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Die Entführung aus dem Serail
- Szenen aus dem besetzten Wien -

Gelsenkirchener Fassung
Musik von Wolfgang Amadeus Mozart

Premiere im Musiktheater im Revier Gelsenkirchen am 25.12.1995

Besetzung
Rezension
Publikumsreaktionen
Fazit
Fotos
Von Stefan Schmöe und Gerhard Menzel




Besetzung

Musikalische Leitung: Samuel Bächli
Inszenierung: Dietrich Hilsdorf
Bühne: Erwin W. Zimmer
Kostüme: Renate Schmitzer
Choreinstudierung: Nandor Ronay
Dramaturgie: Carin Marquardt

	Selim 		- 	Volker Lippmann
	Osmin 	 	- 	Krzysztof Klorek
	Konsstanze 	- 	Edith Lehr
	Blonde 		- 	Elise Kaufman
	Belmonte  	- 	Thomas Piffka
	Pedrillo 	- 	Bernhard Schneider
Chor des Musiktheaters im Revier
Philharmonisches Orchester der Stadt Gelsenkirchen




Dramatische Szenen im besetzten Wien

Musikalisch ist diese Produktion ein ungeheurer Glücksfall! Samuel Bächli entlockt dem äußerst aufmerksam musizierenden Philharmonischen Orchester Gelsenkirchen ungeheure Töne. Diese bis ins letzte Detail ausgefeilte Interpretation hinterließ den Eindruck, als gehöre die "vorklassische" Musik zum alltäglichen Repertoire des Orchesters. Die Phrasierungen, dynamischen und rhythmischen Abstufungen, die Behandlung der Generalpausen und so manche andere musikalische "Kleinigkeit" (die sonst ungehört bleibt) lassen hier wirklich einmal erkennen, was für eine Ausdruckskraft und elementare Musikalität in dieser oft nur so als "leichtes" Singspiel heruntergespielten Musik steckt.

Die Gesangspartien sind, bis auf den Osmin von Krzysztof Klorek - der zwar dem üblichen Klischee nicht entspricht, aber sehr gut in das Inszenierungskonzept eingebunden ist - mit Edith Lehr (Konsstanze), Elise Kaufman (Blonde), Thomas Piffka (Belmonte) und Bernhard Schneider (Pedrillo) vorzüglich besetzt.

Entscheidend für die hohe Qualität der Aufführung ist sicherlich auch die Tatsache, daß seit Jahren in Gelsenkirchen ein eingespieltes - und eingesungenes - Ensemble zusammen mit dem Regisseur Dietrich Hilsdorf einen "Mozart-Zyklus" erarbeiten. Einen musikalischen Eindruck der ersten gemeinsamen Produktionen dokumentiert eine CD mit Ausschnitten aus "Die Hochzeit des Figaro", "Don Giovanni" und "Cosi fan tutte".

Hilsdorf hat die "Entführung" kräftig umgekrempelt: Die Dialoge wurden gegen neugeschriebene Monologe des Bassa Selim ausgetauscht und die Handlung durch eine aberwitzige Konstruktion radikalisiert.

Man stelle sich vor, die Türken hätten 1782 Wien erobert, Oberbefehlshaber Bassa Selim im Narrenturm sein Hauptquartier aufgeschlagen und die Stadt zur Plünderung freigegeben: anstelle der harmlos-märchenhaften Singspielatmosphäre träte auf einmal eine Situation, in der die Ankündigung von Martern aller Arten mehr wäre als Anlaß zu einer schönen Koloraturarie. Genau diesen Ansatz wählt Hilsdorf - und führt ihn mit bewundernswerter Konsequenz zu Ende.

Oberbefehlshaber Selim hält also in seinem Hauptquartier unter anderem Frau Konstanze Weber, spätere Gattin des ortsansässigen Tonsetzers Mozart, gefangen und würde sie gerne seinem Serail zuführen. Soweit ist das noch Kriegsalltag, aber der Türke verliebt sich ernstlich in die fremde Frau: Zu weit jedoch sind die verfeindeten Kulturen auseinander, als diese Liebe Zukunft hätte.

Hilsdorf nimmt gerade die Figur des Bassa Selim sehr ernst: anders als im Libretto, wo der gute Türke sich letztendlich als Europäer entpuppt (so wie später bei Karl May alle guten Indianer insgeheim Christen sind), hebt er gerade das Andersartige hervor. Selim wird als Vertreter einer Hochkultur dargestellt (und ist dem depperten Belmonte haushoch überlegen). In seiner Liebe zu Konstanze wird er zur eigentlich tragischen Figur: Aus Liebe ist bereit, auf seine kulturelle Identität zu verzichten, Konstanze zur einzigen Frau zu nehmen und legt sogar europäische Kleider an, um der Geliebten die Angst vor dem Fremdartigen zu nehmen.

Konstanze ist durchaus fasziniert von ihm, kann sich aber nicht zum entscheidenden Schritt durchringen (anders als Blonde, die ein kleines sexuelles Abenteuer mit Osmin geradezu provoziert). Selims Vertrauen, das er Konstanze entgegenbringt, wird bestraft: dem weinerlichen Belmonte gelingt es, seinen türkischen Rivalen zu überwältigen, dem gefesselten werden Frauenkleider angezogen und Lippen rot angemalt. In der scheinbaren Überlegenheit zeigt Hilsdorf gerade die (auch moralische) Unterlegenheit der dekadenten Europäer: Das infantile Gehabe Belmontes ist abstoßender als die Brutalität der Türken, die Ihre Feinde nach Kriegsrecht hinrichten.

Die Aufführung hinterläßt eine Art Schock, von dem man sich nur langsam erholt; die Anfangssequenz mit den Hinrichtungen schafft eine beklemmende Atmosphäre, die auf dem gesamten Stück lastet. Natürlich ist das nicht mehr die "Entführung", die Mozart konzipiert hat, denn alle komödiantischen Elemente haben bestenfalls die Funktion von Zitaten. Die Musik gerät aus dem Gleichgewicht: Die grandiosen Arien der Konstanze stehen übermächtig im Mittelpunkt (und gelangen zu einer Größe, daß man alle andere je komponierte Musik vergessen möchte), der Rest ist mehr oder weniger untergeordnet und belanglos.

Der Abend verschließt sich einem eindeutigen Urteil nach dem Motto "gelungen / nicht gelungen", er läßt den Zuschauer ziemlich ratlos zurück. Wer diese "Entführung" aber gesehen hat, wird sie so schnell nicht vergessen. Wie so oft in Gelsenkirchen tragen dazu in erheblichem maße die Sängerschauspieler bei: Ein Ensemble mit derart hohen schauspielerischen Qualitäten wird man anderswo so schnell nicht finden.




Publikumsreaktionen

Heftige Buhstürme gegen das Inszenierungsteam (Inszenierung: Dietrich Hilsdorf; Bühne: Erwin W. Zimmer), das den meisten den ersten Weihnatsfeiertag gründlich verhagelt hatte.

Ovationen dagegen für die Sänger, in erster Linie Edith Lehr (Konstanze), Thomas Piffka (Belmonte), Elise Kaufman (Blonde) und Bernhard Schneider (Pedrillo) und das Philharmonische Orchester Gelsenkirchen unter Samuel Bächli.




Fazit

Wie auch immer man hinterher urteilen mag - diese "Entführung" muß man gesehen, und vor allem gehört haben.


Fotos



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