Premiere am Schillertheater NRW im Musiktheater Gelsenkirchen am 2. November 1996
La Périchole Anke Sieloff Piquillo Thomas Piffka Vizekönig Tom Erik Lie Don Pedro Joachim Gabriel Maaß Kammerherr Patrick Henckens Drei Cousinen Elise Kaufmann Sabine Schnitzer Eva Tamulénas Alter Gefangener Ulrich Penquitt u. v. a.
Das liegt also hinter mir. Und eindeutig will meine Meinung nicht ausfallen. Zunächst: Operette muß man "ernst" nehmen, heißt es seit einigen (wenigen) Jahren auch in Kritikerkreisen. Zweifellos, das hat das Regieteam getan. Carin Marquardt, die in vielen Produktionen an diesem Haus als Dramaturgin gearbeitet hat (auch mit Hilsdorf), führte keineswegs mit leichter Hand Regie. Süßlich oder dämlich ist ihr Konzept gewiß nicht. Die Komik der Vorlage herauszustellen hat sie sich offensichtlich zur Aufgabe gemacht. Dabei hat sie nicht den Fehler gemacht, die werkimmanente Ironie zu übertünchen. Sie versuchte sie vielmehr zu unterstreichen.
Da waren die drei Cousinen, in deren Schenke das Geschehen um Liebe, Geld und Eifersucht seinen Anfang nimmt. Sie zu überzeichnen zu rührenden Goldkehlchen, wäre ein Leichtes wie Falsches gewesen. Stattdessen wird das frivole Trio (stimmlich wie spielerisch auf der Höhe: Elise Kaufmann, Sabine Schnitzler und Eva Tamulénas) zum roten Faden der Produktion. Auch das Liebesverhältnis zwischen Périchole (bis auf die Tiefen verständlich und gut gesungen: Anke Sieloff) und Piquillo (mit komödiantischem Talent und schönen Lyrismen: Thomas Piffka) ist nicht nur naiv oder lächerlich, sondern auch angespannt und wandelbar. Auch Tom Erik Lie als Vizekönig macht in der insgesamt guten sängerischen Leistung keine Ausnahme.
Das all das so lebensnah herüber kommt, das liegt an der ansprechenden deutschen Übersetzung, die aus quellentechnischen Gründen für die Gelsenkirchenenr Inszenierung neu erstellt werden mußte. Carin Marquardt und Dramaturg Norbert Klein haben sie besorgt. Extra holprige und umgangssprachliche Stellen der Textvorlage wußten sie ins deutsche zu übertragen. Nach Vokabeln wie "Nasenbär" oder "Idioten" sucht man in den meisten Operettenlibretti sicher vergeblich.
Unter darstellerischen Gesichtspunkten war besonders Ulrich Penquitt in der Rolle des alten Gefangenen humoristisch erfrischend. In veraltet näselndem Ton leider in den gesprochenen Dialogen Patrick Henckens als Kammerherr.
Aber dann: Das große Manko war, daß der Schwung des Librettos, der Witz der Handlung nicht oder nicht so über die Rampe kommt, wie es geplant war. In der Filmtechnik würde man das vielleicht mit "schlechtem Schnitt" begründen. Hier fehlen Tempo, Spielwitz und - trotz Laufsteg um den Orchestergraben - der ansteckende Funkenflug ins Publikum. So blieben denn meist der Zwischenapplaus und die Lacher im Ansatz stecken und überließen die Szene peinlichen Löchern. Sicher wird sich mit der Zeit das eine oder andere noch einspielen. Wer aber eine grundweg unterhaltsame Show erwartet hatte, konnte in Gelsenkirchen leider nicht auf seine Kosten kommen.
Das Orchester unter der Leitung von Thomas Leyer trug dazu leider bei. Nahezu fehlende dynamische Differenzierung, unsaubere hohe Streicher und besonders im 3. Akt verstimmte Trompeten ließen das ohnehin dünn besetzte Ensemble traurig dastehen. Ausnahme war allenfalls die Solo-Flöte. Und zu echtem Zusammenspiel konnte Leyer das Orchester weder alleine noch in den Chorszenen bringen.
Der Schlußapplaus im längst nicht vollbesetzten Haus war freundlich und pflichtschuldig. Das Regieteam erhielt auch seine Buhs.