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Stuttgarter Kammerorchester
Musikalische Leitung: Michael Hofstetter
Senta Berger, Rezitation

Amsterdam Baroque Choir
Amsterdam Baroque Orchestra
Musikalische Leitung: Ton Koopman
Johannette Zomer, Sopran
Bogna Bartosz, Alt
Jörg Dürmüller, Tenor
Klaus Mertens, Bass


8. und 9. Dezember 2007
im Festspielhaus Baden-Baden
Homepage

Festspielhaus Baden-Baden
(Homepage)
Weihnachtsbarock

Von Christoph Wurzel

In der Weihnachtszeit hat Barockmusik Hochkonjunktur. Wahrscheinlich, weil sie als besonders festlich empfunden wird und unserer Sehnsucht nach Nostalgie und Tradition entgegenkommt.

Ob das im 19. Jahrhundert auch schon so war, wissen wir nicht und auch nicht, ob bei Patrizierfamilien damals zu Weihnachten barocke Musik erklang. Thomas Mann jedenfalls erwähnt in seiner Schilderung des Weihnachtsfestes 1868 bei den Buddenbrooks in der Lübecker Mengstraße solches nicht. Der Heilige Abend dort wird vielmehr von den Chorknaben von St. Marien mit Chorälen umrahmt. Die sonst gern auf der Violine Bach spielende Senatorengattin Gerda tritt am Christfest musikalisch selbst nicht in Erscheinung. Der kleine Hanno aber erhält zwei Geschenke, die seine Liebe zur Musik aufs neue entflammen: ein Harmonium und ein Theater en miniature, auf dessen naturgetreu nachgebildeter Bühne eine Szene aus dem Fidelio zu sehen ist, die Hanno kürzlich im Stadttheater so fasziniert hatte. Ganz in diese künstliche Welt versunken weiß der achtjährige letzte Spross der Familie noch nichts von den widrigen Realitäten, die dieses Weihnachtsfest der einst so glanzvoll dastehenden Lübecker Kaufmannsfamilie überschatten.

Thomas Mann hat den Weihnachtsabend der Familie Buddenbrook mit leiser Ironie geschildert - es ist alles andere als die heile Welt, in der die alte Konsulin offensichtlich noch lebt, die ihr Tischgebet damit schließt, "aller derer zu gedenken, die es nicht so gut hätten wie die Familie Buddenbrook". Der "Verfall einer Familie" ist im achten Teil dieses großen Roman-Epos schon deutlich zu spüren. Dieser Weihnachtsabend ist alles andere als eine erbaulich gemütliche Szene aus dem groß-bürgerlichen Leben des 19. Jahrhunderts. Wer will, kann Ähnlichkeiten mit manch familiärer Situation der Gegenwart entdecken. Sie sind zwar nicht beabsichtigt, aber doch unvermeidlich. Zur Grundierung gepflegter Weihnachtswellness jedenfalls will sich dieser Text nicht so recht eignen.

Es ist daher eine bemerkenswerte Entscheidung eben diese Romanpassage für eine "kleine, feine Weihnachtslesung" zu wählen, die "umrahmt wird von stilvoller (Barock)-Musik" (wie das Festspielhaus diese Veranstaltung beworben hat). Eine gute Entscheidung jedenfalls insoweit, als dieser Text von Senta Berger gelesen wurde. Die weltfremd frömmelnde Konsulin, den hypochondrischen Christian, die naiv betuliche Sesemi Weichbrodt und den fasziniert staunenden Hanno charakterisierte sie mit wenigen, aber treffenden Nuancen ihrer Sprechkunst und erweckte Thomas Manns Romanfiguren zum Leben. Mit feinem Gespür für die Unter- und Zwischentöne der Mannschen Prosa präsentierte die Schauspielerin diese Szenen eines Weihnachtsfestes in der ersten Abendhälfte in wohldosierten Häppchen zwischen Concerti von Torelli, Bach und Händel. Aber zu der gebrochenen Idylle, die der Text vermittelte, wollte diese musikalische Dekoration aus dem Goldpapier barocken Glanzes nicht so recht passen. Wenn Musik auch im Text anklang, so hatte damit die Musik, die zu hören war, wenig zu tun. Allenfalls Griegs klassizistische "Holberg"-Suite in der 2. Abendhälfte erinnerte auf der musikalischen Seite stilistisch an die dichterische Erzählweise von Thomas Mann und atmete den Geist derselben Epoche. Aber ansonsten war die Entscheidung zu derartigem Musikprogramm im Zusammenhang mit diesem Text nicht die glücklichste. Was allerdings dem Spiel des Stuttgarter Kammerorchesters keinen Abbruch tat, denn dieses war blendend in Form und gab die Stücke in intensiver Klangrede, auf schönen Klang poliert und mit pulsierendem Temperament - eben "echt barock".

