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Festliches Gala-Konzert zugunsten der Deutschen AIDS-Stiftung


25. November 2006

Philharmonie Essen
Alfried Krupp Saal
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Philharmonie Essen (Homepage)
Tue Gutes und freu' dich drüber

Von Thomas Tillmann

Alle acht Sekunden infiziert sich auf dieser Welt ein Mensch mit HIV, alle elf Sekunden stirbt jemand an AIDS. So erschreckend diese Zahlen sind, so froh zeigte sich Dr. Ulrich Heide von der Deutschen AIDS-Stiftung in seinem Grußwort während des Festlichen Gala-Konzerts in der Essener Philharmonie, dass sich in Deutschland AIDS anders als in anderen Teilen der Welt nicht zu einer gesellschaftlichen Katastrophe entwickelt hat, ohne deswegen die vielen persönlichen Katastrophen zu übersehen, die diese Krankheit nach wie vor im Leben vieler Menschen hinterlässt, und ohne dem Publikum noch einmal einzuschärfen, dass Infektionskrankheiten im 21. Jahrhundert nicht mehr regional zu bekämpfen seien. Mit den ca. 130.000 Euro, die an diesem Abend durch den Kartenverkauf und hohe Spenden zusammenkamen, kann nun gemeinsam mit der AIDS-Hilfe in Essen ein dringend benötigtes Wohn-Pflege-Projekt für betreuungsbedürftige Menschen mit HIV und AIDS finanziert werden - "Tue Gutes und freu' dich drüber", gab er den Zuschauern dankbar mit auf den Weg.

In der Ruhrgebietsstadt hatte man zum ersten Mal zu einer solchen Charity-Veranstaltung geladen, aus Berlin und Köln kennt man solche AIDS-Galas seit Jahren, und hier wie dort beobachtet man kopfschüttelnd, dass keine geringe Zahl von Mitwirkenden kurz vor der Veranstaltung "krankheitsbedingt" absagen musste, so dass man ganz andere Künstler zu hören bekommt als die, mit denen die Veranstaltung beworben wurde, meistens entweder ziemlich junge, die eben noch nicht zur "Schar international gefeierter Sängerinnen und Sänger" gehören, die Hausherr Michael Kaufmann beschwor, oder solche, die nach langer Karriere immer noch gern die Nähe ihrer Fans suchen. Diesmal hatten Lado Ataneli, Marijana Mijanovic und Zoran Todorovich ihre Teilnahme abgesagt (und zu Beginn der Woche war auch noch Francesca Patané eingeplant, für die man rechtzeitig Nataliya Kovalova von der Rheinoper geholt hatte), Alberto Cupido, Adrian Eröd und Antigone Papoulkas dagegen waren offenbar so kurzfristig eingesprungen, dass kein Programmhefteinleger mit Biografien mehr zu drucken war oder man Moderatorin Edda Moser hätte bitten können, diese mit mehr als dem Namen und der ihnen anvertrauten Arie vorzustellen (man freute sich über die Kürze ihrer geistreichen Ansagen, den nie aufdringlichen, den Geschmack des Auditoriums treffenden Humor, ihre vorbildliche Diktion und ihre Fähigkeit, die Musiknummern korrekt in der Originalsprache anzukündigen, was manchem solche Veranstaltungen betreuenden Fernsehstar nicht gegeben ist).

Silvana Dussmann schonte sich nicht mit dem vertrackten, nicht eben kurzen und alle Lagen der Stimme fordernden, für ein Galapublikum aber vielleicht nicht ausreichend wirkungsvollen Rondo der Vitellia (sie gab die Partie gerade in Frankfurt und am Theater an der Wien), das sie, glänzend assistiert vom Bassetthornisten Andreas Merten, nichtsdestotrotz auf höchstem Niveau mit ihrem aufregend ekstatischen, mitunter auch leicht hysterisch klingenden und damit hervorragend zu solchen Charakteren passenden, kräftigen, aber sehr wohl auch zu schlankem Singen zu bewegenden Sopran und mancher Interpretationsnuance präsentierte. Zudem verstand sie es, die gesamte dynamische Bandbreite sinnstiftend auszuloten, und auch in virtuoser Hinsicht ließ sie keinen Wunsch offen - ein früher Glanzpunkt des Abends zweifellos, während Aalto-Theater-Ensemblemitglied Diogenes Randes mit dem sich anschließenden zweiten Mozart-Beitrag des Abends, Figaros "Non più andrai", bei mir trotz tadelloser Leistung wenig Eindruck hinterließ.

