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Konzert zum einjährigen Bestehen
des Boulez Ensembles und des Pierre Boulez Saales

Boulez Ensemble & Daniel Barenboim

Werke von Hanns Eisler, Franz Schubert und Arnold Schönberg

4. März 2018 im Pierre Boulez Saal Berlin



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Der Musik nach denken

Von Chrisoph Wurzel

Entlehnt aus der Gedankenwelt seines Namensgebers, prangt es als Motto über dem Pierre Boulez Saal: „Musik für das denkende Ohr“. Seit einem Jahr existiert dieser wundervoll helle, oval gerundete Saal mit grandioser Akustik, den Frank Gehry der Barenboim-Said-Stiftung in Berlin Mitte zum Geschenk gemacht hat. Und seit einem Jahr konzertiert hier regelmäßig das von Daniel Barenboim gegründete Boulez Ensemble mit seinen innovativen Programmen, die  nicht fixiert auf Stilrichtungen, Musikepochen und Ensemblekonstellationen Musik enthalten, die im Sinne von Pierre Boulez einem Publikum Gelegenheit zur Reflexion geben, ihren Gehalten im Wortsinn nach zu denken.

Denk-würdig war denn auch das Programm des Geburtstagskonzerts, welches Musik aus den Jahren 1824, 1912 und 1941 bot, die in je eigener Weise nicht gewohnte Pfade beschreitet, sondern neue, überraschende Eindrücke vermittelt. Über das Lied Trockene Blumen aus Die Schöne Müllerin schrieb Franz Schubert sieben Variationen für Flöte und Klavier, in denen er das Hauptmotiv des Lieds vom zuerst todtraurigen e-Moll zu einer geradezu erlösenden Apotheose der Lebensfreude in strahlendem Dur entwickelt  und damit  den lyrischen Gehalt der Dichtung musikalisch eindrucksvoll nachvollzieht. In brillantem Ton spielte Mathieu Dufour den Flötenpart mit stupender Virtuosität. Berührend, mit welcher Farbigkeit er die variierten Stimmungen auslotete, noch melancholisch tastend in der Introduktion, dann mehr und mehr schwebend und leicht im Folgenden und über das nochmals verdunkelte Scherzo der sechsten bis hin zum triumphalen Schlussmarsch der siebenten Variation. Daniel Barenboim begleitete am Klavier mit großem Gefühl für die wechselnden Stimmungen, bewahrte aber gegenüber der in höchste Sphären hinauf jubelnden Flöte doch eine Portion Erdenschwere.

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Ein Jahr Pierre Boulez Saal in Berlin: „Man sollte das Konzert als Kommunikationsmittel betrachten, als lebendigen Kontakt zwischen aktiven Personen, seien sie Hörende oder Schaffende“ (Pierre Boulez)
(Foto: Christoph Wurzel)

War dieser Mittelteil einerseits Baustein eines über mehrere Jahre sich erstreckenden Programmzyklus mit Liedern und  Klavierwerken von Schubert, so griff er andererseits in seinem Anfangsteil auch die melancholische Stimmung des ersten Werks dieses Konzerts auf -  Hanns Eislers 14 Arten den Regen zu beschreiben, das in seinem Schaffen eine bedeutende Wende markiert. Es entstand in der Besetzung mit Flöte, Klarinette, Violine, Violoncello und Klavier in Eislers amerikanischem Exil, in einer Zeit materieller und politischer Sorgen. Und es ist das letzte der Kompositionen, die Eisler unter dem Einfluss seines Lehrers Arnold Schönberg in der Zwölftontechnik komponierte. Mit diesem Opus 70 erwies er Schönberg in besonderer Weise Reverenz zu dessen siebzigsten Geburtstag, indem er die zugrunde liegende Reihe aus dem Anagramm des Namens seines Lehrers bildete. Außerdem wählte er dieselbe Besetzung wie die in Schönbergs Pierrot Lunaire, dem Stück des zweiten Teils  dieses Konzerts.

Neben politischen engagierter Musik schrieb Eisler auch zahlreiche Werke absoluter Musik, zu denen diese vierzehn Variationen gehören, wenigstens teilweise. Denn ursprünglich konzipiert waren sie als Musik zu einem Kurzfilm mit Impressionen eines Amsterdamer Regentages, den Joris Ivens bereits 1929 unter Verwendung anderer Musik gedreht hatte. Eislers kühl-distanzierte Musik gibt entgegen den ursprünglichen, eher romantisierenden Klängen einer Solo-Gitarre dem Film im Sinn einer Verfremdung wesentlich mehr  Ausdruck und Tiefenschärfe. Ist die Musik in Bewegung, Rhythmus und Schnitt zwar dem Filmverlauf angepasst, so behält sie doch ihren eigenen Wert und kann wie an diesem Abend als autonomes Werk aufgeführt werden.

