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YOUrope Together – Portugal

12. Juli 2007
Essen, Philharmonie
RWE Pavillon
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Philharmonie Essen (Homepage)
Batman und das weiße Kaninchen

Von Markus Bruderreck

Scheinbar machen die beiden ja so gut wie nichts. Pedro Tudela und Miguel Carvalhais, die hinter Batterien von Schlaginstrumenten im Hintergrund der Bühne fast verschwinden, sitzen an ihren Laptops und halten hin und wieder die Kopfhörer ans Ohr. So so, das soll also Improvisieren sein. Kann man das mit Computern, kann man mit diesen Maschinen musikalisch spannend arbeiten? Man kann. Und Klänge wie sie Tudela und Carvalhais mit ihrer Performance produzieren, sind längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Für junge Leute sind blubbernde Elektronik und computergenerierte Tonkaskaden längst nicht mehr Avantgarde, sondern Alltag. Man riskiere einen Seitenblick zum Videofestival der Bochumer Ruhr-Universität. Was da alljährlich zu hören ist, könnte man dem traditionellen Konzertgänger immer noch kaum vorsetzen. Doch dort treibt man es mit dem Improvisieren sogar bis in die Bildebene. VJ statt DJ lautet die Devise. Von wegen Avantgarde.

Carvalhais und Tudela, die zusammen „@c“ heißen, nehmen in Essen den Hörer allerdings nur mit auf eine rein akustische Reise, die reich an Assoziationen ist. Wie Wellen bauen sich die elektronischen Klänge auf, kochen hoch, schwellen ab. Gesampelte Bongos schleichen sich ein und erinnern daran, dass auch das Ensemble „Drumming“ aus Porto an der Improvisation beteiligt war. Schließlich gerinnt die Musik zu Rhythmen: Musik, die fesselnd ist, wenn man die Gabe zum stillen Zuhören hat.

Nicht nur „@c“ hat beim Portugal-Konzert der Reihe „YOUrope Together“ gezeigt, wie spannend Neue Musik sein kann. Im RWE-Pavillon der Essener Philharmonie waren noch fünf weitere Komponisten versammelt; drei davon gehen auf die 50 zu, zwei sind noch in ihren Dreißigern. Markus Stollenwerk, der Initiator der Reihe „YOUrope Together“, stellte die Künstler des Landes zu Beginn seiner kurzen Eröffnungsmoderation allerdings in die Ecke der Imitatoren. Man habe sich in Portugal schon immer an Spanien und dem Ausland orientiert, hätte selten Originäres hervorgebracht. Das mag zutreffen, war aber als Einleitung in ein Portugal-Konzert recht gewagt.

Miroslav Srnka Miquel Bernat

Das Motto des Konzertes lautete: „Rock Metamorphosis“. Und dazu reiste ein 1999 gegründetes Schlagzeugensemble an, das in Portugal in letzter Zeit immer beliebter geworden ist und das Schlagzeugspiel dort zu einiger Beliebtheit geführt hat: „Drumming – Grupo de Percussão, acht vorzügliche Musiker, geleitet von dem Neue-Musik-Spezialisten Miquel Bernat. Auf Festivals für Zeitgenössisches ist er kein Unbekannter.

„Rock Metamorphosis“ – was bedeutet das? Jeder Komponist hatte als Grundlage für seine Komposition einen Popsong gewählt, der vor den Stücken kurz angespielt wurde. In der dicht konzipierten Programmfolge, in der die Stücke zum größten Teil nahtlos ineinander übergingen, gab es gleich zwei Uraufführungen. Eine davon steuerte Luís Antues Pena bei. Über sein neues Werk und seinen Werdegang hatte er vorab in einem Interview Auskunft gegeben.