Ein Phänomen ist für mich Grace Bumbry, die nach mehr als fünfunfvierzigjähriger Karriere mit Jeanne d'Arcs "Adieu forêts" aus der Tschaikowski-Oper einen Titel wählte, den sie bereits in den frühen sechziger Jahren eingespielt hatte und mit kaum reduzierten Mitteln, unverändert charakteristischem Timbre, makellosen Piani, kraftvollen Fortetönen und gutem Französisch interpretierte - schade, dass sie keine zweite Arie zu singen hatte. Alberto Cupido, nach Angaben von Kutsch/Riemens immerhin auch bereits 1948 oder 1952 geboren, schmetterte ein "Nessun dorma", das ihm jüngere Kollegen erst einmal nachsingen müssen (und bei dem der dünne Extrachor sich nicht mit Ruhm bekleckerte), auch wenn das weite Ausschwingen der Stimme natürlich die lange Karriere verriet, was zweifellos durch ein exemplarisches Legato und die nach wie vor strahlende Höhe ausgeglichen wurde, und eine kompetente Verstärkung für das Ende des zweiten Aktes der Bohème war er auch, während man sich hier über die aufdringlichen, gestemmten Töne von Heiko Trinsinger ärgern musste und die steifen von Sylvie Valayre keine Freude waren, die diese Partie wirklich hinter sich gelassen hat. Einen insgesamt besseren Eindruck hinterließ die im dramatischen Sopranfach gut beschäftigte Französin in Maddalenas "La mamma morta", das sie mit dunklem, vollen Ton und sehr individuellen Tempovorstellungen begann. Irritierend war das mitunter reichlich ausladende Vibrato in der Mittellage, beeindruckend die produzierte Lautstärke in der viel Metall aufweisenden Höhe, verdächtig das Punktieren der Schlussphrase. Nicht so uneingeschränkt jubeln wie das Publikum und ihre Entourage mochte der Kritiker über die Musetta von Nataliya Kovalova, deren lyrischer Sopran zwar zweifellos durch das üppige, ebenmäßige und klangschöne Timbre in der Mittellage und Normalhöhe enorm einnimmt, der aber bei Acuti enorm an Farbe verliert und unangenehm spitz, scharf und auch flackernd wird und zu wenig Glanz hat, um diese Ensembleszene zu dominieren. Sehr unschön fiel das beschriebene Höhenproblem am Ende von Giudittas "Meine Lippen, sie küssen so heiß" und bei dem unnötigerweise und reichlich unpassend mitten im Fledermaus-Ensemble eingelegten Spitzenton auf (Silvana Dussmann parierte indes bei passender Gelegenheit und demonstrierte der Kollegin, wie aufregende, wirklich durchschlagskräftige Töne über dem System zu klingen haben und wie man Operette macht, nicht Tingeltangel). Schade auch, dass die junge Sopranistin aus der Ukraine, die in ihrer Programmheft-Biografie damit wirbt, im Sommer 2005 Anna Netrebkos Violetta-Cover in Salzburg gewesen zu sein, sich die längste Zeit auf die Schönheit ihres Timbres (und ihrer nicht ungeschickt in den Mittelpunkt gerückten Beine) verlässt, sich kein bisschen um eine korrekte, sinnstiftende Aussprache des Textes kümmert und gern ein wenig unter dem Ton bleibt, und ich halte es auch für unangebracht, vom Podium aus Fans im Parkett zu begrüßen, pardon.

Agnes Baltsa, nunmehr als Sopran angekündigt, ließ mindestens Teile des (über empfindliche Ohren verfügenden) Publikums ratlos zurück: Dauerexpressiv und ohne Furcht vor Sprechgesang und Schrei kreierte sie Santuzzas "Voi lo sapete" und steuerte reichlich deplaziert (es gab doch einen künstlerischen Leiter!) nach Denyce Graves' trotz metallischer Nebengeräusche in der fülligen Mittellage sehr innigen, von kuscheligen Streicherklängen umspülten "Give me Jesus" und vor dem Couplet des Prinzen Orlofsky und dem Finale des zweiten Aktes der Fledermaus ein eigenwilliges O mio babbino caro bei, beliebt bei Sängerinnen im Herbst der Karriere wegen seiner Kürze und von der Griechin bereits 1993 als dubiose Operndiva Vera Litassy in Xaver Schwarzenbergers sehr speziellen Fernsehkrimi Duett neben Otto Schenks Inspektor Mallinger zum Besten gegeben. Keine Frage, die Künstlerin erwischte jeden Ton, manchen sogar in schönem Piano, aber gerade bei der Puccini-Pièce wurde man den Eindruck nicht los, dass der Komponist es sich anders, schlichter und weniger camp vorgestellt hat.

