser von den schrecklichen Bildern des Spiegels wie gelähmt ist, wird der Armenarzt Meir als Berater herbeigeholt. Dieser fordert den Kaiser auf, "die Welt zu schauen", und da tut sich der große Einfall der Bühnenvision von Gerhard Benz auf: Die eliptische Form der großen Konstruktion entpuppt sich als Auge. Die untere Welt, in die sich der Kaiser auf Geheiß Meir begeben soll, nimmt das Bühnenbild wörtlich: Es dreht seinen unteren Teil nach oben. Das Elend, das der Kaiser dort entsetzt zu sehen bekommt, wird durch rotes Licht ausreichend dargestellt.
Die Inzenierung Pesels zeigt innerhalb und vor diesem Bühnenbild eine dicht gearbeitete Personenführung, die stimmig ausgeführt wird vom Ensemble. Die Geschichte um den Kaiser wird in märchenhaft verzauberter Stimmung erzählt und paßt damit ausgezeichnet zur Musik. Durch das perfekte Zusammenspiel von Komposition und Bühne entsteht eine eine enorme Spannung, das Publikum folgt von Anfang an gebannt den Geschehnissen auf der Bühne und überläßt sich dabei ganz von selbst dem Ton der Musik.
Die Opernmusik Glanerts ist gewinnend durch ihre meisterhafte Instrumentation. Überaus farbig und kontrastreich werden von einem traditionell besetzten Orchester die Stimmungen der Handlung gemalt und Spannungsfelder ausgebreitet. Dumpfe Syntheziser-Klänge werden nur bei der Vorführung des Spiegels eingesetzt. In Mönchengladbach wird die Partitur Glanerts differenziert entwickelt vom Orchester unter der Leitung von Neville Dove. Deutlich wird die Arbeitsweise des Komponisten, durch seine Musik Spuren des Wiedererkennens beim Hörer zu erzeugen und diese vielfältigen Eindrücke zu einer eigenen Tonsprache zu verknüpfen, die beim Hörer ein Spiel aus Bekannten und Fremden auslöst und sich zu einem eigenen musikalischen Gestus bildet. Vielerlei Spiegelungen sind in der Musik aufzufinden, in der Linie der Gesangsführung, in den Instrumenten mit der häufigen Zuordnung von Paaren und durch Oktavierungen. Beleg für die Spiegelung als Strukturelement der ganzen Oper ist ihre zweiaktige Anlage.
Spiegelungen bestehen auch in der Personenbehandlung, denn es gibt einige Doppelrollen. Der Pabst und der Kaiser werden vom einem Sänger dargestellt, und im Gegenbild vom ersten zum zweiten Akt entsprechen sich die jeweils gleich besetzten drei Prinzen und die drei Kriegskrüppel, sowie Elieser, der Leibarzt des Kaisers und Meir, der Armenarzt. Die Doppelrolle von Pabst und Kaiser gestaltet Lado Ataneli besonders ausdrucksstark. Die Gesangslinie der Laura folgt häufig deklamatorisch dem Ton der Sprache, dennoch ist ihr Gesang sehr melismatisch; er wird von Barbara Cramm lyrisch und innig entwickelt. Die Begegnungen des Kaisers und Lauras ergeben kein wirkliches Liebesduett, sondern sind zum Unglück Lauras wohl eher Problembesprechungen. Die Gesangslinie in der Oper folgt nicht nur der Sprache überhaupt, sondern charakterisiert auch den individuellen Tonfall der Personen. Das wird besonders hörbar bei den Auftriffen von Meir. Der weise Berater paßt sich in seinem Parlandostil stets seinem Gegenüber an. Vorzüglich dargestellt wird Meir von dem Sängerschauspieler Walter Planté.
Meir spricht schließlich zum resignierenden Kaiser: "Geh und lebe" und: "Es ist gut zu leben und zu schauen". Und die Partitur läßt an diesen Stellen Raum für die Stille. Sie koloriert eben nicht nur die Handlung, sondern sie denkt mit und hält die Fragen offen in dieser philosophischen Oper, die aus dem Treffen von Zweig und Glanert erwachsen ist. Die unerhörte Begebenheit um den Staufenkaiser, die Zweig mit seiner Novelle ersann, bildet einen großen Stoff für eine Oper unserer Zeit, die Glanert hier zweifellos gelang.
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