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Der "König des schönen Gesangs" hält Hof in Essen
Von Thomas Tillmann Ziemlich genau drei Jahre ist es her, als Juan Diego Flórez mit einem ziemlich kurzen Abend in der Ruhrgebietsmetropole den einen oder die andere ein wenig verärgert hatte - ein paar Tage später hatte der Peruaner einige Konzerte abgesagrt, so dass man mutmaßen konnte, dass die Erkrankung damals schon im Anmarsch war oder bereits eingesetzt hatte. Mit einem abwechslungsreichen, anspruchsvollen Programm meldete der "Märchenprinz - und gleichzeitig der König des schönen Gesangs unserer Tage" (so die Ankündigung auf der Homepage) sich in der Essener Philharmonie zurück und ernete Beifallsstürme, wie man sie selten erlebt. Stefano Donaudy kreierte mit seinen Kanzonen "eine Disziplin, die irgendwo zwischen Oper, Operette und Lied anzusiedeln ist: kurze Arien, eigenständig, eigentlich mehr dem Lied nahestehend, aber nicht dem deutschen Kunstlied verwandt", Miniaturen, die "kleine Szenen, diskrete emotionale Momente" schildern, keine "großen Dramen, keine forte gebrüllten Liebesschwüre" (so Christoph Vratz im Programmheft). Dank der gemäßigten Tessitur erwiesen die drei Auszüge aus den "36 Arie di Stile Antico" sich als ideale Wahl für das Warmwerden mit den räumlichen Gegebenheiten bei (nicht ganz) vollem Haus, wobei der Tenor schon hier dank seiner vollendeten Legatokultur und Atemkontrolle, der Flut von Schattierungen, der organisch eingesetzten Pianoeffekte und der puren Schönheit des Tons für sich einnahm. Sein großer musikalischer Geschmack und seine interpretatorische Noblesse sind es, die einen auch bei Werken der zweiten Reihe eben diesen Umstand vergessen lassen: Flórez nimmt die Werke ernst, und es gelingt ihm, dass die Zuhörerinnen und Zuhörer es auch tun. Als Oratoriensänger hat sich Juan Diego Flórez meines Wissens bisher keinen Namen gemacht, aber die Ebenmäßigkeit des Tons, die edle Linie, die technische Souveranität, die es ihm möglich macht, sich ganz auf die Interpretation zu konzentrieren, die Eleganz und Mühelosigkeit bei der Ausführung der Verzierungen, die Raffinesse in der Gestaltung der Kadenzen machten die beiden Arien aus Händels Semele zu Höhepunkten des Abends, wenngleich der Peruaner an seiner englischen Aussprache noch ein wenig feilen müsste. Juan Diego Flórez (Foto © Sven Lorenz)
Kein Problem war für den Künstler auch die brutale Tessitur der Romanze des Raoul aus Meyerbeers nach wie vor unterschätzten und zu selten aufgeführten Huguenots, die bis zum hohen D reicht, wie sinnlich klang hier die Stimme auch in der mezza voce, mit viel Geschmack und ohne plattes Vorführen der Möglichkeiten kostete er dezente Fermaten aus und brillierte mit funkelnden, aber nie reißerisch aus der Gesangslinie isolierten Spitzentönen. Eloquenz und bemerkenswerte Textausdeutung machten bereits das Rezitativ der Verdiszene hörenswert, die Verve des Singens in der Cabaletta schließlich euphorisierte das Publikum vor der Pause. Manch einer rümpft zweifellos die Nase angesichts der Gemmen eines Francesco Paolo Tosti, dem der Programmheftautor aber nicht zu Unrecht ein "ausgezeichnetes Gespür für musikalische Linien, für den Atem bei der Melodieformung, für organisches Anwachsen und Zurücknehmen der Lautstärke" bescheinigt, und es sind diese Vorzüge, die Flórez