An Ausdruckstanz erinnernde Gesten reichen für mein Empfinden nicht aus, um Dalilas zwar wunderbares, aber eben auch leicht gleichförmig klingendes "Mon coeur s'ouvre à ta voix" interpretatorisch gerecht zu werden, da muss man sich mehr Mühe mit dem französischen Wort machen, nach mehr Zwischentönen und Nuancen suchen, als Denyce Graves an diesem Abend zur Verfügung standen, wobei sie in Stefan Soltesz auch keinen inspirierenden Partner fand. Ein Ärgernis war für mich auch Wolfgang Brendel: Dass das Timbre inzwischen an Qualität und Farbe verliert, ist nach einer langen Karriere verständlich und so evident nicht, dass er der Stimme aber unter das Publikum erschreckenden Grimassen unnötige Spitzentöne abtrotzt (etwa am Ende von "Dunkelrote Rosen"), um vordergründigen Eindruck zu machen, sollte er nicht nötig haben und stattdessen lieber darauf achten, dass man mehr vom Text versteht und dass er nicht durch schlampiges Zählen den ja durchaus flexibel und manchen Sängerwunsch berücksichtigenden Dirigenten und seine Kollegen in Schwierigkeiten bringt - das ist nicht die Art von "Leichtigkeit", die das Uhrenduett, der "Feuerstrom der Reben" und "Brüderlein und Schwesterlein" brauchen. Antigone Papoulkas, die in Dresden immerhin schon Octavian, Hänsel und wie in dieser Gala den Prinzen Orlofsky singt, war mir allzu brav und persönlichkeitsarm für dessen an sich doch ungemein wirkungsvolles Ballentrée, anders als der an der Wiener Staatsoper gut beschäftigte Adrian Eröd, der sich gestenreich, gut gelaunt und mit leichter, geläufiger Stimme als Rossinis verschmitzter Barbier in die Herzen der Galagäste sang und dem auch das schnelle Tempo nichts machte, das Soltesz anschlug und das seine Philharmoniker zu Beginn hörbar überforderte.

Dirigent und Kollektiv glänzten ansonsten nicht nur bei der (zum Teil nicht einfachen) Begleitung der Solisten, sondern auch mit einer schwungvollen Wiedergabe der Ouvertüre zu Suppés Leichter Kavallerie, die deutlich besser gelang als die sehr allgemeine, schwülstige, zu wenig transparente und nicht auf der Höhe heutiger Aufführungspraxis wiedergegebene "Réjouissance" ganz zu Beginn (sicher, der Auszug aus der Feuerwerksmusik war als Einstimmung auf eine Händel-Arie gedacht, die wegen einer Absage gestrichen werden musste, aber ein Profiorchester sollte doch in der Lage sein, etwa eine Moazrt-Ouvertüre aus dem laufenden Repertoire kurzfristig aufzufrischen), sowie mit der Polka "Unter Donner und Blitz" in der Zugabe, die einen aparten Höhepunkt des Abends schon deshalb darstellte, weil man die Sängerinnen und Sänger zuvor nicht hatte abgehen lassen, so dass diese die unerwartete Chance zu kleinen Tanzeinlagen und Fachgesprächen nutzen konnten.




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(Veröffentlichung vorbehalten)
Agnes Baltsa, Sopran
Silvana Dussmann, Sopran
Nataliya Kovalova, Sopran
Sylvie Valayre, Sopran
Grace Bumbry, Mezzosopran
Denyce Graves, Mezzosopran
Antigone Papoulkas, Mezzosopran
Alberto Cupido, Tenor
Adrian Eröd, Bariton
Wolfgang Brendel, Bariton
Heiko Trinsinger, Bariton
Diogenes Randes, Bass
Marcel Rosca, Bass

Edda Moser, Moderation

Kinderchor des Aalto-Theaters
Extrachor des Aalto-Theaters
Alexander Eberle,
Choreinstudierung

Essener Philharmoniker
Stefan Soltesz, Dirigent

Dr. Alard von Rohr,
Künstlerische Leitung



Werke von
Georg Friedrich Händel, Wolfgang
Amadeus Mozart, Piotr I. Tschaikowski,
Umberto Giordano, Gioacchino Rossini,
Pietro Mascagni, Camille Saint-Saens,
Giacomo Puccini, Franz von Suppé, Karl
Millöcker, Franz Lehár und Johann Strauß



Weitere Informationen

Philharmonie Essen
www.philharmonie-essen.de



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