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1. Sinfoniekonzert des hr-Sinfonieorchesters

8.9.2005, Alte Oper Frankfurt, Großer Saal
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hr-Sinfonieorchester
(Homepage)
„Glaub mir, Lieber, es war die Nachtigall“
Klangfarbenreich

Von Claus Huth

Vielversprechend startete das mit neuem Namen versehene HR-Sinfonieorchester in die neue Saison: Hugh Wolff riss zum Anfang von Brahms d-moll-Klavierkonzert einen Abgrund auf. Dunkel, aufgewühlt, verzweifelt, wie ein Blick in den Höllenschlund klangen unter seiner Leitung die ersten Takte des Konzertes. Saftig, präsent und voll der Klang, den das Orchester zu bieten hatte, dabei nie dick und undurchdringbar. Weniger wert legte Wolff auf das Majestätische, das dem Hauptthema anhängen kann: Hier hört man die Stimme eines zutiefst aufgewühlten, verzweifelten jungen Mannes.

Am Flügel hat ein Star Platz genommen: Hélène Grimaud, die 34-jährige in Amerika lebende Französin. Mit dem Klaviereinstieg setzte sie einen deutlichen Kontrast zu Hugh Wolffs aufregendem Start: Zart und ganz zerbrechlich ging sie die den ersten Einsatz des Klavierparts an. In der Folge gab es zunächst immer wieder Abstimmungsschwierigkeiten mit dem Dirigenten: Klavier und Orchester klapperten besonders bei den zahlreichen Übergängen öfter knapp aneinander vorbei. Das mag auch daran gelegen haben, dass Hélène Grimaud bedauerlicherweise von einem schweren Husten geplagt war und sich sichtbar nicht in bester Form befand. Dass die Wolff und Grimaud doch durchaus an einem Strang zogen, wurde erst deutlich, als man sich gegen Mitte des ersten Satzes endlich fand: Von da an war es ein Brahms voller Glut, an der Grenze des selbstquälerischen Zerreißens, aber auch voller Energie im Schlusssatz. Das innige Abbild Clara Schumanns, das Brahms im zweiten Satz zeichnete offenbarte den Wert von Grimauds Klavierton: ganz kantabel, dabei bei aller spürbaren Hochspannung stets kontrolliert. Feurig, voller Zuversicht und Humor (wie wundervoll Wolff das Fugato in der Mitte des Satzes dirigierte!) der Schlusssatz, der aufgewühlten Stimmung des ersten Satzes Paroli bietend. Insgesamt trotz der Abstimmungsschwierigkeiten im ersten Satz eine hochgespannte Brahms-Deutung, ein Portrait des Künstlers als junger, emotional noch keineswegs ausgeglichener Mann.

Sehr überraschend, ja fast diametral entgegengesetzt wirkte beim ersten Blick auf das Programm die Kopplung der zweiten Hälfte: Helmut Lachenmanns 2003 uraufgeführter Musik für Orchester mit dem Titel „Schreiben“ setzte Hugh Wolff eine selbst zusammengestellte Auswahl von sechs Sahnestücken aus Prokofjews Ballett „Romeo und Julia“ entgegen. Noch überraschender als die Programmgestaltung an sich: Das Konzept ging, auch in Verbindung mit Brahms, fantastisch auf!

Lachenmanns von den HR-Musikern schon 2004 in Salzburg aufgeführte und für die Frankfurter Aufführung vom Komponisten (erneut) leicht revidierte Komposition öffnete die Ohren dafür, wie viel Geräuschhaftes in Prokofjews Orchestersatz enthalten ist. Das HR-Orchester unter dem hellhörigen Wolff waren mit Lachenmanns Partitur ganz offenbar bestens vertraut, und die Aufführung geriet zum Lehrstück dafür, dass es sich durchaus lohnt, neue Orchesterstücke in mehreren Spielzeiten nacheinander zu programmieren.