mit seinen beträchtlichen vokalen Mitteln hervorhebt, er lässt die Lieder nicht zu Schmachtfetzen oder Reißern verkommen, er fällt nicht auf die Knie und verteilt Blumen (die beiden Sträuße der Intendanz übergibt er erst am Ende des Konzerts zwei Damen im Parkett), sondern lässt sich auf die etwas schlichte Gefühlswelt ein und schafft Momente berührender Intimität und kontrollierter Exstase. Die Pianissimi und Morendi, die Voix-mixte-Effekte jeweils am Schluss hätten allein den Besuch des Konzerts gerechtfertigt. Und auch die Zarzuela-Auszüge klingen bei Flórez nicht vulgär, auch sie adelt er mit schwebenden, verführerischen, völlig ungefährdeten Tönen oberhalb des Systems. Der Peruaner beschließt das offizielle Programm mit der diffizilen Arie des Roberto Devereux und deutet damit vielleicht eine geplante Repertoireerweiterung an, wenngleich mir die Rolle doch noch ein wenig zu dramatisch erscheint. Immerhin, das vokale Feuerwerk, das er in der Kadenz vor der Cabaletta zündet, ist ein mehr als überzeugender Grund, diese Szene zu präsentieren. Vincenzo Scalera, weltbekannt durch seine Zusammenarbeit mit Künstlern wie Montserrat Caballé, Carlo Bergonzi, Leyla Gencer, Renata Scotto, Raina Kabaivanska oder Cesare Siepi, bestätigte seinen Ruf als kompetenter Klavierbegleiter auf Augenhöhe, und bewies etwa in der Einleitung zur zweiten Händel- oder zur Verdiarie sein immenes pianistisches Können. Drei Zugaben erklatscht sich das enthusiasmisierte Publikum: Mit dem Bolero "Mi lagnerò tacendo" aus Rossinis Péchés de vieillesse, gespickt mit zahllosen Schwierigkeiten, erinnert Flórez an seine besondere Affinität zu den Werken des Meisters aus Pesaro, das Publikum freut sich auch über "Tu m'appari" aus Flotows Martha und summt die Einleitungstakte mit, und natürlich ertönt auch noch einmal "La donna è mobile", das er bereits 2010 hier gesungen hatte, die einzige Dublette übrigens. Nach dem Konzert signierte der Künstler noch höflich die eigenen CDs und DVDs im Foyer und wirft damit die Frage auf, wann endlich ein neues Album herauskommt; die anderen Topstars der Szene dürfen doch auch immer noch jede noch so absurde Lebensäußerung auf Tonträger bannen, und ich bin sicher nicht der einzige, der sich beispielsweise über ein Händel- oder Meyerbeerprogramm oder rare Belcantotitel freuen würde. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
AusführendeJuan Diego Flórez, TenorVincenzo Scalera, Klavier WerkeStefano Donaudy Aus "36 Arie di stile antico" Nr. 18 "O del mio amato ben" Nr. 19 "Quand'il tuo diavol nacque" Nr. 14 "Vaghissima sembianza" Georg Friedrich Händel "Where'er you walk" "I must with speed amuse her" Arien des Jupiter aus dem Oratorium Semele, HWV 58 Giacomo Meyerbeer "Plus blanche que la blanche hermine" Romanze des Raoul aus "Les Huguenots" Giuseppe Verdi "Je veux encore entendre ta voix" Arie des Gaston aus Jérusalem Francesco Paolo Tosti "Ideale" "Vorrei morire" "Parted" "L'alba separa dalla luce l'ombra" Pablo Luna "Paxarin, tú que vuelas" Romanze des Juan aus La picara molinera Reveriano Soutullo/Juan Vert "Bella enamorada"" Romanze des Enrique aus El ultimo romántico José Serrano "Te quiero, morena" Jota aus aus El trust de los tenorios Gaetano Donizetti "Come uno spirto angelico" Arie des Roberto aus Roberto Devereux
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