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1. Symphoniekonzert der Essener Philharmoniker


24. September 2010

Philharmonie Essen
Alfried Krupp Saal
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Philharmonie Essen (Homepage)
Gepflegte Langeweile und ein Juwel

Von Christoph Kammertöns

Ein Abend, an dem das Beste die Programmauswahl ist, geht nicht unter die Haut. Vergebens ist er dennoch nicht. Lehrer wissen, dass in der Schule immer etwas gelernt wird, nur nicht unbedingt das, was beabsichtigt war. Wer nun beim Thema Lernen meint, sich verlesen zu haben, darf versichert sein: Auch im Konzert findet Lernen statt. Wenn der Begriff, auf den kleinsten Nenner gebracht, eine Veränderung des Erlebens (und Verhaltens) aufgrund von individueller Erfahrung an der Umwelt bedeutet, dann bot sich im ersten saisonalen Symphoniekonzert der Essener Philharmoniker reiche Erfahrungs- und Erlebensmöglichkeit.

Zu erleben also war zuvorderst ein überaus gut gelaunter Dirigent der springlebendig auf das Podium turnte und zu jeder Zeit pantomimisch vermitteln konnte, wie fesselnd die vorgestellten Kompositionen sein sollten. Die Formulierung ‚vorgestellt' trifft es dabei recht gut, denn man hatte insbesondere in den verklammernden Werken des Abends nicht den Eindruck, dass die Mitwirkenden im Sinne eines lebendigen Nachvollzugs in die Musik eingetaucht wären. Es dominierte eine ‚Als ob'-Wirkung. Es sollte scheinen, als ob Ives in seiner intellektuell überformten Adaptierung der väterlicherseits vermittelten Blaskapellenseligkeit mächtig auf die Pauke haute und es mal so richtig krachen ließ. Es sollte scheinen, als ob sich in Dvoraks 9. Symphonie Innigkeit und wahre symphonische Pracht zur großen Schlussapotheose verdichteten.

Charles Ives' „Country Band-March“ für kleines Orchester bereitete in der Essener Philharmonie aber lediglich jenes lärmende, in Ermangelung jeden Federns und einer im Kern homogenen und geerdeten Klangdisposition schlicht nur schmerzende Fortissimo vor, das dann bei Dvorak bei jeder dynamisch hervorgehobenen Gelegenheit zu erdulden war. Dabei lässt sich keinem Musiker ein Vorwurf machen. Die Philharmoniker glänzten als sozusagen ausgeputztes Orchester auf höchstem Niveau: überwiegend saubere Streicher bis hinein in eine sehr disziplinierte Kontrabassgruppe, überwiegend blitzsaubere Bläser von größter Eloquenz in den Solostellen (darunter ebenso Hörner, die niemals kieksten, wie allerdings bei Dvorak auch Flötensoli, die rhythmisch und klanglich mitunter ins Ungefähre zielten). Ein präzises Schlagwerk ist ohnehin ein Muss.

Aber was frommt es alles, wenn das Gesamte nicht klingt? Im Forte, wie beschrieben, nicht stark, sondern einfach laut, im Piano nicht vorsichtig, sondern ängstlich: Schwelgende Cellokantilenen, eine situative kammermusikalische Zurücknahme des Instrumentalsatzes, pentatonisch Archaisierendes neben intendiert blühend Ausgeschmücktem – alles Leise oder Intime wirkte blass, nicht zart, nicht verhalten schwelgend, sondern verlegen buchstabiert.

Man ist zu dem wohlfeilen Ansporn verleitet: Spielt doch ruhig ein paar falsche Töne mit Überzeugung, als viele richtige Töne ohne Überzeugung! Bei älteren Aufnahmen stellt sich zum Teil die beglückende Erfahrung ein, dass versemmelte Passagen und haarsträubende Intonation in dem Moment ihr Übel verlieren, da ein nachdrücklicher Überblick sich mitteilt, der sich weder bei der ängstlichen Vermeidung kleiner Katastrophen noch bei einer vornehmlich dezibelorientierten Umsetzung von Vortragsanweisungen aufhält. Die gute Nachricht ist überdies heutzutage, dass sich intonatorische und technische Sicherheit durchaus mit einem fesselnden interpretatorischen Aplomb zu treffen vermögen. Man kann innerlich frei musizieren und dabei äußerlich präzise sein. Die Essener Philharmoniker hingegen wirkten überwiegend unfrei.

Eine Freiheit an diesem Abend betraf dann ein Ärgernis. Stefan Soltesz hatte für den langsamen Satz der Symphonie ein vergleichsweise zügiges Tempo veranschlagt, was je nach Bewertung einer angemessenen Largo-Charakteristik durchaus möglich ist. Nur gaben dem die Musiker nicht gerne nach. Die Folge war eine verwackelte Auffassung davon, was ein punktierter Rhythmus zu sein habe. Das Englischhorn verfiel unvorhersehbar von strikter Punktierung in ein triolisches Walzen und zurück, sodass man sich als Zuhörer sinnbildlich in einem Gewässer voller tückischer Unterströmungen wähnte, was der Hingabe an den eigentlichen Ruhepol des Werkes leider sehr schadete.

Dem Abend hätte es besser gestanden, sein Glanzlicht ans Ende zu setzen. Benjamin Brittens, posthum von Colin Matthews ausgearbeitetes, Doppelkonzert h-Moll für Violine, Viola und Orchester traf sich mit der – nun elegant sachlich wirkenden – Musizierweise des Orchesters. Das äußerst farbige, dabei motivisch durchorganisierte Frühwerk von 1932 besticht durch die Vermittlung rational disziplinierter Kreativität mit klangsensueller Empfindsamkeit, der zentral die Solisten, hier insbesondere die betörend sinnliche Viola, zutragen. Andreas Krecher, Violine, und Niklas Schwarz, Viola, vermochten bestens die fein schattierte Gratwanderung zwischen klassizistisch kommentierender Haltung und einem Duktus der Inbrunst auszubalancieren.




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Solisten:

Niklas Schwarz, Violine
Andreas Krecher, Viola

Essener Philharmoniker

Leitung: Stefan Soltesz


Charles Ives:
Country Band March
für kleines Orchester

Benjamin Britten:
Doppelkonzert h-Moll
für Violine, Viola und Orchester

Antonín Dvorak:
Sinfonie Nr. 9 e-Moll op. 95
"Aus der Neuen Welt”



Weitere Informationen

Philharmonie Essen
www.philharmonie-essen.de



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