Veranstaltungen & Kritiken Musiktheater |
|
von Annette van Dyck
Zunächst ist festzuhalten, daß auch das Duisburger Theater bzw. das Duisburger Publikum - wie man will - es zu der Peinlichkeit hat kommen lassen, daß diese Premiere nicht ausverkauft war. Man verzeihe mir die gewundene Formulierung: hier äußert sich nur meine mühsam unterdrückte Empörung über das ignorante Desinteresse an einer Kunst, die im zwanzigsten Jahrhundert der Oper als zeitgenössischem Bühnenereignis schon seit langem den Rang abgelaufen hat.
Als einer der bedeutendsten Choreographen unserer Zeit gilt Hans van Manen, und dieser Abend hat seinen Ruf wieder kräftig bestätigt. Mit seinen Schrittfolgen knüpft van Manen vor allem an die Tradition des 'Modern Dance' an; es gibt keinen Spitzentanz, keine Pirouetten oder andere typisch ballett-klassische Elemente wie Tüllröcke oder romantische Geschichten, sondern das Repertoire ist stärker als die Choreographien des traditionellen Balletts an alltäglicher Gestik orientiert und appelliert an unsere Kenntnis dieser Gestik.
Den Tänzern und Tänzerinnen der Visions fugitives gebührt das hohe Lob des Abends; denn sie hatten nicht nur den akrobatisch schwierigsten Part zu absolvieren, die spürbare atmosphärische Intensität der oft sehr kurzen Bilder war nicht zuletzt ihrer konzentrierten Darstellung der 'Fluchten' vor sich selbst, dem oder den anderen oder vor dem Leben zu verdanken. Die drei Paare Corinne Verdeil, Jhane Hill, Sandy Delasalle, Jörg Simon, Alicia Olleta und Guy Albouy ließen sich nicht einmal von den durch Prokofjews Komposition hin und wieder überforderten Duisburger Sinfonikern aus der Ruhe bringen.
Letztere mußten aber auch ein Programm absolvieren, das sich hören lassen kann: dem Prokofjew folgten außer dem parodistischen Scherzo von Strawinsky und dem einer Rumba ähnlichen Adagio von Janacek die Creme de la Creme tiefromantisch-pathetischer Kompositionen-Highlights von Tschaikowsky, Mascagni und Massenet. Dies alles als Untermalung einer - und hier widerspricht meine Interpretation diametral den sonst abgedruckten Rezensionen - gnadenlos bösen Parodie auf populäre Paartanz-Wettbewerbe.
Van Manen hat alles aufgeboten, was das Repertoire dieser Veranstaltungen vorschreibt: die schwarzen Hemden und Hosen der Herren, die glitzernden Kleidchen der Damen, alles mit erotischen Anspielungen versehen, die Paartanz-Haltung, die merkwürdigen vorgeschriebenen Figuren und Drehungen, die geometrischen Raumaufteilungen der Formationen und - kennen Sie diese Zahnrad-Figur? Wenn zwei Reihen von Paaren im 90 Grad Winkel zueinander alle gleichzeitig auf die andere Seite des Raumes wechseln, ohne sich umzuwerfen? Ich weiß leider nicht den Fachbegriff (kennt sich da jemand aus?), aber es war alles da: auch dieses fugierte Umfallen der Damen in die Arme der Herren - einfach köstlich!
Das Ganze steigerte sich zu einer Parodie auf die typischen Tänze: immer wenn man sich im Bewegungsstil sicher wähnte, knickten den Damen plötzlich die Beine weg, wurden die Herren gehoben oder irgendwelche Gliedmaßen unpassend verrenkt, wodurch das Künstliche und Übertriebene des parodierten Tanzstils nur noch deutlicher hervorstach. Wer hätte gedacht, daß Ballett auch Satire sein kann!
Am bissigsten gestaltete van Manen aber die Choreographie zu der süßlichen Méditation von Massenet: alle Tänzer und Tänzerinnen strebten nach dem anstrengenden 'Formationstanzen' nur nach einem Ziel - ein Glas Sekt in die Hand zu bekommen. Dementsprechend immer lockerer und ungenauer wurden die Schrittfolgen... Van Manen choreographierte ein grandioses Besäufnis!
--- Ich habe gar nicht viel über das Ballett der Deutschen Oper geschrieben, aber seien Sie versichert, daß die Präzision und Professionalität der Düsseldorfer Tänzer und Tänzerinnen nicht zu wünschen übrig läßt. Die Truppe harmoniert ideal und jeder solistische Auftritt besticht durch gleichermaßen schauspielerische wie tänzerische Perfektion. - Ein wunderbarer Abend!
Copyright © 1997 - Online Musik Magazin