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The Big Five
Boston Symphony Orchestra & James Levine

Grand Opéra: "La damnation de Faust"


31. August 2007

Philharmonie Essen
Alfried Krupp Saal
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Philharmonie Essen (Homepage)
Musikalischer Himmel auf Erden trotz Höllenfahrt
Exemplarische "Damnation de Faust"
mit Levine & den Bostonern in Essen

Von Peter Bilsing

Nota bene: so sollte…, so muß der Berlioz-Himmel aussehen! Ganz oben singen über 200 Englein (Männer, Frauen, Knäblein resp. Kinder allen Alters) - die Heerscharen vom Tanglewood Festival Chorus & des Kinderchores des Philharmonischen Chores Essen; dann in der Mitte das göttliche Himmels-Orchester unter Leitung des Erzengels Jimmy - gemeint ist James Levine & sein Boston Symphony Orchestra, und im Vordergrund das solistisches Dreamteam: Yvonne Naef / Marguerite, Marcello Giordani / Faust, Jose van Dam / Mephistopheles, Patrick Carfizzi / Brander. Fassen wir uns kurz: Besser geht es wahrscheinlich nicht mehr und der Rezensent hat es - selbst auf Tonträger - selten besser gehört (wobei ich als meine persönliche Präferenzaufnahme: Collin Davies & LSO mit Gedda, Bastin, Veasy, van Allan, anno 1973, benennen würde). Punktum Ende! Damit könnte meine Kritik erledigt sein. Wie schön, wenn es einmal eigentlich nichts zu kritisieren gibt. Die Musikprofis können jetzt aufhören zu lesen.


Vergrößerung in neuem Fenster James Levine
Foto: Riccardo Mussachio/Philharmonie Essen

Pro memoria: "La damnation de faust" nennt sich nicht ohne Grund eine "legende dramatique" und die Entstehungsgeschichte dieser Komposition ist durchaus interessant, weil ursächlich für die heutige konzertante Auführungspraxis. Nachdem Berlioz im Jahr 1828 Goethes Meisterwerk - "dieses wunderbare Buch" so der Maestro - kennen gelernt hatte, entsprangen seiner künstlerischen Phantasie relativ schnell die "8 Szenen aus Faust" (9 Balladen und Lieder), die er im gleichen Jahr als Privatdruck veröffentlichen ließ und mit persönlicher Widmung an Goethe schickte. Der Meisterdichter war auf den ersten Blick begeistert und stolz, aber nachdem sein musikalischer Mentor, der stockkonservative Carl Friedrich Zelter (immerhin Felix Mendelssohns Lehrer!) die Partitur für geradezu empörend degoutant und hanebüchen schlecht erklärte - entzog ihr auch Johann Wolfgang seine Liebe und Wertschätzung. Darob maßlos enttäuscht zog Berlioz die Partitur umgehend zurück, um sie später umzuarbeiten. Eine erste konzertante Aufführung fand dann erst 1846 an der Pariser "Opera Comique" statt; leider ein Misserfolg, und so verschwand sie in den Mottenkisten des Vergessens. Erst viele Jahre später, 1893 erfolgte die erste szenische Umsetzung an der Oper von Monte Carlo.

Trotz diverser weiterer Versuche und interessanter Deutungen durch fast alle bekannten Regisseure des 20.Jahrhunderts - die meisten dieser szenischen Produktionen enttäuschten und enttäuschen weiterhin - hat sich die konzertante Präsentationsform (in dieser Saison auch in Gelsenkirchen) meist durchgesetzt. Und Hand aufs Herz, liebe Opernfreunde: wer kann denn - außer Ihnen, mir und einigen fossilen Altsprachlern - mit dem Faust-Mythos heute noch etwas anfangen; egal ob Sie ihre Kinder oder den Sitznachbarn in der Oper fragen. In den Schulen (zumindest unseres NRW-Bundeslandes!) scheint das Stück bei Deutschlehrern geradezu verpönt zu sein. "Denk ich an Deutschland in der Nacht…." Vergessen wir´s, denn auch Heine kennt ja heutzutage kein Mensch mehr.


Vergrößerung in neuem Fenster

Marcello Giordani, Yvonne Naef
und James Levine
Foto: Noheli Oliveros/Philharmonie Essen

In extenso: Allein die technischen Schwierigkeiten, vom gigantischen Aufwand gar nicht erst zu reden, dieser "legende dramatique" sind enorm. Das gilt nicht nur für die Gesangspartien, sondern auch fürs Orchester und die drei Chöre. Selten wird dabei ein stimmiges Ideal gefunden und die verlangte französische Idiomatik ist selbst auf den besten Schallplattenaufnahmen grenzwertig. Es gibt nur wenige Dirigenten, die ihren Berlioz in Melodik, Harmonik und Rhythmus so beherrschen, wie James Levine mit seinen Bostoner Musikern. Daß eines der führenden Orchester unter den legendären "Big Five" (Anm. Sammelbegriff für Amerikas fünf beste Sinfonieorchester; außer den Bostonern zählen noch das New York Philharmonic, das Chicago Symphony Orchestra, das Philadelphia und das Cleveland Orchestra dazu - übrigens alle in der Essener Philharmonie zu erleben!) seinen Berlioz drauf hat, beweist die zweite Referenzaufnahme, die ich in diesem Zusammenhang noch benennen würde, nämlich ebendiese Bostoner unter Seiji Ozawa - ebenfalls von 1973.