Das Werk, das sich mit „Schreiben“ in vielfältigem Sinne – ethymologisch, physisch, klanglich, psychologisch – auseinandersetzt, ist über die Dauer von 25 Minuten hin konsequent aufgebaut: Von den tastenden Schab- und Kratzgeräuschen des Beginns geht es über mehrere sich zunächst geordnet ergebende Verdichtungen immer mehr zu frei zu spielenden Teilen, in denen der Dirigent pausiert. Das Stück steigert sich immer weiter bis hin zu einem fast schmerzhaften, sehr hohen Schrei der Geigen, der schlagartig wieder in die Schab- und Kratz-Geräuschwelt des Beginns umschlägt, in der das Stück ins Unhörbare hin verdämmert. Der optische Eindruck der Konzertaufführung war essentiell. Nur so auch sieht man, dass die Klänge zustande kommen durch teilweise Übertragung vom Schreibbewegungen auf die Behandlung der Instrumente, und nur so kann man erleben, wie der Dirigent mehr und mehr zur nur noch den groben Zeitablauf organisierenden Kraft wird, während den Musikern selbst überlassen wird, was sie „schreiben“ und spielen. Lachenmann, der neben der Bratschistin Tabea Zimmermann im Zentrum des spielzeiteröffnenden „Auftakt“-Festivals steht, stand in den nächsten Tagen noch häufiger auf Konzertprogrammen der Alten Oper Frankfurt – eine gute Gelegenheit, das „Schreiben“ dieses Komponisten genauer zu untersuchen. Der Start mit Hugh Wolff und den HR-Musikern machte Appetit auf mehr.

Nach Lachenmann zum Schluss Prokofiew, wie erwähnt erstaunlich sinnig gekoppelt. Hugh Wolff wählte sechs Sätze aus dem Ballett bzw. den vom Komponisten selbst zusammengestellten Suiten aus und hielt sich dabei nicht nur an den groben Handlungsablauf, sondern fischte auch das Populärste aus der zweistündigen Partitur heraus: Den „Montagues und Capulets“ folgte „das Mädchen Julia“, ein Menuett (das Fest) ging in die große Balkonszene des tragischen Liebespaares über, und nach Tybalts Tod fand man schließlich Romeo am Grabe Julias. Hugh Wolff dirigierte das Ganze im Cinemascope-Format: eine prachtvoll funkelnde Orchestervisitenkarte, die das Maskenhafte der Ballettmusik ungeniert hervorhob. Zackig die Rhythmen, auftrumpfend Blech und Schlagzeug. In der Balkonszene wallte das Orchester so gewaltig auf, dass man sich schon in Disneys neuer Zeichentrick-Version des Shakespearschen Dramas wähnte. Der grauslich laute Tod Tybalts hingegen klang eher so, wie man sich die Filmmusik zum letzten Teil des Star-Wars-Saga gewünscht hätte: Spontaner Zwischenapplaus. Wolff konnte sich bei diesem nicht nur ihm und den Musikern offenbar tierisch Spaß machenden Spektakel voll und ganz auf seine Musiker verlassen, die er zum Ende dieser Spielzeit nach neunjähriger Tätigkeit als Chefdirigent an Paavo Järvi abgibt. Er konnte die Zügel gelegentlich auch locker lassen, ohne dass die Präsenz und rhythmische Intensität des Klanges nachließ. Ein ebenso intelligent gestalteter wie unterhaltsamer Ausstieg. Es lässt sich jetzt schon prophezeien: Wolff wird in Frankfurt fehlen.


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Hélène Grimaud (Klavier)
HR-Sinfonieorchester
Hugh Wolff (Dirigent)





Johannes Brahms
1. Klavierkonzert d-moll op. 15

Helmut Lachenmann
„Schreiben“ – Musik für Orchester

Sergej Prokofjew
Suite aus der Ballettmusik
„Romeo und Julia“ op. 64



Weitere Informationen
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hr-Sinfonieorchester
(Homepage)



Da capo al Fine

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