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La Cenerentola

Dramma giocoso in zwei Akten
Libretto von Giacopo Ferretti
Musik von Gioachino Rossini

in italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 3h 10' (eine Pause)

Konzertante Aufführung am Samstag, 11. Februar 2017, 20.00 Uhr
Großer Saal im Konzerthaus Dortmund

 


(Homepage)

Mit Schirm, Charme und Melone 

Von Thomas Molke / Fotos von Pascal Amos Rest

Groß war die Enttäuschung im Juni 2014 als Cecilia Bartoli die beiden lange im Vorfeld ausverkauften Vorstellungen ihres Debüts als L'Italiana in Algeri in Dortmund aus gesundheitlichen Gründen absagen musste. Anders als ihr Konzert in der Kölner Philharmonie im November letzten Jahres, das am 6.12.2016 nachgeholt werden konnte (siehe auch unsere Rezension), gab es keinen Ersatztermin, und so musste man fast drei Jahre warten, bis Bartoli in ihrem Terminkalender einen Platz für das Konzerthaus Dortmund  frei hatte. Aber das Warten hat sich mehr als gelohnt. Denn dieses Mal kommt sie mit ihrer absoluten Paraderolle, die sicherlich einen der bedeutendsten Meilensteine in ihrer mittlerweile über 20-jährigen internationalen Karriere markiert: Angelina aus Rossinis La Cenerentola. Legendär ist nicht nur die DVD-Einspielung der Bologna-Produktion aus der Houston Grand Opera vom November 1995 mit Bartoli in der Titelpartie. Ihr unermüdlicher Einsatz für dieses Werk hat auch dazu geführt, dass die Metropolitan Opera diese Oper, die sich bis zum Ende des 19. Jahrhunderts fast durchgängig auf den italienischen Bühnen halten konnte und ab den 1920er Jahren eine Renaissance in ganz Europa erlebte, erstmals auf den Spielplan setzte, wo sie sich mittlerweile ebenfalls einen Stammplatz im Repertoire erworben hat. Bei einer Orchesterprobe soll Luciano Pavarotti aus dem Dunkel des Zuschauersaals während des berühmten Schluss-Rondos "Non più mesta accanto al foco" der Bartoli auf Italienisch zugerufen haben: "Du bist wirklich die Beste!" Von der Gültigkeit dieser Aussage konnte man sich nun auch bei der Aufführung im Konzerthaus überzeugen.

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Cecilia Bartoli in ihrer Paraderolle als Cenerentola (rechts hinter ihr: Sen Guo als Clorinda)

Anders als der Titel der Oper vermuten lässt, geht die Handlung eigentlich nicht auf die berühmte Vorlage aus der Märchensammlung von Charles Perrault zurück, sondern hält sich eher an die 1810 erschienene Opéra-féerie Cendrillon von Nicolas Isouard auf ein Libretto von Charles-Guillaume Étienne und verzichtet auf jegliche magischen Momente. Dass die böse Stiefmutter durch den Stiefvater Don Magnifico ersetzt wird, ist wohl hauptsächlich dem Bedürfnis nach einer großen Buffo-Bass-Partie geschuldet. Gleiches gilt für die Einführung des Dieners Dandini, der mit dem Prinzen zunächst die Rollen tauscht, damit dieser die potentiellen Ehekandidatinnen inkognito prüfen kann. Ferner verliert Angelina-Cenerentola auf dem Ball des Prinzen keinen Schuh, sondern überreicht dem Prinzen einen Armreif, der ihm als Erkennungsmerkmal dienen soll, was einerseits der Zensur der damaligen Zeit geschuldet sein dürfte, da die Entblößung eines Fußknöchels auf der Bühne unerwünscht war, andererseits ein Armband als "vergöttertes und teures Pfand", das Don Ramiro in den Händen hält und besingt ("Pegno adorato e caro"), sicherlich passender als ein Schuh ist. Statt einer guten Fee zieht der Philosoph Alidoro die Fäden, indem er als Erzieher des Prinzen dessen Weg zu Angelina-Cenerentola lenkt.

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Alidoro (Ugo Guagliardo) präsentiert die geheimnisvolle Unbekannte (Cecilia Bartoli) auf dem Ball des Prinzen Don Ramiro.

