Zur OMM-Homepage Zur OMM-Homepage Veranstaltungen & Kritiken
Konzerte
Zur Homepage Zur Konzert-Startseite E-mail Impressum



Mittwoch, 15. April 2017, müpa Budapest, Großer Saal
Budapesti Tavaszi Fesztivál 2017


Matthäuspassion


Homepage Homepage

Keine Ruh‘ dem ängstlichen Gewissen

Von Stefan Schmöe / Fotos © János Posztós, Budapesti Tavaszi Fesztivál

Der Müpa, ausbuchstabiert: Muvészetek Palotája („Palast der Künste“), beherbergt, flankiert von einem kleinen Theatersaal und dem Museum Ludwig für zeitgenössische Kunst, Budapests bedeutendsten Konzertsaal. Südlich der Innenstadt am Pester Donauufer (direkt an der Rákoczi-Brücke, der scheußlichsten Brücke der Stadt) gelegen, sollte hier abseits der Touristenmeile im Arbeiterviertel Ferencváros ein neues Kulturzentrum entstehen – mit dem architektonisch allerdings völlig missglückten Nemzeti Szinház, dem Nationalschauspiel, als Pendant, das der Glasfront des Müpa merkwürdigerweise den Rücken zukehrt. Abgeschottet von einem Riegel nüchterner Bürogebäude und einem Großparkplatz ist das mit bedeutungsschweren Symbolen überfrachtete Areal ziemlich unbelebt geraten, und der trutzige Müpa selbst sieht trotz Glasfront mehr nach ein‘ feste Burg in spätsozialistischer Lesart denn nach Palast aus. Im Inneren besitzt das in mehreren durch großzügig flache Treppen verbundenen Foyers gestaffelte Gebäude, das 2005 eröffnet wurde, durchaus großzügigen und weltstädtischen Charme. Der nach Bela Bartók benannte große Saal mit rund 1500 Plätzen ist nach „Schuhkarton-Bauweise“ zum Podium hin ausgerichtet und von leicht abgerundeten Galerien umgeben; die das helle Holz des Zuhörerbereichs kontrastierende bunte Farbgebung um die Orgel herum ist zwar Kunst, deshalb aber nicht automatisch schön. Wie überhaupt das Maßhalten offensichtlich nicht die größte Tugend der Architekten Zoboki, Demeter & Partner gewesen ist, jedenfalls wirkt das Gebäude bei manch schöner Idee hier und da allzu verspielt. In der ersten Liga der europäischen Konzerthäuser spielt der Müpa, nicht zuletzt des ambitionierten Programms wegen, aber allemal.

Foto

Ensemble

An diesem Abend gastieren die Akademie für Alte Musik Berlin und der RIAS Kammerchor Berlin unter der Leitung von René Jacobs mit Bachs Matthäuspassion im großen Saal, der durch seine helle und brillante, sehr transparente, fast schon zu direkte Akustik besticht. Als ausgewiesener Fachmann für alte Musik hat Jacobs die Chorstimmen bei konsequenter Doppelchörigkeit (beide Ensembles sind auch optisch leicht getrennt) je dreifach besetzt. Auf den Knabenchor verzichtet er und überträgt deren Chorstimme den Solisten. Die vier hohen Stimmen, darunter Benno Schachtner als Countertenor, singen im Eingangschor von der Orgelempore, der Fortsetzung der zweiten umlaufenden Galerie, aus, was klanglich durchaus reizvoll ist- das Fehlen der Knabenstimmen ist dennoch bedauerlich. Der RIAS Kammerchor gehört aber ganz sicher zu den weltbesten Ensembles, der schlanke, dennoch volle Klang ist ungemein wandlungsfähig, und technisch bewältigt der Chor alle Anforderungen mit Leichtigkeit. Ob weicher Choralklang oder den berstend scharfen Barrabam-Aufschrei – das ist bei außerordentlicher Homogenität von bestechender klanglicher Präsenz. Dazu scheint zwischen Orchester, Chor und Dirigenten blindes Verständnis zu herrschen; die Musik hat ganz selbstverständliche Spannungsbögen in dieser ja nicht eben kurzen und immer wieder reflektierend unterbrochenen Passionsgeschichte, und am Ende bleibt nach fast dreieinhalb Stunden eher das Gefühl, es sei doch allzu schnell zu Ende gegangen. René Jacobs beweist da ein absolut sicheres Gespür für den ständigen Wechsel von Spannung und Entspannung.

