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Musikalische Entedeckungen im Schmelztiegel Ruhrgebiet
die außergewöhnliche Konzertreihe YOUrope Together in Essen
So was habe ich ja noch nie erlebt, sagt Miroslav Srnka und lacht. Es ist ein Lachen, hinter dem sich sicher auch eine gehörige Portion Enttäuschung verbirgt. Der junge tschechische Komponist war angereist, um die Uraufführung seines neuen Stückes zu erleben, das vom Deutschlandfunk und der Essener Philharmonie in Auftrag gegeben wurde. Srnka musste sich mit sechzehn Zuhörern zufrieden geben. Der RWE-Pavillon in der Philharmonie kann wahrlich mehr Zuhörer fassen. Und nebenan im großen Saal läuft, vor ausverkauftem Haus, Verdis Requiem. Gewiss ist zeitgenössische Musik kein Publikumsrenner. Auch der Zeitpunkt für das Konzert war schlecht gewählt. Am Freitagabend haben die meisten Menschen im Sommer oftmals anderes zu tun, als Neue Musik aus Tschechien zu hören. Diese Musik erreicht hier jedoch noch nicht einmal den kleinen Kreis derer, die sie interessieren könnte. Das ist nicht in Ordnung. Das geringe Publikumsinteresse beweist zudem, wie schwer es die exotischen, wagemutigen Programmkreationen der Essener Philharmonie immer noch haben. Dass sie beim Publikum noch nicht angekommen sind, ist mittlerweile kein Geheimnis mehr. Die Eigenveranstaltungen der Philharmonie sind mit sechzig Prozent Auslastung immer noch zu schwach besucht. Dabei ist gerade die Reihe YOUrope Together, angestoßen von dem Essener Komponisten Markus Stollenwerk und umgesetzt von Intendant Michael Kaufmann, eines der schlüssigsten und ehrenwertesten Konzepte, die dem Kulturhauptstadtgedanken Substanz verleihen. Europa wächst zusammen, die EU ist auf Expansionskurs. Staaten treten hinzu oder haben Anträge auf Mitgliedschaft gestellt. Das friedliche Miteinander der Nationen: Ein schöner Gedanke. Doch wo viele Meinungen, Gesellschaftsformen und kulturelle Unterschiede aufeinander treffen, tauchen auch Probleme auf. Hier hilft nur Kommunikation auf allen Ebenen. Insbesondere die Musik kann hier große Dienste leisten eine Kunst, die mühelos Grenzen überwindet. Besonders in Essen, dem Mittelpunkt des Ruhrgebietes, will man einen Beitrag zur Verständigung der Nationalitäten leisten. Und mit YOUrope Togehter tut man das sogar bis ins Jahr 2013, mit 26 Konzerten. Initiative und aktives Mitgestalten sind gefragt. Wenn ein Künstler sich bewirbt, muss er ein Gesamtkonzept vorlegen, das einen ganzen Abend trägt, muss die Musiker vorschlagen und das Programm gestalten. Dafür bekommt er die Gelegenheit, ein neues Werk zu präsentieren. Den Auftrag dazu erteilen die Essener Philharmonie und der Deutschlandfunk, der die Veranstaltungen auch mitschneidet. Sie fügen sich hervorragend in die Aktivitäten ein, mit denen sich Essen auf das Jahr 2010 vorbereitet. Moderates von der MoldauIm Tschechien-Programm waren eher gemäßigte Töne zu hören: Neue Musik hat hier offenbar einen wesentlich traditionelleren Anstrich als im Westen. An Originalität fehlt es den Werken jedoch nicht. Die Fibonacci Fantasias (without Titian) für Oboe und Streichquartett von Peter Graham näherten sich da noch am deutlichsten der Avantgarde, mit Streicherklängen an der Grenze des Hörbaren und Spaltklängen der Oboe. Mit Raumeffekten spielt der Oboist Vladislav Borovka auch am Ende ist er aus dem Off hinter dem Zuschauerraum zu hören. Freilich verweisen hier bordunartige Klänge und die Volkstümlichkeit der Oboenkantilene ebenfalls in traditionellere Bereiche, wie sie auch vorherrschend sind in der Invocation IV von Milan Slavicky. Zahlreiche Triller intensivieren sich und streben einem Höhepunkt zu der Titel sagt hier schon viel, wenn auch nicht alles. Ein Klassiker ist zweifellos Karel Husas viertes Streichquartett. Ein starkes Werk der tschechischen Moderne, kraftvoll und durchaus anschaulich, zudem hervorragend interpretiert vom Streichquartett Fama Q. Avancierte Spieltechniken sind hier in den Dienst des kompositorischen Einfallsreichtums gestellt worden. Zum bunten Stück Garden of Delights von Pavel Zamek bietet Martin Smolkas lakonischer, musikalischer Kommentar zu einem Stück von Tom Waits einen guten Kontrast. In For a buck spiegeln sich Reste von PopArt und