Auch wenn die Produktion als konzertante Aufführung bezeichnet wird, wird schon beim Betreten des Saals klar, dass die Zuschauer hier etwas Szenisches erwartet. An der Rampe fehlen die üblichen Stühle für die Solisten. Stattdessen sieht man ein schwarzes Ledersofa mit einem kleinen Glastisch und mehrere Paar Schuhe, die Cenerentola direkt zu Beginn putzen muss. Der Männerchor der Opéra de Monte-Carlo tritt zwar im Gegensatz zu den Solisten mit Textbüchern auf, ist aber mit schwarzen Melonen ebenfalls kostümtechnisch in die Inszenierung eingebunden. Als Orchester sind Les Musiciens du Prince aus Monaco zu erleben, ein 2016 auf Bartolis Initiative gegründetes Barockensemble, das sich neben den Meistern des Barock auch Rossinis Werken widmet. Zu Beginn wirkt die Ouvertüre in dieser Orchesterbesetzung etwas ungewohnt, da Gianluca Capuano mit den Musikern einen schlanken und filigranen Klang erzeugt. Mit der Zeit gewöhnt man sich aber an diesen im Ganzen weniger voluminösen Klang. Dazu gibt er den Solisten auch die Möglichkeit, in der Lautstärke mehr zu variieren, und so sind die Sängerinnen und Sänger selbst im Flüsterton noch bis in die letzte Reihe zu verstehen.

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Dandini (Alessandro Corbelli, links) hofiert Cenerentola (Cecilia Bartoli, Mitte). Don Magnifico (Carlos Chausson, rechts) und seine beiden Töchter Clorinda (Sen Guo, links von ihm) und Tisbe (Irène Friedli, rechts von ihm) schauen argwöhnisch zu.

Sen Guo und Irène Friedli holen stimmlich und darstellerisch alles aus den beiden unliebsamen Stiefschwestern Clorinda und Tisbe heraus, was die beiden Partien hergeben. In skurrilen Kostümen, Friedli zunächst als mondäne Künstlerin mit einem wehenden Umhang und kunstvoll drapiertem Handtuch auf dem Kopf und Guo mit knallroten Lockenwicklern, malträtieren sie die arme Cenerentola, die ihren Träumen von einem König nachhängt, der sich nicht vom Reichtum blenden lässt, sondern sich für die Tugend und Unschuld entscheidet. Mit voluminösen Tiefen begeistert Bartoli in der Titelpartie direkt bei ihrer Auftrittskavatine "Una volta c'era un re". Bereits hier wird ihr Ausnahmetalent offenbar, wenn sie die Koloraturen in flüssigem Parlando-Ton regelrecht perlen lässt und in den schnellen Tempi, wenn die Schwestern sie beim Terzett "Cenerentola vien qua" über die Bühne hetzen, dennoch über atemberaubende Textverständlichkeit und Präzision verfügt. Dass sie dabei darstellerisch vollständig in der Rolle aufgeht, braucht eigentlich kaum noch erwähnt zu werden. Hinreißend gelingt auch ihre erste Begegnung mit dem als Kammerdiener getarnten Prinzen Don Ramiro. Edgardo Rocha stellt nicht nur optisch einen charismatischen jungen Prinzen dar, sondern versprüht mit seinem geschmeidigen Tenor in strahlenden Höhen königlichen Glanz. Das Duett zwischen Rocha und Bartoli, "Un soave non so che", in dem die beiden ihre Gefühle füreinander erkennen, avanciert in der hinreißenden Interpretation der beiden zu einem Höhepunkt des Abends. Dabei lässt Bartoli das Publikum aber nicht lange in Rührung verharren, sondern fordert die Zuschauer in der ersten Reihe auf, das Geschirr, das beim Zusammentreffen mit dem Prinzen von der Bühne gefallen ist, schnell wieder auf das Tablett zu legen, damit sie keinen Ärger mit ihrem Stiefvater bekommt.

Die Partie des Don Magnifico ist mit Carlos Chausson ebenfalls hochkarätig besetzt. Schon bei seiner Auftrittskavatine "Miei rampolli femminini", in der er erzählt, wie er im Traum als Esel auf einem Kirchturm gelandet sei, stellt er sein komisches Talent mit profundem und beweglichem Bass unter Beweis. Gleiches gilt für seine große Arie zu Beginn des zweiten Aktes "Sia qualunque delle figlie", in der er sich eine Zukunft im Reichtum ausmalt, wenn sich der Prinz für eine seiner Töchter entscheiden sollte. Alessandro Corbelli, der wie Bartoli bereits in der DVD-Aufnahme von 1995 zu sehen ist, wirkt zwar in der Partie des Kammerdieners Dandini zunächst ein bisschen alt, so dass man ihn fast mit Don Magnifico verwechseln könnte, gleicht dies aber mit humorvollem Spiel wieder aus. Stimmlich lässt auch sein Bass keine Wünsche offen. Mit beweglichem Parlando-Ton macht er sich über Clorinda und Tisbe lustig und vermittelt glaubhaft, dass er sich in der Rolle des Prinzen durchaus wohlfühlt. Ein weiterer Höhepunkt ist das Buffo-Duett "Un segreto d'importanza", in dem Dandini sich Don Magnifico als Kammerdiener zu erkennen gibt. Was Chausson und Corbelli hier an Komik aufbieten, ist kaum zu übertreffen.