Zurück zu dieser berauschend schönen und bewegten Musik, zu der David Cairns einmal schrieb "ein Meisterwerk von einer kaum je wieder so feinsinnig erreichten Kürze und Knappheit des Ausdrucks" (streng pers. ketzerische Anmerkung: wer jemals die ungekürzten "Trojaner" durchlitten hat, wird dies nachvollziehbar zu schätzen wissen!). Levine dominierte mit großem dramatischen Zugriff in allen Bögen und Emphasen; er dirigierte das Werk mit all seiner brachial, spektakulären Orchesterwucht, wobei er neben aller Bläserbrutalität auch die lyrischen Stellen mit ungeheurer Empfindsamkeit und grandioser Empathie aufblühen lies. Pars pro toto: Englischhorn und Solobratsche; selten waren sie in so entseelter, fast schon himmlischer Schönheit zu hören. Eine wirklich exemplarische Leistung, die allerdings fast noch von einem Chor getoppt wurde, der nun wirklich in Himmelsgefilden singt.

Dass der "Tanglewood Festival Chorus" (Ltg. John Oliver) zu den weltbesten Sängerscharen auf unserem Globus zu zählen ist, bewiesen die über 150 Damen & Herren schon allein durch ihre geradezu frappierende Professionalität, dieses schwere Werk mit seinen unzähligen Choreinsätzen auswendig (d. h. ohne Notenblätter!) und dennoch auf den zehntel Takt genau darzubieten. Aus den oberen Gefilden der Philharmonie erklang es mit schon fast entrückter Schönheit, Präzision und Geschlossenheit; alles erstrahlte in perfekter Harmonie, und daß sich am Ende der "Kinderchor des Philharmonischen Chores Essen" (Ltg. Alexander Eberle) mit seinen gut 60 Stimmchen so perfekt und brillant integrieren lies, machte den Abend auch zu einem choralen Traumerlebnis. Bewundernswert mit welch bravouröser französischer Idiomatik und Textverständlichkeit hier gesungen wurde. Das gilt ebenso für die Sänger, denen ich die Bezeichnung "schallplattenreifes Dreamteam" ohne Wenn und aber zuerkennen würde.

Yvonne Naef, letztlich noch als großartige "Waldtaube" in der legendären Essener Gielen-Interpretation zu hören (siehe OMM-Kritik) ist eine "Marguerite" von großer stimmlicher Intensität und Überzeugungskraft. Ihre intelligente Interpretation und mehr als professionelle Stilsicherheit betört auch den hartgesottensten Beckmessario. Eine Sängerin auf dem Gipfel ihrer Kunst.


Vergrößerung in neuem Fenster James Levine
Foto: Noheli Oliveros/Philharmonie Essen

Es ist immer noch live durchhörbar, warum Grandseigneur Jose van Dam (mit immerhin 67 Jahren und einer Weltkarriere hinter sich) zu den Lieblingssängern nicht nur Herbert von Karajans, sondern auch Georg Soltis und der Plattenindustrie - neben seinen Millionen Fans ! - gehörte und immer noch gehört. Er ist ein Exempel dafür, was Gesangeskultur ist, sein kann und wie eine perfekte Stimme auch über Jahrzehnte noch grandios überzeugend funktioniert. Ein Vorbild für viele junge Sänger, die sich heutzutage leider mangels guter und erfahrener Lehrer, schlechter Berater, untauglicher Besetzungsbüros, oder vom kurzfristigen Ruhme (non olet...) fehlgeleitet allzu häufig und viel zu früh stimmlich ruinieren. Der Faust von Marcello Giordani überzeugt in dieser geradezu teuflisch schwierigen und vertrackten Partie rundweg. Es ist raumtragend hörbar, warum Giordani zu den gefragtesten Tenören an den bedeutendsten Opern- und Konzerthäusern gezählt werden muß. Neben den großen Bögen erfüllt er auch die zarten Momente mit stimmlicher Präsenz und feinfühliger Sinnigkeit.

Die Überraschung des Abends war für mich eine eigentliche Nebenrolle, die ich so noch nie mit solcher Präsenz und Stimmfertigkeit wahrgenommen hatte. Es war der "Brander" vom jungen, sympathischen Patrick Carfizzi; ein Name, den man sich merken sollte. Der seit seinem Engagement an der MET (2000) bisher überwiegend in Amerika tätige Bassbariton, muß aufmerksamen europäischen Impresarii ein Knoten im Taschentuch wert sein. Carfizzi überzeugte nicht nur stimmlich, sondern wäre für mich Grund und erster Aspirant für die nächste szenische Einrichtung der "Damnation" auf welcher Bühne auch immer. Wir werden noch viel von ihm hören - da bin ich sicher.

Fazit: per aspera ad astra. Besser kann die Konzertsaison kaum anfangen. Über uns hatte sich (siehe meine Anfangszeilen) für 2,5 Stunden der Berlioz-Himmel strahlend aufgetan, obwohl es draußen greuselig und furchtbar regnete. Man fühlte sich auf der Heimfahrt, wie weiland Gene Kelly "singing in the rain": "what a glorious feeling - I´m happy again - I´m laughing at clouds - so dark up above - the (Berlioz)sun in my heart - and I´m ready for love…"




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(Veröffentlichung vorbehalten)
Yvonne Naef, Mezzosopran
(Marguerite)

Marcello Giordani, Tenor
(Faust)

José van Dam, Bariton
(Méphistophélès)

Patrick Carfizzi, Bassbariton
(Brander)

Tanglewood Festival Chorus

John Oliver
Choreinstudierung

Kinderchor des Philharmonischen
Chores Essen

Alexander Eberle
Choreinstudierung

Boston Symphony Orchestra

James Levine
Dirigent




Hector Berlioz
"La damnation de Faust", op. 24
(Konzertante Aufführung)



Weitere Informationen

Philharmonie Essen
www.philharmonie-essen.de

Boston Symphony Orchestra
www.bso.org/



Da capo al Fine

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