Minimalismus. Smolka ist einer der wohl freiesten Geister der Neuen Musik aus Tschechien auch bei den Tagen für neue Kammermusik in Witten hat man jüngst seine Stücke hören können. Summende Biene à la Dickinson Fictitious Hum von Miroslav SrnkaErinnerungen an vergangene Sommer wecken oft sentimentale Gefühle. Der wiederkehrende, wunderbare Wechsel der Jahreszeiten scheint unendlich. Was bleibt ist vielleicht nur ein unwirklicher, fiktiver Klang, der in der Luft hängt, das Summen einer Biene, die gar nicht existiert. Die amerikanische Lyrikerin Emily Dickinson war es, die diese poetischen Bilder in einem Gedicht beschworen hat. Der junge tschechische Komponist Miroslav Srnka hat sich dadurch zu einem Werk inspirieren lassen: Fictitious Hum für Oboe, Klarinette, Klavier und Streichquartett. In Essen wurde es vom Prague Philharmonia Ensemble und dem Streichquartett Fama Q erfolgreich und mit Verve aus der Taufe gehoben. Miroslav Srnka
In dem Gedicht geht es um eine Erinnerung an schöne Sachen', meint Miroslav Srnka dazu. In dem Stück ist das mit der Struktur des Stückes verbunden, wo man zwölf Minuten wirklich extaktisch schnell und mit Freude spielen soll. Mit zwei kleinen Ausnahmen, bevor das Stück in den letzten fünf Sekunden von einer letzten Geste abgewischt wird. Alles ist vorbei, es war nur eine Erinnerung. Es ist nicht mehr so, wie es war. Durch Zufall stieß Miroslav Srnka auf den ins tschechische übersetzten Band der Werke von Emily Dickinson, in dem er das Gedicht Nummer 302 fand. Auf Musik nehmen Dickinsons Verse immer wieder Bezug. Für Miroslav Srnka ist das ein dankbarer Ansatzpunkt für eine musikalische Umsetzung. Auf platte Lautmalerei jedoch läuft Fictitious Hum nicht hinaus. In seinem Stück greift der 1975 in Prag geborene und ausgebildete Komponist nur das imaginäre Summen auf, von dem die Rede ist. Sein Werk ist eher ein kleines Konzert für Ensemble geworden, in dem Srnka nach einer Virtuosität sucht, die alle überkommenen Muster vermeidet. Fictitious Hum für Oboe, Klarinette, Klavier und Streichquartett gab sich auf erfrischende Weise originell, ohne dabei auf die Spieltechniken der Avantgarde zurückzugreifen. Mit einfachen Mitteln viel erreichen, das ist eher Srnkas Ziel. Nach einem virtuosen Dialog von Klarinette und Oboe entwickelt sich ein dichter Ensemblesatz, in dem vor allem aufwärts treibende Skalen eine Rolle spielen. Immer wieder wirft das Klavier erratisch wirkende Akkordblöcke ein. Fictious Hum ist durchaus virtuos, versucht aber, die gängigen musikalischen Klischees von Virtuosität zu meiden. Dabei ist zudem noch ein Werk gelungen, das auch für die Instrumentalisten musikalisch dankbar ist. Das Prague Philharmonia Ensemble und das Streichquartett Fama Q jedenfalls gaben sich engagiert und konzentriert. Die Türkei, Finnland, Belgien und Litauen sind im Rahmen von YOUrope Together schon in Essen zu Gast gewesen. Luís Antunes Pena Beim nächsten Konzert wird Portugal von Luís Antunes Pena vertreten (12.7.). Seit Ende 1999 lebt er in Deutschland. Das Haupthema seiner Arbeit ist das Spannungsfeld von instrumentaler und elektronischer Musik. Der DLF hat das Tschechien-Konzert aufgezeichnet, am 2. August wird es in der Reihe Festspielpanorama ausgestrahlt.Hier die Konzerttermine in diesem Jahr: YOUrope Together Portugal. Do, 12.7., 20.30 Uhr YOUrope Together United Kingdom, Di, 18.9., 20.30 Uhr YOUrope Together Bulgarien, Mo, 19.11., 20.30 Uhr Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Prague Philharmonia Ensemble Vladislav Borovka (Oboe) Jan Brabec (Klarinette) Martin Fila (Klavier) Streichquartett Fama Q David Danel (Violine) Aki Kuroshima (Violine) Emi Ito (Viola) Balazs Adorjan (Cello) Peter Graham (*1952) Fibonacci Fantasias (without Titian)" für Oboe und Streichquartett Milan Slavicky (*1947) Invocation IV" für Klarinette, Violine und Klavier Karel Husa (*1921) String quartet no. 4 Pavel Zemek (*1957) Garden of Delights" (Hommage an Hieronymus Bosch) für Oboe, Cello und Klavier Martin Smolka (*1959) For a Buck" für Streichquartett Miroslav Srnka (*1975) Fictitious Hum" für Oboe, Klarinette, Klavier und Streichquartett UA, Auftragskomposition PhilharmonieEssen / Deutschlandfunk
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