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4. Sinfoniekonzert

9.,11.,12. Dezember 2007

Großes Haus der Städtischen Bühnen Münster
Homepage Sinfonieorchester Münster
(Homepage)
Sinfoniekonzert mit Liszt, Ligeti und Mussorgsky

Von Ursula Decker-Bönniger


Man muss kein Liebhaber Neuer Musik sein, um eine "gefrorene Turbulenz" (Denys Bouliane) im ersten Satz des Klavierkonzert des österreichisch-ungarischen, 2006 verstorbenen Komponisten György Ligeti wahrzunehmen und doch fällt es nicht leicht, sich in der Hektik des Alltags von der Erdgebundenheit, der gewohnten musikalischen Zeit- und Raumorganisation wie Motiv, Phrase, Melodie, Takt, Metrum, Synkope zu lösen und sich dem kaleidoskopartigen Klangfarbenwechsel der Minimalsounds in der Musik Ligetis hinzugeben.

Unterschiedliche rhythmische Ostinati von Klavier und Orchester sind hier so gegeneinander verschoben, dass eine "fortgesetzte Hemiolik" mit komplexen Überlagerungen entsteht. Über die Wirkung dieser polyrhythmischen Tonreihen in der Schlusspassage des 5. Satzes, wo das Xylophon Achteltriolen spielt, während sich das Klavier in gerader Sechzehntelunterteilung bewegt, äußerte sich Ligeti selbst folgendermaßen: "Wenn diese Musik richtig gespielt wird, also in richtiger Geschwindigkeit innerhalb der einzelnen Schichten, wird sie nach einer gewissen Zeit ‚abheben' wie ein Flugzeug nach dem Start: das rhythmische Geschehen, da zu komplex, um im Einzelnen verfolgt zu werden, geht in ein Schweben über."

Inspiriert von chaostheoretischen Forschungen, dem Phänomen optischer Täuschung, wie man es aus graphischen Werken M. C. Eschers kennt, den mechanischen Klavierwerken des mexikanischen Komponisten Colon Nancarrow, polymetrischen, afrikanischen Tonmodellen und anderen außereuropäischen Musikformen komponierte Ligeti in den 1980er Jahren eine Reihe von Klavieretüden sowie von 1985 bis 1988 das Klavierkonzert, dessen fünfsätzige Fassung vom Sinfonieorchester unter der Leitung Fabrizio Venturas und dem Pianisten Volker Banfield, Professor für Klavier an der Hochschule für Musik und Theater in Hamburg, im 4. Sinfoniekonzert spannungsvoll dargeboten wurde.

Ligeti, der mit seinem 1961 entstandenen, mikropolyphon gewebtem Orchesterstück "Atmosphères" bekannt wurde und sich 1968 in seinem Cembalo-Schlüsselwerk "Continuum" mit flirrenden Klangwirkungen aufgrund von zum Klangbrei verschmelzenden, schnell wiederholten Einzeltönen und dem Phänomen der daraus entstehenden, changierenden, übergeordneten musikalischen Mustern beschäftigte, hat für das stilistisch Neue der Klavierkomposition der 1980er Jahre Begriffe wie "Illusionsrhythmik, Illusionsmelodik" geprägt und vergleicht es mit "dem Verhältnis von ‚Pixel' und ‚Bild' am Fernsehschirm: Die Pixel leuchten auf und verlöschen in schneller Sukzession, sie bewegen sich nicht. Das alternierende Aufleuchten und Verlöschen der unbeweglichen Bildelemente erzeugt aber die Illusion von sich bewegenden Bildern, die Bildfläche ‚lebt'".

Dem Pianisten Banfield, Kenner und Interpret der Klavierwerke Ligetis an die Seite gestellt war eine virtuose, technisch extrem geforderte Kammerbesetzung des Sinfonieorchesters mit zahlreichem Schlagwerk (Triangel, Becken, Tomtoms und weitere Fellinstrumente, Holzblocktrommeln, Peitsche, Guiro, Tempelblocks, Claves, Kastagnetten, Trillerpfeife, Glockenspiel und Xylophon) und ungewöhnlichen Klangfarben wie Alt-Okarina, Lotosflöte und Mundharmonika. Ob aus einem heterogenen, rhythmischen, gedehnten oder gestauchten Klangnetz hier und da kleine durchsichtige, melodische, scheinbar unverbundene, lyrisch anmutende Gebilde hervortraten oder ungewöhnliche Klangkombinationen mit rhythmischen Pulsen unterlegt wurden, Volker Banfield erwies sich als sensibler, das Klavier in dieses Spiel integrierender Virtuose.

Verführerisch zart und kontrapunktisch zu den wilden, expressiven Variationen des Orchesters interpretierte Banfield auch die hämmernden Tonwiederholungen, virtuosen Akkordketten und Läufe in der symphonischen Dichtung "Totentanz" ("Danse macabre") für Klavier und Orchester von Franz Liszt, das dem Klavierkonzert von Ligeti vorangestellt war. Anregungen für seine 1838 begonnenen, und bis 1859 mehrfach überarbeiteten Variationen über die gregorianische "Dies irae"-Sequenz erhielt Liszt wahrscheinlich von dem Fresko "Der Triumph des Todes" auf dem Campo Santo in Pisa, von dem "Totentanz-Zyklus" Holbeins bzw. dem gleichnamigen Gedicht Goethes sowie von Berlioz' "Symphonie fantastique", dessen Uraufführung Liszt 1830 miterlebte.

Schlussstück des Abends und vom Publikum mit in Münster selten zu hörenden Bravorufen und stehenden Ovationen begleitet, waren die spannungsvoll, expressiv interpretierten "Bilder einer Ausstellung" von Modest Mussorgsky in der 1922 bearbeiteten Fassung für Orchester von Maurice Ravel. Die einzelnen Sätze nahtlos aneinandergereiht, spritzig, leicht im "Ballett der Küchlein in ihren Eierschalen" oder schwerlastig furchterregend in den "Katakomben" das Sinfonieorchester präsentierte sich in diesem musikalisch abwechslungsreichen Museumsbesuch in Höchstform.

Inwieweit die Gegenüberstellung von Liszt, Mussorgsky und Ligeti im Konzertprogramm jedoch die Auseinandersetzung mit Neuer Musik fördert, wird mir ein Rätsel bleiben. Fürchtet man etwa, das Abonnementpublikum könne verärgert werden, potentielle Interessenten wegbleiben? Laut Konzerterfahrung von Volker Banfield stößt Neue Musik mittlerweile auf willige Sinfoniekonzertohren. Und ihre Vermittlung ist auch eine Frage der Programmgestaltung: er wäre bestimmt den Spuren, die sich in Ligetis Werk finden, nachgegangen und hätte sie "der Tradition bei Schumann und Debussy gegenübergestellt".



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(Veröffentlichung vorbehalten)
Volker Banfield
Klavier

Sinfonieorchester Münster

Fabrizio Ventura
Dirigent



Franz Liszt
Totentanz (Danse macabre)
Paraphrase über "Dies Irae"
für Klavier und Orchester

György Ligeti
Konzert für Klavier und Orchester

Modest Mussorgsky
Bilder einer Ausstellung
Orchestrierung von Maurice Ravel



Weitere Informationen

Sinfonieorchester Münster
www.sinfonieorchester-muenster.de






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