Besondere Erwähnung verdienen auch die Kleider, die Clorinda, Tisbe und Angelina zum Ball des Prinzen tragen. Während Clorinda als eine Art Meerjungfrau mit Schuppenkostüm und Fischschwanz auftritt und Tisbe als eitler Pfau im Federnkostüm, trägt Cenerentola ein weites ausladendes Kleid mit silbernen Versatzstücken, die an einen zerbrochenen Spiegel erinnern. Ihr Gesicht ist unter einem Tuch mit dem gleichen Muster verborgen. Soll dies andeuten, dass die Träume der beiden Stiefschwestern zu Bruch gehen und sie an ihrer eigenen Eitelkeit zerbrechen? Wenn Cenerentola am Ende vom Prinzen ausgewählt worden ist, trägt sie ein ähnliches weißes Kleid, auf dem allerdings die Spiegel fehlen. Das Wirken Alidoros bekommt ebenfalls eine magische Nuance. So hat sein weißer Anzug, den er unter dem Bettlermantel verbirgt, weiße Engelsflügel, wenn er Cenerentola verkündet, dass sie nun ebenfalls zum Ball gehen wird. Mit kräftigen Tiefen glänzt Ugo Guagliardo als Don Ramiros Erzieher in der erst drei Jahre nach der Uraufführung eingefügten großen Arie "Là del ciel nell' arcano profondo", in der er Angelina verspricht, dass am Ende die Güte triumphieren wird.

Als weitere musikalische Höhepunkte dürfen auch die Gewittermusik, Don Ramiros große Tenorarie "Si, ritrovarla io giuro" und das berühmte Sextett "Questo è un noddo avviluppato" nicht verschwiegen werden. Mit variablem Schlagwerk machen die Musiciens du Prince den aufziehenden Sturm im Konzerthaus regelrecht spürbar. Cenerentola reicht ihrem Stiefvater sofort einen Regenschirm, unter dem er ängstlich Schutz sucht. Rocha glänzt in seiner Bravourarie, in der er schwört, dass er die schöne Unbekannte überall suchen wird, beim "stringerò" mit so sauber angesetzter Höhe, dass er vom Publikum mit tosendem Applaus überschüttet wird. Beim Sextett verknotet er dann Dandini, Cenerentola, Don Magnifico, Clorinda, Tisbe und schließlich sich selbst mit einem roten Faden, den er aus Cenerentolas Kittel zieht, bis diese sich nach anfänglicher Erstarrung leicht aggressiv daraus befreien. Auch in dieser Szene begeistern die Solisten allesamt mit sauber angesetzten Tempi in absolutem Einklang mit dem Orchester. Den krönenden Abschluss bildet natürlich Cenerentolas berühmtes Schlussrondo "Non più mesta accanto al foco", das Bartoli noch einmal mit atemberaubenden Variationen verziert, wie sie derzeit wohl von kaum einer anderen Interpretin zu hören sind. Dabei verteilt sie auch noch an ihre Mitstreiter kleine Hochzeitstörtchen, die sie ihnen resolut in den Mund schiebt. Das Publikum ist nach dem letzten Ton kaum noch zu bremsen und bejubelt alle Beteiligten mit stehenden Ovationen.

FAZIT

Cecilia Bartoli tourt mit dieser Produktion bis Ende Februar noch durch mehrere europäische Städte (Orte und Termine siehe hier). Wer die Gelegenheit hat, sollte sich diese Aufführung nicht entgehen lassen.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Gianluca Capuano

Szenische Einrichtung
Claudia Blersch

Choreinstudierung
Stefano Visconti

Männerchor der Opéra de Monte-Carlo

Les Musiciens du Prince



Solisten

Angelina (Cenerentola)
Cecilia Bartoli

Don Ramiro
Edgardo Rocha

Dandini
Alessandro Corbelli

Don Magnifico
Carlos Chausson

Clorinda
Sen Guo

Tisbe
Irène Friedli

Alidoro
Ugo Guagliardo



Weitere Informationen
erhalten Sie vom
Konzerthaus Dortmund
(Homepage)



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