Foto

René Jacobs

Julian Prégardien ist ein ganz ausgezeichneter Evangelist mit sehr plastischer Ausgestaltung des Textes. Vater Christoph hat ein paar Tage zuvor ebenfalls in Budapest den Evangelisten in der Johannespassion gesungen (unsere Rezension), was natürlich zum Vergleich herausfordert. Sohn Julian besitzt vielleicht noch nicht die Souveränität in der Stimmführung, hat ein paar (ganz kleine) Wackler (singt allerdings neben der für sich ja schon ungeheuer anspruchsvollen Partie des Evangelisten noch die Tenor-Arien, die dem ersten Chor zugeschrieben sind), allerdings ein seinem Vater (fast) ebenbürtiges berückendes Timbre mit absolut sicherer Höhe und wunderbarer Linienführung. Bemerkenswert ist aber, dass er – obwohl die Matthäuspassion von der Anlage her weit weniger dramatisch ist als die Johannespassion - sehr viel plastischer, ja: im besten Sinne theatralischer ist in der Textausdeutung. Das Weinen Petrus‘ oder das Entsetzen nach dem Tod Jesu, um nur zwei prägnante Beispiele zu nennen, sind ungeheuer eindrucksvolle Momente. Und wenn er sich im überirdisch schönen kurzen Chorsatz „Wahrlich, dieser ist Gottes Sohn gewesen“ betroffen wegdreht, dann wird die Ernsthaftigkeit, mit der hier musiziert wird, unmittelbar sichtbar.

Foto

Julian Prégardien (rechts)

Dazu tragen der klangschöne, schlank und beweglich geführte Bass von Johannes Weisser (der auch die Christusworte singt), die hinreißende Sopranistin Sunhae Im mit strahlendem, nicht zu leichtem Sopran und der jugendlich frische Countertenor von Benno Schachtner bei. Das Solistenquartett des zweiten Chores (Anja Petersen, Kristina Hammarström,Minsub Hong und Jonathan de la Paz Zaens) können auf diesem außerordentlich hohen Niveau nicht mithalten, machen ihre Sache aber ordentlich. Durchweg hervorragend spielen die Musikerinnen und Musiker der Akademie für alte Musik Berlin.

Am Ende des bewegenden Konzerts dirigiert Jacobs den Schlusschor „Wir setzen uns mit Tränen nieder“ recht schnell und mit großer innerer Unruhe. Den dissonanten Vorhalt des Schlussakkords kostet er schmerzvoll aus. Die Musiker entlassen das (über die gesamte Dauer außergewöhnlich konzentrierte) Publikum in dem düsteren Bewusstsein, in tiefe Schuld verstrickt zu sein.




Ihre Meinung
Schreiben Sie uns einen Leserbrief
(Veröffentlichung vorbehalten)


Programm

Johann Sebastian Bach:

Matthäuspassion BWV 244


Ausführende

Chor 1:
Sunhae Im - Sopran
Benno Schachtner - Countertenor
Julian Prégardien - Tenor (Evangelist)
Johannes Weisser - Bass

Chor 2:
Anja Petersen - Sopran
Kristina Hammarström - Alt
Minsub Hong - Tenor
Jonathan de la Paz Zaens - Bass


Akademie für Alte Musik Berlin

RIAS-Kammerchor Berlin

Dirigent: René Jacobs



Weitere Informationen:

müpa Budapest



Da capo al Fine

Zur OMM-Homepage Zur Konzert-Startseite E-Mail Impressum
© 2017 - Online Musik Magazin
http://www.omm.de
E-Mail: konzerte@omm.de

- Fine -