Luís Antunes Pena

Antunes Pena

Was erwartet den Hörer in ihrem neuen Werk?
Pena: Das ist ein Stück für Schlagzeugquartett mit Elektronik. Es heißt „Vermalung III – Batman“, über einen Song von John Zorn, der „Batman“ heißt. Ein Stück mit viel Energie, auch manchmal recht gewaltig im Klang, mit sehr interessanten Klängen und Elementen, die fast wie Neue Musik sind. Manchmal ist es so, dass meine Musik sehr leise ist im Kontrast zu der Musik von John Zorn. Ein anderes Mal habe ich das Tempo übernommen. Das Stück ist für Vierkanaltonband und vier Schlagzeuger komponiert. Wie das hier aber im RWE-Pavillon verteilt wird, das ist noch nicht klar. Das sieht ein bisschen eng aus, für so viele Schlagzeuginstrumente. Aber wir werden ja sehen.

Verwenden Sie elektronische Klänge häufig in ihrer Musik?
Pena: Das kommt darauf an. Ich schreibe viel elektroakustische Musik seitdem ich 1999 nach Deutschland gekommen bin. Aber oft komponiere ich auch für Instrumente mit Elektronik, wie hier. Die Vorstellung der Elektronik beeinflusst sehr stark den instrumentalen Klang, mehr als umgekehrt. Als Ausgangspunkt nehme ich oft elektronische Klänge, die ich auf Instrumente übertrage und versuche, sie mit dem Ensemble zu instrumentieren.

Was sind die Themen und Inhalte ihrer Stücke?
Pena: Oh, das ist eine große Frage! Ich glaube einer meiner Schwerpunkte ist der Rhythmus der Musik. Der ist von der Elektronik bestimmt, aber auch von der Klangfarbe, die mit bestimmten Rhythmusgestalten einhergeht. Ich habe mich auch mit Rhythmus im gesprochenen Texten beschäftigt, mit dem Unterschied zwischen Vokalklängen und Konsonantenklängen. Auch der Übergang zwischen elektronischem Rhythmus und instrumentalem Rhythmus fasziniert mich.

Woher kommt ihre Inspiration?
Pena: Das ist ganz unterschiedlich. Im aktuellen Fall kam der Anstoß vom künstlerischen Leiter des Ensembles „Drumming“ aus Porto, Miquel Bernat. Ich hatte eine Reihe von Stücken angefangen, die alle „Vermalung“ heißen und sich mit bereits existierendem musikalischem Material beschäftigen. Bernats Vorschlag war interessant. Und so kam „Vermalung III“ zustande.

Wie erleben sie zurzeit die Szene der Neuen Musik in Portugal?
Pena: Im Moment bin ich da nicht so auf dem Laufenden. Es gibt viel Positives, verglichen mit den fünfziger und sechziger Jahren. Es existieren im Moment wohl weniger Festivals mit neuer Musik, dafür mehr Ensembles. Eine Bilanz kann ich aber nicht ziehen.

Und in Deutschland? Sehen Sie sich zu der deutschen Szene zugehörig?
Pena: Ich habe mein Studium an der Folkwang Hochschule in Essen im Jahr 2004 beendet und seitdem komponiere ich ziemlich viel. Ich gehe auch oft zu den „Wittener Tagen für Neue Kammermusik“. Da kann man sich schon mit einer Gruppe von Komponisten identifizieren.

Sie haben ihre Abschlussarbeit über Helmut Lachenmann geschrieben…
Pena: Es ist heute ja so eine Art von „Common Sense“, diese Art von geräuschhaften Klängen zu verwenden. Lachenmann hat einen großen Beitrag dazu geleistet, dass diese Geräusche Teil der Sprache der Neuen Musik werden. Natürlich fühle ich mich da auch angesprochen. Ich habe aber schon mit vielen Komponisten gearbeitet. Mein Lehrer Nikolaus A. Huber, bei dem ich zwei Jahre studiert habe, ist auch ein wichtiger Bezugspunkt für mich.



