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ORATORIENKONZERT


Neuss, Christuskirche 13.11.2005
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Christuskirchengemeinde Neuss
(Homepage)
Das Wunder von Neuss

Von Peter Bilsing

Um Alfred Schnittke, einen der wichtigsten, bedeutendsten und fleißigsten Komponisten des späten 20.Jahrhunderts (9 Sinfonien, weitere 36 Orchesterwerke, 55 Kammermusiken, 3 Opern, 4 Ballette und über 60 Filmmusiken) ist es relativ still geworden. Fanden sich seine Werke in den neunziger Jahren noch auf fast allen Konzert-Spielplänen und drohte seine berühmteste Oper "Leben mit einem Idioten" (UA 1992, Amsterdam) sogar die Übernahme ins alltägliche Opernrepertoire, so scheint er heute fast vergessen, leider.

Der kulturpolitische Geist und die Konzertplanung im Jahre 2006 zeitigt den üblichen, altbekannten und immer wieder plattgespielten alten Werken ihren Repertoireplatz und Wert. Die Verantwortlichen zeigen wenig Mut, noch weniger Vertrauen und ein gerüttelt Maß an Ignoranz der Zeitgenössischen Musik gegenüber. Volle Häuser durch Altvertrautes, nur keine Experimente (!), so lautet der aktuelle Zeitgeist hic et nunc. Das Publikum scheint zufrieden und frei nach dem Niederrheinischen Motto "Watt de buur nitt kennt, datt fritt er nitt" einigt ängstlicher Traditionalismus die immergleichen Spielplanangebote und macht die Programme austauschbar.

Da muß der Kritiker schon mal genauer hinschauen um Interessantes noch zu finden. Löst man allerdings den Blick aus der globalisierten Welt der großzügig steuerlich unterstützen Hochkultur unserer in NRW überall neu sprießenden Philharmonien resp. Konzertsäle und begibt sich in die soviel gescholtene "Provinz" ins musikalische Orfeum von Amateursängern gar, dann kann man wahre Wunder erleben. Über ein solches musikalisches Wunder sei hier berichtet; um es gleich vorweg zu nehmen: Es war einfach wunderbar ! Nennen wir es "das Wunder von Neuss".

Vergrößerung in neuem Fenster Kantorei der evangelischen Christuskirchengemeinde Neuss

Da gibt es im niederrheinischen Neuss (Zwischen den "Kulturhochburgen" Düsseldorf und Köln gelegen) eine kleine Gruppe von Musizier- und Sangeswilligen (Kantorei der evangelischen Christuskirchengemeinde Neuss), die den Worten ihres "Chefs", dem blutjungen Kirchenkantor Michael Voigt, einmal sehr aufgeschlossen lauschten, als er sie nämlich mit einem der ungeheuerlichsten Werke unserer Zeit konfrontierte. Wie wollen wir es nennen: Bühnenmusik ? Totenmesse ? Liturgisch-sinfonische Dichtung ? Hören Sie mal rein ! Alfred Schnittke nannte es REQUIEM.

Klangbeispiel Klangbeispiel: "Credo"
(MP3-Datei)


Im musikalischen Schaffen des großen Genius ein Schlüsselwerk und es sollte auch für die Mitwirkenden und die am Sonntag begeisterten Zuhörer ein Schlüsselwerk werden. Der Schlüssel nämlich zum Einstieg in gute zeitgenössische Musik, die nicht nur unter die Haut geht, sondern uns auch viel über die Psyche eines Komponisten, eines Menschen erzählt, der sein Leben lang Verfolgung leiden mußte und unter der Zwangszensur des russischen Faschismus und der Ignoranz des sowjetischen Komponistenverbandes fast zerstört und nach dem 4.Schlaganfall (1998) schließlich, obwohl mittlerweile in Freiheit lebend, doch noch zerbrochen ist. Der Tod war für Alfred Schnittke keine Erlösung, denn er hätte eigentlich ja noch soviel musikalisch zu sagen gehabt. Welch tragische Figur.

Und so schreit dieses Requiem eben nicht nur die Leiden Jesu Christi heraus, sondern zerbricht auch öfter in musikalischer Hoffnungslosigkeit (zuviel Moll, wo andere Liturgien in Dur verklären !), kein Wunder, daß das "lux eterna" gestrichen wurde. Statt dessen nochmal jenes "requiem aeternam", welches am Ende - nach dem geradezu markerschütternden "Credo" - wiederholt wird und in ätherischer Schönheit genau jenen eben "vom Himmel Herabgestiegenen" irdisch begrüßt. Was für ein Opus summum, ein Meisterwerk von gerade mal 35 Minuten Länge; welches emotional den großen Sinfonien eines Dimitri Schostakowitsch in nichts nachsteht, und doch so kammermusikalisch besetzt daherkommt.

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Michael Voigt

Wenn dies alles die kleine Truppe um Christuskantor Michael Voigt auch auf einer quasi Laienebene noch herzergreifend rüberbringt, dann spricht dies für die ungeheure Arbeit, die hier geleistet wurde, das Engagement und den irrsinnigen Fleiß des Chores (Kantorei der Evangelischen Christuskirchengemeinde), das große Einfühlungsvermögen der Solisten (Ulrike Mertens/Sopran, Sylwia Siwak/Alt, Dirk Winn/Tenor) und die stimmige Begleitung der Instrumentalisten (Erika Görtzen/Trompete, Holger Südkamp/Posaune, Tim Vogelsang/E-Gitarre, Joachim Voigt/Bassgitarre, sowie Uwe Brandt/Celesta und Gerhard de Buhr/Klavier).

Das Percussionsensemble der Robert-Schumann-Hochschule Düsseldorf realisierte aufs Feinste jene erforderliche sublime Rhythmusbegleitung, die vom friedvollen Accompagnato bis zum ohrenbetäubend orgiastisch eruptivem fff den Kern dieses Requiems so eindrucksvoll akzentuiert. Die hier des öfteren großsinfonisch (als quasi Orchesterersatz) eingesetzte Orgel hatte Stefan Palm überzeugend im Griff, ohne die vorzüglichen Solisten jemals zu übertünchen; hier sei - pars pro toto - die geradezu glockenrein himmlische Stimme von Anna-Elisabet Muro noch mal extra gewürdigt; wir werden bestimmt noch von Ihr hören. Da bin ich sicher.


FAZIT

Ein geradezu unglaublicher Abend (verzeiht mir, liebe Neusser !) in der "Provinz", der mehr künstlerisches Herzblut bewegt hat, als so manche Gala-Veranstaltung in der Hochkultur; und der uns allen gezeigt hat, daß es ihn doch noch gibt, jenen "Don Quichotte", der zwar gegen Windmühlen kämpfte, dabei aber stets ein hehres Ziel vor Augen hatte. Der Neusser "Don Quichotte" heißt für mich: MICHAEL VOIGT.




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(Veröffentlichung vorbehalten)
Anna-Elisabet Muro (Sopran)
Ulrike Mertens (Sopran)
Sylwia Siwak (Alt)
Dirk Winn (Tenor)

Erika Görtzen (Trompete)
Holger Südkamp (Posaune)
Tim Vogelsang (Elektrogitarre)
Joachim Voigt (Bassgitarre)

Kantorei der Evangelischen
Christuskirchengemeinde Neuss

Perkussionensemble der
Robert-Schumann-Hochschule
Düsseldorf

Uwe Brand (Celesta)
Gerhard de Buhr (Klavier)
Stefan Palm (Orgel)

Gesamtleitung: Michael Voigt


Alfred Schnittke
REQUIEM



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