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Das Leipziger Kammerorchester in Coesfeld
"Wovon Münster schon lange träumt, ist im 40 km entfernten Coesfeld wahr geworden" schrieb die FAZ in einer Kurzmeldung zur Eröffnung der 640 Plätze umfassenden, privat finanzierten Konzerthalle im April 2007. Außen ein schlichter Zweckbau, innen ein Haus, das "Nutzungsoptionen auf hohem kulturellem Niveau" anstrebt und das sich durch bewegliche Lamellen in Wand und Deckenverkleidung den unterschiedlichen akustischen Anforderungen von Konzert, Schauspiel, Tanz- und Musiktheater anpassen lässt. Zur Eröffnung der Konzertsaison war das Leipziger Kammerorchester mit Werken von Boccherini, Schumann und Schubert eingeladen. Publikumslieblinge also. Wer allerdings seichte klassisch-romantische Samstagabendunterhaltung erwartete, wurde vom kraftvollen, an historischer Aufführungspraxis orientierten, akzentbetonten, dynamisch kontrastreichen Spiel der Leipziger eines Besseren belehrt. Vor allem bei Boccherinis Sinfonia op.12 Nr.4, G506 und Schuberts 5.Sinfonie. "Der tierische Schrei der Leidenschaft gibt die Linie an (...). Wir rufen an, wir beschwören, wir schreien, wir stöhnen, wir weinen, wir lachen frei heraus. Keine Geist-Streicheleien, keine Sinnsprüche, keine jener hübschen Gedanken; das ist der schlichten Natur zu fern", beschreibt Diderot in "Le neveu de Rameau" die expressive Poesie dieser Musik. deren sprühende dramatische Kraft bei Boccherini manchmal an Mozarts "Don Giovanni" erinnerte. Boccherini ein Plagiator? Der letzte Satz "La Casa del Diavolo" ist eine bis auf das Ende fast wörtliche Paraphrase aus "Don Juan ou le Festin de pierre" von Gluck. Wo bei Gluck der Zuhörer in Dur und ausklingendem Pianossimo friedvoll, versöhnt entlassen wird, verbleibt er bei Boccherini aufgrund gewaltiger Forte-, d -Moll-Schlussakkorde in düsterer, dramatischer Stimmung. Schuberts 5.Sinfonie, von Hanslick anlässlich der öffentlichen Uraufführung von 1841 abfällig als "schwacher Abguss von Mozart" verurteilt, sprüht geradezu vor Optimismus. Mit Lebendigkeit, Präzision und differenzierter, kontrastreicher Dynamik gestaltete das Leipziger Kammerorchester die durchsichtige Satzstruktur des Jugendwerkes, das Schubert für ein Liebhaberorchester ohne Blechblasinstrumente komponierte und das als Antwort auf das moderne symphonische Schaffen Beethovens (Uraufführung der 7. Sinfonie im Jahre 1813) zu verstehen ist. Im Wechsel von kraftvollen rhythmischen Abschnitten, leichten tänzerischen Melodien und Figurenwerk wurde Schuberts mutige Suche nach einem eigenen symphonischen Stil lebendig, die Freude über erste Auftragskompositionen, über die Unabhängigkeit garantierende finanzielle Unterstützung seiner Freunde. Herzstück des Abends war Schumanns Klavierkonzert mit dem Solisten und Schumann-Kenner Franz Vorraber, dessen Interpretationshaltung Isabel Herzfeld in der NMZ anlässlich seiner Gesamtaufnahme der Schumann-Klavierwerke treffend charakterisierte: "Ein Interpet im romantischen Sinne, der in erster Linie sich selbst ausdrückt, ist er (...) nicht, eher ein unbestechlicher Dolmetscher des Werkes, mit Leidenschaft und Akribie ganz dem Notentext ergeben, und diese doch in eigenem, selbst erlebten Ausdruck übersetzend." Zu dieser ganz der poetischen Idee verpflichteten Geisteshaltung gehört ein neues Formkonzept: statt homophoner Blöcke, längerer Solo- und Tuttipassagen sollten Klavier und Orchester wie ein "organisches Rankenwerk" kunstvoll verwoben sein. Ideal also die kammermusikalische Besetzung mit zwei barocken Naturtrompeten, könnte man meinen. Aber geistreiche Verschmelzung und konstruktive, manchmal arabeskenhafte Phantasie hin oder her - zackige Tempi und Streichersforzati auf jedem Akzent konnten die plastische, sinnliche Anschaulichkeit, den farbigen, romantischen Charme eines größeren orchestralen Klangkörpers nicht ersetzen. Fazit: Eine ungewöhnliche, teils an historischer Aufführungspraxis orientierte Interpretation klassisch-romantischer Werke. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Leipziger Kammerorchester Morton Schuldt-Jensen Dirigent Franz Vorraber Klavier Luigi Boccherini Sinfonia op.12 Nr.4 d-Moll G506 "La Casa del Diavolo" (1771) Robert Schumann Klavierkonzert a-Moll op.54 (1841 und 1845) Franz Schubert Sinfonie Nr.5 B-Dur D485
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