Online Online Veranstaltungen & Kritiken
Musiktheater
Homepage zurück e-mail Impressum




La Bohème
Szenen nach "La Vie de Bohème"
von H. Murger
Text von Giuseppe Giacosa und Luigi Illica

Musik von Giacomo Puccini

(in italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln)

Premiere der Oper Bonn
am 24.März 1999

Rezensierte Vorstellung:
2. Premiere am 27.März 99

Von Margot Leins / Fotos von Thilo Beu




Die Bohème ziemlich entzaubert, aber auf den Punkt gebracht !

Nach Madama Butterfly haben David Mouchtar-Samorai und sein kongenialer Bühnenbildner Heinz Hauser nun Puccinis Bohème zeitgültig interpretiert und dabei die Essenz der Oper herausgehoben:
Nicht die sentimentale Liebesgeschichte zwischen Mimi und Rodolfo steht im Vordergrund, sondern die Tragik des Künstlertums am Rande der Existenz, der Frustration - sozusagen als anthropologische Konstante.

Mouchtar-Samorai kann darauf verzichten, die Handlung zeitlich bzw. örtlich konkret festzulegen, die formale Ästhetik der Bühne allerdings verrät den Blick des 20. Jahrhunderts. (Ich assoziiere Computergrafik, Mondrian, optische Surrealismen, moderne Kirchenfenster, Aki Kaurismäkis Bohèmiens...)

Foto: BONN/La Bohème Foto 1:
1. Akt: Benoît (Pieris Zarmas) fliegt raus.

Die schon in Murgers Romanvorlage angelegte Spannung zwischen realistischer und stilisierender Behandlung der Vorgänge und Charaktere wird visualisiert durch eine behutsame Aktualisierung einzelner Details (etwa Dosenbier statt Schampus und ein Haarreif mit 'Alien'-Herzchen-Fühlern statt des berühmten Häubchens), die sparsam innerhalb des modernen, stark abstrahierenden Kunst-Bühnenraumes 'zitiert' werden.

Der von Hauser erfundene Bühnenraum, ein wandlungsfähiger, offener, perspektivisch-verzerrter Quadratnetz-Kubus, steht nicht nur für das 'Künstliche', sondern verdeutlicht eindrucksvoll die Perspektivlosigkeit, die Brüche, den Mangel an Geborgenheit aller darin Agierenden.

Spannung entsteht ebenfalls durch sehr natürlich gespielte Szenen, die mit irrealen Sequenzen kontrastiert werden.
So scheinen alle Szenen außerhalb der Künstler-WG 'Hirngespinste' Rodolfos zu sein:
Die Figuren des weihnachtlichen Treibens des 2. Akts entsteigen den Flammen der Manuskriptseiten, die er im Kamin verbrennt.
Die gespenstische Szenerie des dritten Akts erinnert an Visionen Kubricks aus Clockwork Orange.

Foto: BONN/La Bohème Foto 2:
Mimi (Gitta-Maria Sjöberg) trifft auf Rodolfo (Sergej Khomov).

Real, greifbar bleibt nur das Scheitern, die tiefe Depression der vier Protagonisten, letztlich unabhängig von Mimi oder Musetta.
Mimi ist ein inspirierendes Moment in Rodolfos Leben, ein Aufleuchten von Hoffnung, die eben nicht nur durch die Krankheit Mimis zum Scheitern verurteilt ist. Auch Musetta und Marcello beweisen die Unmöglichkeit des Glücks.

Problematisch mag die Inszenierung dann erscheinen, wenn zu all diesen - sehr nachvollziehbaren - Spannungen noch die Konfrontation mit dem Libretto tritt.
Trotz neuer wörtlicher Übersetzung sind manche Inhalte mit dem dargebotenen Bild schlicht nicht kompatibel.
Mimi bspw. ist hier keine zarte Näherin, sondern geht eher als abgebrannte Ausreißerin, vielleicht Gelegenheitshure (wie Mouchtar-Samorai selbst sagt) durch.
Die Spannung scheint mir überzogen, wenn Gitta-Maria Sjöberg als eine alles andere als zerbrechliche Mimi 'schwalbengleich zwitschernd ins Nest zurückkehren' soll, wie dies das Libretto und lautmalerisch die Musik standhaft behaupten.

Foto: BONN/La Bohème Foto 3:
4. Akt: Die Künstler-WG kurz vor dem Showdown (Sergej Khomov, Wolfgang Koch, Hernan Iturralde, Markus Marquardt).

Ich empfehle, die Übertitel zu ignorieren, solange nicht wenigstens dabei (wäre das schon Ketzerei ?) eine wirkliche Übertragung gewagt wird.
Nicht die in der Vorlage schon nur z.T. stilisierte Libretto-Hochsprache ist das Problem, sondern die konkreten Bilder, die damit heraufbeschworen werden und die heute so nicht mehr greifen. (Kaurismäkis Bohèmiens etwa befleißigen sich ebenfalls eines höchst elaborierten Codes, bewältigen aber damit sprachlich ihre Wirklichkeit.)

Lothar Königs am Pult des Orchesters der Beethovenhalle schien sich nicht entschieden zwischen zuviel Pathos und hier eher angebrachter Nüchternheit zu bewegen.
Ann-Christine Larsson als Musetta und 'Marcello' Hernan Iturralde glänzten in ihren Rollen, ansonsten ist von einer guten, stimmigen Ensemble-Leistung zu berichten.



FAZIT:

Eine interessante moderne Inszenierung, die die tragische Essenz der Oper herausstellt. Traditionalisten allerdings könnten sich angesichts der Bühne 'im falschen Film' wähnen.

Logo: Oper Bonn

Musikalische Leitung
Lothar Königs

Regie
David Mouchtar-Samorai

Bühne
Heinz Hauser

Kostüme
Anna Eiermann

Licht
Thomas Roscher

Choreinstudierung
Marco Zeiser

Einstudierung des Kinderchores
Karoline Philippi

Choreographische Mitarbeit
Anna Karger

Dramaturgie
Marie Luise Maintz

Solisten

Rodolfo, Dichter
Sergej Khomov

Marcello, Maler
Hernan Iturralde

Schaunard, Musiker
Wolfgang Koch

Colline, Philosoph
Markus Marquardt

Mimi
Gitta-Maria Sjöberg

Musetta
Ann-Christine Larsson

Benoît, Hausbesitzer
Pieris Zarmas

Alcindoro, Staatsrat
Andreas Hörl

Parpignol, ein fliegender Händler
Florian Mock

Strassenhändler
Günther Beißel

Zöllner
Volker Philippi

Sergeant
Guido Scheer

Schauspieler
Monika Gesine Daniels
Karin Kroemer
Georg Kruse
Monica Santos
Philip Schlomm
Christoph Thiebes



Chor, Extrachor und Kinderchor
der Oper der Bundesstadt Bonn

Orchester der
Beethovenhalle Bonn




Weitere Aufführungen

April 99: 7.,9.,11., 18., 24.
Mai 99: 2., 6., 13., 18., 21., 29.
Juni 99: 3., 9., 12.


Weitere Informationen

Oper Bonn
(Homepage)






Homepage zurück e-mail Impressum
©1998 - Online Musik Magazin
http://www.omm.de