Luís Antunes Pena hat mit seinem Stück „Vermalung III – Batman“ sicher für den unspektakulärsten Beitrag zu dem ansonsten temperamentvollen, hin und wieder auch lautstarken Konzert geliefert. Den wilden Song „Batman“ erkennt man hier nicht wieder. In Penas mehrteiligem Werk hört man meist leise Bogenstriche an hängenden Becken, die auch mit Jazzbesen und Metall bearbeitet werden. Sie sind in recht komplexen Rhythmen organisiert. Vor allem im zweiten Abschnitt der Komposition ist das für die Musiker schwer zu realisieren und erfordert höchste Aufmerksamkeit. Das Ensemble „Drumming“ aber schlägt sich hier bravourös.

Drei stark voneinander abgegrenzte Klangfarben benutzt João Miguel Pais in „Rabbit“, das ebenfalls im Rahmen des Konzertes uraufgeführt wurde. Schlaghölzer geben einen durchgehenden Beat. Es folgt eine Art Etüde für Rührtrommel bis sich schließlich ein Musiker am Drumset austoben kann. Vorlage ist der legendäre Song „White Rabbit“ von Jefferson Airplane.

Anderthalb Konzertstunden in der Philharmonie verflogen schnell, die Programmfolge war abwechslungsreich. António Pinho Vargas lieferte mit „Step by Step“ eine „Born to be Wild“-Interpretation, die ebenso wild erschien wie das Vorbild. Immer wieder scheint hier der Originalsong durch, die inspiration ist hier ganz konkret spür- und hörbar. Des weiteren konnte man Pedro Olivieras solistischen Einsatz am Marimbaphon bewundern. In seinem Stück „Lâminas Liquidas“ begleitet er sich im Wettstreit mit dem Tonband live – und vor allem auswendig. Die „Deep Water Music“ nach der „Yellow Submarine“ von den Beatles gehört zu den stärksten Stücken des Konzertes. Komponiert hat sie António Chagas Rosa, der im Programmheft „einer der bedeutendsten portugiesischen Komponisten seiner Generation“ genannt wird. Das glaubt man gern. Viel Augenzwinkerndes hatte dieses Konzert für fünf Pauken und große Trommel zu bieten, das von der Empore im RWE-Pavillon der Philharmonie dröhnte. Dass Pauken wie Wale singen und den Wasserdruck in einem U-Boot imitieren können, wusste man bislang noch nicht. Da hörte man förmlich das sich unter Druck beulende Metall und die ächzenden Schrauben. Ja: Neue Musik darf auch witzig und anschaulich sein!

Das nächste „YOUrope Together“-Konzert findet am 18. September statt. Aus England kommt dann das „Carnyx Youth Brass Ensemble“ und die Pianistin Shiori Usui.

Karten: 0180 / 59 59 59 8

Der DLF hat auch dieses Portugal-Konzert aufgezeichnet und sendet es am 30. August in der Reihe „Festspiel-Panorama“.


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Drumming – Grupo de Percussão

Miquel Bernat
Leitung

Markus Stollenwerk
Moderation




João Miguel Pais (*1976) „Rabbit“
für Percussion-Quartett
(UA, 2007)
António Chagas Rosa (*1960)
“Deep Water Music”
für Percussion-Ensemble
(2002)

Joao Pedro Oliveira (*1959)
“Lâminas Liquidas”
für Marimbaphon und Tonband
(2002)

Luís Antues Pena (*1973)
“Vermalung III – Batman”
für verstärktes Percussion-Quartett
(UA, 2007)
Auftragskomposition der Philharmonie
Essen und des Deutschlandfunks

@c & Drumming
„Performance“
für Percussion-Ensemble
und Laptop (2005/06)

António Pinho Vargas (*1951)
„Step by Step“
für Percussion-Ensemble



Weitere Informationen
erhalten Sie von der

Philharmonie Essen
(Homepage)



Da capo al Fine

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