Zum eisernen Bestand der (vor)weihnachtlichen Musikpraxis gehört Bachs Weihnachtsoratorium. Von Widersprüchen zwischen Text und Musik lässt sich darin nichts finden. Im Gegenteil - als "fünfter Evangelist" gilt der Thomaskantor als bester musikalischer Ausdeuter der biblischen Aussagen. Bachs Musik zur Weihnachtsgeschichte hebt die Herzen auch der härtesten Skeptiker und vermag dieser Jahreszeit jenseits von Geschäft und Geschäftigkeit, von Markttrubel und Liedgedudel eine Würde zurückzugeben, die inflationär zu werden droht. So ist es gut, wenn diese Kantaten zu den Weihnachtsfeiertagen auch immer wieder außerhalb des liturgischen Rahmens erklingen. Im Baden-Badener Festspielhaus ist dies mittlerweile Tradition (ebenso wie am Karfreitag eine Passion zu spielen).

Dieses Jahr kamen die Amsterdamer Spezialisten für historische Aufführungspraxis unter der Leitung des quirligen Ton Koopman. Und das Ergebnis konnte sich hören lassen. Wer das Schmettern heller Trompeten und einen üppigen Chorklang gewohnt ist, mochte zuerst irritiert gewesen sein ob des warmen, weichen Klangbildes, das sich zu Beginn der ersten Kantate entfaltete. Die Naturtrompeten fügten sich, wenn auch stellenweise etwas intonationsgetrübt, harmonisch in diesen Klang ein, im 4. Teil auch die wunderbaren Naturhörner. Das flotte Tempo ließ es nicht zu, sich in barocke Pracht und Herrlichkeit einfach nur hineinfallen zu lassen. Lediglich in den koloraturgespickten Tenorarien wirkte sich dieses ungünstig aus. Ansonsten wurde mit einer Ursprünglichkeit musiziert, als würden die unerhörten Ereignisse soeben unter den Augen der staunenden Welt geschehen und hier und jetzt zum ersten Mal verkündet - mit solcher Emphase gestaltete Jörg Dürmüller den Part des Evangelisten, mit solchem Nachdruck ermahnte der Chor: "Lasset das Zagen - verbannet die Klage!" Dass in Bachs Kantaten dramatische Kräfte schlummern, war in dieser Aufführung mehr als deutlich zu spüren. Die reflektierenden Arien dagegen, die dem gläubigen Christenmenschen aus Herz und Seele sprechen, lebten vornehmlich von der Schönheit ihrer musikalischen Substanz. Hinter diese Klangrhetorik traten die Solisten als Diener der Musik zurück, ohne sich in den Vordergrund zu drängen: mit leicht ansprechendem, hellem Sopran beeindruckte Johannette Zomer gleichermaßen wie Bogna Bartosz in den Altarien, die sie in weicher, warmer Stimmgebung realisierte. Klaus Mertens sang die Bassarien kraftvoll, aber ohne künstlichen Affekt. In den Duetten fügten sich die Stimmen schön ineinander, besonders der Echoeffekt in der 4. Kantate zwischen Solistin und Chorsopran war liebevoll ausgestaltet. Die historischen Instrumente konnten besonders in den obligaten Begleitungen der Arien ihre individuellen Klangfarben entfalten, und im Ensemblespiel trug jedes zum reizvoll wechselnden Klangbild bei, besonders natürlich in der dem Ohr schmeichelnden Sinfonia zu Beginn der 2. Kantate, dem zarten Wiegenlied der Hirten auf dem Felde. Und als Zugabe beschloss der Choral "Ich steh an deiner Krippen hier" in inniger Schönheit gesungen und von den Instrumenten mit filigranem Klang verziert das wahrhaft anrührende Konzert.
Schade nur, dass dem Publikum die beiden letzten Kantaten Nr. 5 und 6 vorenthalten wurden.


FAZIT

Barockmusik ist mehr als Schmuck.




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Die Programme

8. Dezember 2007

Giuseppe Torelli
Weihnachtskonzert g-Moll Op. 8 Nr. 6

Johann Sebastian Bach
3. Brandenburgisches Konzert BWV 1048

Georg Friedrich Händel
Concerto grosso C - Dur HWV 318

Edvard Grieg
Suite im alten Stil für Streichorchester
Op. 40 G - Dur "Aus Holbergs Zeit"

Rezitation aus
"Buddenbrooks"
von Thomas Mann

Senta Berger, Rezitation
Stuttgarter Kammerorchester
Leitung: Michael Hofstetter


9. Dezember 2007

Johann Sebastian Bach
Weihnachtsoratorium BWV 248
Kantaten 1 bis 4

Johannette Zomer, Sopran
Bogna Bartosz, Alt
Jörg Dürmüller, Tenor
Klaus Mertens, Bass
Amsterdam Baroque
Choir und Orchestra
Leitung: Ton Koopman





Weitere Informationen
erhalten Sie vom
Festspielhaus Baden-Baden
www.festspielhaus.de/



Da capo al Fine

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