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Konzertreihe "Große Stimmen"

Christian Gerhaher, Bariton
Gerold Huber, Klavier




17. Juni 2021, Saalbau Essen, Alfried Krupp Saal
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Philharmonie Essen
(Homepage)
Mehr Romantik als Revolution

Von Stefan Schmöe

"Hier sitze ich, forme Menschen / nach meinem Bilde, […] dein nicht zu achten, / Wie ich!" Was der ungehorsame Prometheus dem Göttervater Zeus respektive der junge Goethe voller Sturm und Drang den christlichen und weltlichen Autoritäten 1772 oder 1774 entgegenschleudert, hat Franz Schubert 1819 als Klavierlied vertont, eine kleine dramatische Szene des auf dem Gebiet der Oper wenig erfolgreichen Komponisten. Wenn sich die Tonalität vom B-Dur des Beginns um einen Ton nach oben zum C-Dur des Schlusses verschiebt, dann mag man darin hören, wie Schubert gleichsam die Weltordnung verschiebt - wobei die kandenzierend abfallende Quinte des "wie ich" zwar nach entschlossener Selbstversicherung, aber auch ein wenig nach Bestätigung einer bewährten Weltordnung klingt. Goethe hatte sich derweil mit den Autoritäten seiner Zeit längt arrangiert und war selbst eine geworden. Die Götter mit revolutionärem Impetus herausfordern, das war seine Sache nicht - und auch nicht die Schuberts. In dieser Zwiespältigkeit bleibt diese Prometheus-Vertonung interessant, in die erste Reihe der Schubert-Lieder gehört sie wohl nicht.

Trotzdem schön, dass sie mal aufgeführt wird. Christian Gerhaher stellt die Vertonungen der großen Hymnen Goethes (auch An Schwager Kronos, Ganymed und Mahomets Gesang) in das Zentrum dieses Liederabends, und wie er den Prometheus bis in die kleinste Nuance ausgestaltet, gleichzeitig aber den Liedduktus und den betörend schönen Klang seines Baritons beibehält, das ist ein Ereignis. Die Gestaltung scheint vom Sprechtheater her gedacht; winzige Verschiebungen etwa führen dazu, dass einzelne Zeilen mit beißendem Spott und Ironie erklingen, und doch reißt die Gesangslinie nie ab. Bei aller Dramatik: Auch im Wechsel von rezitativischen und ariosen oder besser: liedhaften Phrasen ist bei Gerhaher der Abstand zu Oper ebenso groß wie zum deklamierten, musikalisch unterlegten Monolog, und doch ist es nicht der berüchtigte Mittelweg. Gerhaher findet so etwas wie die Idealform für diese Schubert-Lieder als ganz eigene Kunstform. Wollte man den Begriff "liedhaft" erläutern, dieser Abend böte das perfekte Anhörungsmaterial.

Die Stimme ist rund und voll und ohne Brüche, und mühelos kann Gerhaher ein donnerndes Fortissimo mit trompetenhaft strahlendem Glanz erzeugen - was er nur ganz selten tut: Vielmehr setzt er auf die leisen, verhaltenen Töne, auf die ganz feinen und subtilen Nuancen. Die Gestaltung ist intim, eher für den kleinen Raum gedacht, und das wird dann doch ein wenig zum Nachteil. Er artikuliert sorgfältig, aber mit großer Natürlichkeit; eine Überartikulation wie bei Dietrich Fischer-Dieskau (um den unvermeidlichen Vergleich zu ziehen) ist ihm fremd. Trotz der ausgezeichneten Akustik der Essener Philharmonie sind die Texte aber schlecht zu verstehen und wirkt der Saal, auch wenn die Stimme ihn gut füllt, für die nach innen gerichtete Interpretation sehr groß.

Pianist Gerold Huber, langjähriger musikalischer Partner Gerhahers, ist beim ersten Lied dann auch zu dominant, korrigiert aber schnell. Als feinsinniger Begleiter lässt er dem Sänger den Vortritt, eigene Akzente wie den Wechsel der Klangfarbe setzt er sehr vorsichtig und zurückhaltend ein. Den Steinway-Flügel spielt er eher gedeckt, sucht nicht die Brillanz, sondern mehr das Klangbild der Schubert-Zeit. Spannender wäre da gewesen, ein historisches Instrument zu verwenden.

Um die Goethe-Hymnen (und eine von Klopstock) herum dann die poetische Romantik: Gerhaher und Huber beginnen den Abend mit Schuberts Vertonungen von Gedichten Friedrich Schlegels aus dessen Zyklus Abendröte - verinnerlichte Vertonungen, fast introvertiert und sehr verhalten interpretiert, keine großen Steigerungen, sondern Differenzierung im Detail. Der dritte Teil des Abends gehörte Vertonungen von Gedichten des engen Schubert-Freundes Johann Mayrhofer, Goethe-Verehrer und Mitarbeiter der Metternich´schen Zensurbehörde - da kommt viel vom widersprüchlichen Geist einer Umbruchzeit zusammen. Auch hier finden Gerhaher und Huber einen verinnerlichten Ausdruck. Großer Jubel für einen hinreißenden Liederabend. Leider keine Zugabe.




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Ausführende

Christian Gerhaher, Bariton

Gerold Huber, Klavier


Werke

Franz Schubert:
Lieder nach Gedichten von F. Schlegel
aus dem Zyklus Abendröte:

Der Schmetterling D 633
Die Vögel D 691
Die Berge D 634
Der Knabe D 692
Der Fluss D 693
Das Mädchen D 652
Die Gebüsche D 646
Abendröthe D 690
Die Rose D 745
Der Wanderer D 649
Die Sterne D 684


Dem Unendlichen D 291
(Text: F. G. Klopstock)

Prometheus D 674
Mahomets Gesang D 549
Ganymed D 544
An Schwager Kronos D 369
(Texte: J. W. von Goethe)


Lieder nach Gedichten von J. Mayrhofer:

An die Freunde D 654
Abendstern D 806
Sehnsucht D 516
Liane D 298
Gondelfahrer D 808
Rückweg D 476
Beim Winde D 669
Nachtstück D 672



Weitere Informationen:

Philharmonie Essen



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