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Dieser Komponist braucht keinen Krimi
Von Stefan Schmöe / Fotos: © Sonja Werner So ein Konzert von Cecilia Bartoli hat mitunter etwas vom Charme eines Popkonzerts kreischende Fans (wenn auch deutlich betagter als bei Auftritten von Lady Gaga), Applaus, wenn man den Song erkennt (hier bei Händels Lascia la spina als Zugabe), und das Gefühl, Teil einer großen Gemeinschaft zu sein (die Bartoli weiß natürlich genau, wie man das Publikum einfängt). Dazu kommt, dass der Auftritt passgenau zur neuesten CD-Einspielung den Marketing-Mechanismen der Plattenindustrie folgt. Mission heißt das aktuelle Projekt, und dafür hat Cecilia Bartoli gleich noch Krimi-Autorin Donna Leon ins Boot geholt: Der bis dato quasi unbekannte Komponist Agostino Steffani (1654 1728) wird nicht nur musikalisch entdeckt, sondern ihm gleich noch die Aura des geheimnisvollen Diplomaten in kurfürstlichen und päpstlichen Diensten samt Verwicklung in einen historischen Mordfall übergestülpt. Dem Buch- und CD-Handel, beides ja durchaus bedrohte Branchen, sei ein Verkaufserfolg gegönnt, zumal man bei Signora Bartoli davon ausgehen kann, dass sie für ihren Teil sorgfältig recherchiert hat.
Im Dortmunder Konzert (großes Kompliment an das Management des Hauses, das solche Abende möglich macht) ist dankenswerterweise fast gar nichts von diesem sensationsheischenden Überbau zu bemerken, hier geht es um die Musik, und die ist auch so der Entdeckung wert. Die Auswahl an Opernarien zeigt eine bemerkenswerte stilistische Bandbreite vom Tonfall introvertierter Trauer bis zur furiosen Attacke. Die Instrumentation ist ausgesprochen farbig neben Streichern und Continuo (mit Fagott) werden zwei Oboen, zwei Blockflöten und eine Trompete aufgeboten, dazu umfangreiches Schlagwerk mit Pauken und Trommel, Schellenkranz und Tambourin, Glöckchen und allerlei Dingen zur Erzeugung diverser Geräusche. Bei aller Hochachtung vor der klanglichen Vielfalt, die hier gezeigt wird: Zirpende Grillen, rauschende Blätter, Wind und am Ende gar der Ruf des Käuzchens, das ist für ein Nachtstück doch allzu viel des Guten. Hier und da wirkt das dann doch überinstrumentiert und dadurch unnötig parfümiert, und ob das alles im Sinne des Komponisten ist oder doch mehr der Hörabenteuerlust des frühen 21. Jahrhunderts folgt, bleibt offen. Auch ohne solche Effekte wäre das höchst eindrucksvolle Musik. Für Cecilia Bartoli und ihre stupende Koloraturtechnik ist diese Ausgrabung eine Steilvorlage: Auch im aberwitzigen Presto stößt sie jede Note an, nichts verschleift, sondern glasklar und fast ohne klanglichen Substanzverlust setzt sie Ton an Ton da hat es selbst die Oboe (die Naturtrompete sowieso) schwer, im Wettstreit der schnellen Läufe und Verzierungen mitzuhalten: Das raubt nicht der Sängerin, sondern dem Publikum den Atem. Bei allem Furor hat diese instrumental geführte Stimmakrobatik etwas Sportliches, bei aller Schönheit des Tones hat diese irrwitzige Virtuosität etwas Unterkühltes. Ganz anders die langsamen Arien, die Cecilia Bartoli mit ihrer nicht großvolumigen, aber apart eingedunkelten und immer tragfähigen Stimme sehr expressiv gestaltet. Gerade in den ganz introvertierten Momenten bekommt die Musik eine immense Ausdruckskraft, ganz frei von jeglichem Manierismus. Den gönnt sich die Sängerin hier und da in humorigen Einlagen, die angesichts solcher Gesangskunst verzichtbar wären, beim Publikum aber gut ankommen. Dabei ist es auch so ein Vergnügen, der Bartoli zuzuschauen: Ein Energiebündel, das die Musik nicht nur singt, sondern lebt. Das Kammerorchester Basel, geleitet von Konzertmeisterin Julia Schröder, begleitet nicht nur ganz ausgezeichnet, sondern gliedert das Programm mit Ouvertüren und Ballettmusiken Steffanis.
So ist's ein großer, nebenbei sehr unterhaltsamer Konzertabend mit einem Programm ausschließlich mit Werken Steffanis damit den Saal zu füllen und das Publikum von den Stühlen zu reißen, das zeigt schon die große Kunst der Cecilia Bartoli. Völlig umgeschrieben werden muss die Musikgeschichte trotz der Wiederentdeckung Steffanis aber wohl doch nicht, das machten die Zugaben, allesamt von Händel, deutlich. In dessen Musik schwingt ein gewissen Maß an Abgeklärtheit mit, das Steffanis Kompositionen bei aller Wertschätzung so nicht zeigen. Und wie Cecilia Bartoli das eingangs erwähnte Wunschkonzertstück Lascia la spina (häufiger in der später in die Oper Rinaldo übernommene Version Lascia ch'io pianga zu hören) ganz zurückgenommen und bescheiden, aber mit höchster Intensität interpretiert, das gehört schon zu den ganz großen und berührenden Momenten des Konzertbetriebs und lässt Donna Leon und jede Mission vergessen: Da finden für ein paar Minuten eine wunderbar tieftraurige Musik und eine grandiose Sängerin aufs Schönste zusammen. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
27.11.2012 Arienabend Cecilia Bartoli Cecilia Bartoli, Mezzosopran Kammerorchester Basel Leitung: Julia Schröder Programm: Ouvertüren und Szenen aus Opern von Agostino Steffani (1654 - 1728)
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