Unter Daniel Barenboims Leitung spielte zu Beginn des Konzerts das Boulez Ensemble dieses Werk in kristalliner Klarheit und mit der intendierten Zurückhaltung im emotionalen Ausdruck. Dennoch blieb die Aufführung nicht unterkühlt, sondern die Instrumente wirkten aus sich selbst, aus der souveränen Behandlung der Instrumentalisten, ihrem subtilen und eminent konzentrierten Zusammenspiel.

Im zweiten Konzertteil stand dann Pierrot lunaire von Arnold Schönberg auf dem Programm - seinerseits auch eine Reverenz und zwar gegenüber Pierre Boulez, der diesen Meilenstein der neuen Musik häufig aufgeführt und mehrmals eingespielt hat. Mit dem Pierrot hatte Schönberg wirkliches Neuland betreten, weniger in der atonalen Gestalt der Musik, da hatte er den Durchbruch bereits früher vollzogen, dagegen in der Behandlung der Stimme  umso radikaler. Denn weder lässt er den Text der Gedichte singen noch melodramatisch rezitieren. Er schreibt der Stimme eine Art Zwischending aus Gesang und Sprache vor, zwischen denen die Interpretin im Verlauf an wenigen markanten Stellen auch abwechselt. Boulez hat diesen Sprechgesang einmal mit der Vortragsart des Kabaretts verglichen. Tatsächlich hat Schönberg ja zu Anfang der 1900er Jahre im damaligem Berliner Kabarett „Überbrettl“ als Klavierbegleiter und Songkomponist entsprechende Erfahrungen gesammelt.

In der Aufführung dieses Abends sollte offenbar eine ähnliche Atmosphäre entstehen, indem die Stimme der Textinterpretin elektronisch verstärkt wurde. Leider erwies sich dies in technischer Hinsicht aufgrund häufiger Übersteuerung als wenig glücklich. In Stil und Ausdruck allerdings traf die Künstlerin Donatienne Michel-Dansac, die als Sängerin im Repertoire zeitgenössischer Musik ebenso zuhause ist wie in der Barockmusik, den Ton der Gedichte durchaus treffend, worin sich die drei Abschnitte aus je sieben Gedichten deutlich unterscheiden. Im ersten Teil wird die merkwürdige Figur des mondsüchtigen Pierrot in teils mystischer, teils koketter Stimmung vorgestellt, im zweiten gibt es zugespitzt dramatische Episoden in düsteren Farben, während den dritten Teil skurril groteske Phantasien beherrschen. Die Interpretin lotete durch geschickte Stimmfärbung und mannigfaltige Ausdrucksvaleurs die Stimmungen der Gedichte eindrucksvoll aus. Auch der changierende Sprechgesang gelang überzeugend.

Schönbergs Instrumentalbegleitung dieser 21 skurrilen Gedichtminiaturen ist ein Füllhorn kleiner und kleinster musikalischer Figuren zwischen feinfühliger Zartheit und düsterem Schauer, meistens aber voll Ironie und Sarkasmus, die von den Mitgliedern des Boulez Ensembles mit  deutlicher Spielfreude und hoher Präsenz präsentiert wurden. 



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Ausführende

Boulez Ensemble

Daniel Barenboim
Musikalische Leitung und Klavier (Schubert)

Donatienne Michel-Dansac
Sprechgesang

Mathieu Dufour
Flöte, Piccoloflöte

Tibor Reman
Klarinette, Bassklarinette

Michael Barenboim
Violine, Viola

Astrig Siranossian
Violoncello

Klaus Sallmann
(Klavier: Eisler und Schönberg)

 


Werke

Hanns Eisler
Vierzehn Arten
den Regen zu beschreiben op. 70


Franz Schubert
Variationen für Flöte und Klavier
über das Lied “Trockene Blumen”
e-Moll D 802



Arnold Schönberg
Pierrot Lunaire
Dreimal sieben Gedichte von
Albert Giraud

für Sprechstimme und
fünf Instrumentalisten op. 21


Weitere Informationen
erhalten Sie unter

Pierre Boulez Saal Berlin
(Homepage)



Da capo al Fine

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