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Abschiedstournee mit starkem Kontrastprogramm
Von Gerhard Menzel
Der Wunsch nach einem baldigen Wiedersehen hatte sich erfüllt (siehe OMM-Bericht von 2005)! Bereits nach drei Jahren war das New York Philharmonic mit seinem Chefdirigenten Lorin Maazel im Rahmen ihrer vierten gemeinsamen Europa-Tournee - Maazels "Abschiedtournee" als Music Director des NYP, das er seit sieben Jahren leitet - erneut zu Gast in der Philharmonie Essen. Wie damals präsentierten sie in zwei Konzerten eine sehr abwechslungs- und kontrastreiche Auswahl ihres umfangreichen Repertoires. Waren es im Jahr 2005 Werke von Richard Strauss, Olivier Messiaen, Jean Sibelius und Antonín Dvorák, standen nun Anton Bruckner, Maurice Ravel, Felix Mendelssohn Bartholdy und Igor Strawinsky auf dem Programm. Foto: © Sven LorenzDas erste der beiden NYP-Konzerte war Anton Bruckners monumentaler 8. Sinfonie gewidmet. Anders als zwei Tage zuvor beim Konzert des London Symphony Orchestra unter der Leitung von Daniel Harding in Wuppertal (siehe OMM-Bericht) war hier eine deutliche Handschrift des Dirigenten zu erkennen bzw. zu hören. Ganz seiner persönlichen - manchmal eigenwilligen - Ästhetik folgend, zelebrierte Lorin Maazel "seinen" Bruckner sehr analytisch und kontrolliert. Dabei wird so mancher die plakative und durch die Komposition nahe liegende, bisweilen plumpe Monumentalität vermisst haben, aber so wie Lorin Maazel dieses riesige Werk zu gestalten wusste, war wirklich bewundernswert. Ihm gelang es mit dem NYP außerordentlich gut, Spannungsbögen aufzubauen und die vielen baukastenartig aneinander gereihten Teile der formal immer ähnlich arrangierten Sätze als ein geschlossenes Ganzes wirken zu lassen. So jedenfalls klang diese Sinfonie nach einer geistig organisierten musikalischen Komposition und nicht nach einem abwechslungsreichen Potpourri schöner Streicher- und Holzbläsermelodien mit krachend schmetternden Blechbläserorgien. Foto: © Chris Lee Ganz andere Töne waren am folgenden Tag im zweiten Konzert zu hören. Zunächst zauberte Lorin Maazel mit dem NYP in der Orchestersuite "Ma mère l'oye" von Maurice Ravel herrlich schimmernde, transparent leuchtende Märchenbilder hervor, die die von Ravel so phantasievoll instrumentierten Klavierstücke nach Märchen aus Charles Perraults Märchensammlung ("Geschichten von meiner Mutter Gans") zu einem Kleinod raffinierter Klangkoloristik machen. Mit der anschließenden 4. Sinfonie von Felix Mendelssohn Bartholdy versetzte Lorin Maazel das Publikum in einen regelrechten Freudentaumel, obwohl das NYP eher durch blitzsauberes und brillantes Spiel auffiel, als durch leidenschaftliches, italienisches Temperament und südländische Leichtigkeit. Trotzdem war dieser Interpretation anzuhören, warum Felix Mendelssohn Bartholdy diese Sinfonie einmal als sein "lustigstes" Stück bezeichnet hatte. Die allgemeine Heiterkeit und die festlich fröhliche Stimmung waren nach der Pause aber schon mit den ersten gespielten Takten von Strawinskys "Le sacre du printemps" im Nu verflogen. Was Lorin Maazel und das NYP in der folgenden dreiviertel Stunde zum Erklingen brachten, war nicht nur eine der großartigsten und überwältigendsten Kompositionen der Musikgeschichte, sondern auch eine musikalische Interpretation von zuvor nicht für möglich gehaltener Emotionalität und gewaltiger Durchschlagskraft. Solche klanglichen Dimensionen wie sie hier zu erleben, ja physisch zu spüren waren, lassen sich so wirklich nur durch einen Dirigenten mit dem Format eines Lorin Maazel und ein Spitzenorchester wie dem NYP in dieser differenzierten Art und Weise verwirklichen. Das Orchester reagierte dabei aufmerksam und augenblicklich auf jedes noch so unspektakuläre und sparsame Zeichen Maazels, der sogar Strawinskys "Sacre" auswendig dirigierte. Es war ein ungeheuer packendes Erlebnis, das dauerhft in Erinnerung bleiben wird. Leider konnte ein großer Teil des Publikums - dem diese Aufführung zwar ebenfalls in Erinnerung bleiben wird, aber in ganz anderer Weise - dieses außergewöhnliche Ereignis ganz und gar nicht so aufnehmen und würdigen. Es ist schon erstaunlich, dass Strawinskys Komposition bei vielen heute noch solche divergierenden Reaktionen auslösen kann. Da lässt sich wirklich nachvollziehen, dass diese Musik bei ihrer Uraufführung im Jahr 1913 einen solchen Skandal provozierte, dass es unter den Zuhörern sogar zu tatkräftigen Handgreiflichkeiten kam. In Essen beschränkte sich diese Diskrepanz der Emotionen glücklicher Weise lediglich auf begeistertes Applaudieren und "Bravo" rufen sowie verständnisloses Kopfschütteln und verstörte Gesichter (mit den entsprechenden fassungslosen Kommentaren). Besonders betroffen waren wohl die zahlreichen "sonst nicht Konzertgänger", die lediglich durch die Verbindung mit den Verantwortlichen für dieses - dankenswerter Weise durch großzügiges Sponsoring ermöglichte - Gastspiel an Eintrittkarten gelangt waren und die noch nie, oder zumindest nicht so unmittelbar mit dieser inzwischen auch schon knapp 100 Jahre alten Musik in Berührung gekommen sind. Nur diesem Umstand halber lässt sich entschuldigen, dass sich Lorin Maazel und das NYP dazu hinreißen ließen, nach diesem Monumentalwerk der Musikgeschichte noch zwei Zugaben (Brahms: 1. Ungarischer Tanz und Bizet: Farandole aus der L'Arasienne-Suite) quasi als "Entschuldigung" für die zugemutete "Lärmbelästigung" zuvor hintendran zu hängen. Geschmack ist zwar sehr individuell und verschieden, aber damit lässt sich auch nicht alles entschuldigen. Lorin Maazel und das New York Philharmonic sorgten mit ihren zwei Konzerten jedenfalls für eine ganz große Orchestergala und einen weiteren der inzwischen zahlreichen Höhepunkte, die das Publikum in der Philharmonie Essen in den letzten vier Jahren erleben konnte. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
New York Philharmonic Lorin Maazel Dirigent Freitag, 5. September 2005 Anton Bruckner Sinfonie Nr. 8 c-Moll Gefördert von der NATIONAL-BANK AG Samstag, 6. September 2000 Maurice Ravel Ma Mère l'Oye (Meine Mutter, die Gans) Suite für Orchester Felix Mendelssohn Bartholdy Sinfonie Nr. 4 A-Dur, op. 90 Italienische Igor Strawinsky Le Sacre du Printemps (Das Frühlingsopfer) Gefördert von der Sparkasse Essen
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