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Großes und Durchwachsenes bei der Zweiten Essener Gala für die AIDS-Stiftung
Von Thomas Tillmann Bereits zum zweiten Mal veranstaltete die Deutsche AIDS-Stiftung in Kooperation mit der Philharmonie Essen und den Essener Philharmonikern ein festliches Gala-Konzert, mit dem nicht weniger als 100.000 Euro für den Kampf gegen die nach wie vor gefährlichste Infektionskrankheit unserer Zeit eingespielt wurden. Dr. Ulrich Heide von der genannten Organisation und Philharmonie-Intendant Michael Kaufmann riefen den Zuschauerinnen und Zuschauern einmal mehr das Motto des Unternehmens zu: "Tue Gutes und freu' dich drüber", und bis 2012 scheint die Zusammenarbeit inzwischen gesichert zu sein. Grace BumbryFoto: Klaus Rudolph
Wie im letzten Jahr hatten die Veranstalter mit zahlreichen krankheitsbedingten Absagen zu kämpfen - Abende ohne Gagen scheinen bei manchen Künstlerinnen und Künstlern mirakulöse Allergien auszulösen (Camilla Tilling, Marjana Lipovsek, Vincenzo La Scola und Jan-Hendrik Rootering entschuldigten sich zum Teil sehr kurzfristig). Einmal mehr waren aber einige Kollegen zur Stelle, um das Publikum für die Ausfälle zu entschädigen, etwa wie schon vor Jahresfrist Rheinopernmitglied Nataliya Kovalova, die diesmal mit Mimìs Auftrittsarie punkten konnte, die ihr bedeutend besser liegt als damals Musetta, denn hier kommt die "üppige, ebenmäßige und klangschöne" Mittellage viel schöner zur Geltung und sind peinigende Töne über dem System gar nicht erst gefragt. Und doch, ich kann mich mit den rhythmischen Freiheiten und den sehr äußerlich wirkenden Portamenti nicht anfreunden, ich höre auch bei längeren Fortetönen bereits ein starkes Vibrato, das Sorgen macht.
Edda Moser Den Anfang hatte der junge Bassbariton Luca Pisaroni mit der Arie des Figaro-Grafen gemacht und dabei eine dynamisch sehr differenzierte, auch da Pontes Text nicht vergessende Interpretationskunst und eine in allen Lagen ansprechende, jugendlich-virile, frische Stimme hören lassen, die im zweiten Teil mit Gershwins "Embraceable you" zwar ebenso attraktiv klang, im offenbar nicht gewohnten Genre aber weniger Wirkung entfaltete, was aber auch an dem wuchtigen Sinfonieorchester-Arrangement und fehlendem Mikrofon gelegen haben dürfte. Ekaterina Lekhina kämpfte in der Rachearie der nächtlichen Königin mit dem deutschen, in Olympias "Les oiseaux dans la charmille" mit dem französischen Text, hatte aber mit den Stratosphärentönen keinerlei Probleme, wobei mir die dramatischen Phrasen vor den Staccati bei Mozart fast noch besser gefielen als die so gefürchteten Passagen danach. Kaum eine hat das eben so singen können wie damals Edda Moser (auch die jetzt so über den grünen Klee gelobte Diana Damrau nicht auf der neuen CD), über deren unaufdringliche, manch bedenkenswertes Zitat aus der Weltliteratur aufgreifende, natürlich etwas altmodische Moderationen man sich übrigens einmal mehr nun lobend äußern kann - wie viel kenntnisreicher und prägnanter macht sie das doch als die im Fernsehen immer wieder bemühten Damen, die ja auch eine Sprecherziehung hinter sich haben und sich vorbereiten können. Nicht beruhigen konnte ich mich auch über die exzellente Diktion des Koreaners Wookyung Kim, der mit voller, edler lyrischer Tenorstimme, die eine durchaus individuelle Farbe und eben auch einen Schuss Sinnlichkeit hat, eine außerordentliche Bildnisarie sang, die mir eine Gänsehaut machte - welche Schattierungen, welche Nuancen, welche Legato- und Pianokultur, welch durchdachtes, aber nie kalkuliert, sondern immer spontan und unverkrampft wirkendes Singen, das in der berühmten Arie des Duca aus Verdis Rigoletto nicht nur wegen des nervösen Schlusstons etwas weniger vorteilhaft zur Geltung kam, aber immer noch nichts weniger als großartig war. Wookyung KimFoto: Klaus Rudolph
Nicht auf diesem Niveau fand ich Massimiliano Pisapias "Ma se m'è forza perderti", dessen Tenor sicher nicht zu klein für diese Ballo-Arie ist, aber für das mit Radamès am Liceu angepeilte Repertoire: Schon jetzt registriert man einen gewissen Anlauf und Krafteinsatz bei Fortetönen in der Höhe und einige leicht heisere Nebengeräusche im Mezzoforte, Piano und im Passaggio. Auch im letzten Jahr hatte "Nessun dorma" das bunte Programm gekrönt, sehr beeindruckend damals von Alberto Cupido geschmettert, diesmal von Edda Moser mit sehr persönlichen, bewegenden Erinnerungen an Luciano Pavarotti angesagt (samt einem rästelhaften "Lass von dir hören") und von Pisapia souverän, aber ohne die Emphase der genannten Kollegen präsentiert. Mein Kommentar über den Extrachor vom letzten Jahr - ich hatte ihn als dünn bezeichnet und bemerkt, er habe sich nicht mit Ruhm bekleckert - scheint übrigens missverstanden worden zu sein: Anstatt diesmal auf den Plätzen unter der Orgel sitzen zu bleiben und gar nicht zu singen (außer ein paar Takte in den Candide- und Porgy and Bess-Ausschnitten) hätte man daran arbeiten sollen, zumal die Puccini-Oper ja inzwischen im Repertoire des Aaltotheaters ist, an dem die Damen und Herren engagiert sind.
Michèle Criders Michèle Criders üppiger, aber nicht wirklich dramatischer Sopran klang durchaus vorteilhaft, beeindruckend kraftvoll und weit ausschwingend in Toscas Gebet, aber wie auch in Serenas Klage aus Porgy and Bess vermisste man eine echte, berührende Interpretation, beobachtete man eine versierte Stimmbesitzerin und suchte vergeblich nach einer faszinierenden Sängerdarstellerin. Bereits im November 2006 hatte man sich gewundert, in welch großartiger Verfassung sich trotz jahrzehntelangem schonungslosen Einsatz Grace Bumbrys (Mezzo-)Sopran befindet - leider durfte sie nur Salomés "Il est doux, il est bon" zum Programm beisteuern, während die Mehrheit der Mitwirkenden jeweils zwei Piècen ausgewählt hatten. Einmal mehr freute man sich über ihr individuelles Timbre, über gehaltvolle Pianotöne, aber auch machtvolle Forteattacken in der Höhe, bewunderte ihr gutes, in Paris gelerntes Französisch und überhörte den leichten Schleier, der sich über die Stimme gelegt hat - wie viel mehr Ausstrahlung, Charisma und Primadonnenflair im besten Sinne versprüht die 70jährige doch als die jüngeren Fachkolleginnen, zu denen auch Tichina Vaughn gehört, die aufgrund der Orchesterfluten im Lied der Old Lady aus Candide leider phasenweise unterging, dennoch aber keinen schlechten Eindruck hinterließ. Burkhard Fritz hat Karriere gemacht, seit er das Musiktheater im Revier in Gelsenkirchen verlassen, ein Festengagement an der Berliner Staatsoper angetreten und bei den Salzburger Festspielen Neil Shicoff als Benvenuto Cellini ersetzt hat, aber ein Heldentenor ist er für mein Ohr nicht geworden, was interessanterweise bei den mit erster Diktion und sehr lyrisch gesungenen "Winterstürmen" aus der Walküre (steht er auf Soltesz' Wunschliste für den Ring, mit dem er hartnäckigen Gerüchten zufolge seine Intendanz in Essen in ein paar Jahren krönen will?) weniger auffiel als bei den langen Fortetönen im sehr eindimensionalen, wenig berührenden "Dein ist mein ganzes Herz", bei dem der Dirigent allerdings das Orchester auch sehr wuchtig aufspielen ließ. Ein Kandidat für Wotan, Wanderer oder Alberich wäre dann Wolfgang Koch, der allerdings trotz tadelloser vokaler Leistung mit Hans Sachs' Fliedermonolog kalt ließ und seine sängerdarstellerischen Fähigkeiten wird ausbauen müssen, um an allerersten Häusern Karriere zu machen. Foto: Klaus Rudolph
Die Essener Philharmoniker taten sich mit gelungenen Wiedergaben der Ouvertüren zu Figaro und Candide hervor, wobei man sich Mozart noch transparenter und raffinierter musiziert vorstellen kann, Bernstein weniger reißerisch und plakativ (das Werk wäre übrigens eine echte Alternative zur hundersten Kiss Me Kate oder My Fair Lady, nicht nur in Essen). Stefan Soltesz, der zweifellos Sänger begleiten kann, verzichtete übrigens in diesem Jahr auf eine Orchesterzugabe, über die ich damals gelästetert hatte ("weil man die Sängerinnen und Sänger zuvor nicht hatte abgehen lassen, so dass diese die unerwartete Chance zu kleinen Tanzeinlagen und Fachgesprächen nutzen konnten") und ließ stattdessen das unvermeidliche finale Traviata-Brindisi wiederholen. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Grace Bumbry, Sopran Michèle Crider, Sopran Nataliya Kovalova, Sopran Ekaterina Lekhina, Sopran Tichina Vaughn, Mezzosopran Burkhard Fritz, Tenor Wookyung Kim, Tenor Massimiliano Pisapia, Tenor Wolfgang Koch, Bassbariton Luca Pisaroni, Bassbariton Edda Moser, Moderation Extrachor des Aalto-Theaters Alexander Eberle, Choreinstudierung Essener Philharmoniker Stefan Soltesz, Dirigent Dr. Alard von Rohr, Künstlerische Leitung Werke von Wolfgang Amadeus Mozart, Giacomo Puccini, Giuseppe Verdi, Richard Wagner, Jules Massenet, Leonard Bernstein, Jacques Offenbach, Franz Lehár und George Gershwin
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