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Südamerika in Essen
Von Markus Bruderreck - Fotos von Michael Kneffel Derartigen Jubel und frenetische Begeisterung hat dieses Haus bislang wohl noch nicht erlebt: Auf ihrer Deutschland-Tournee machte die Junge Philharmonie Venezuela mit ihrem Dirigenten Gustavo Dudamel in der Essener Philharmonie Station. Das Orchester ist schon seit einiger Zeit intensiv in den Medien vertreten, ganz besonders seitdem sich Sir Simon Rattle als Schirmherr für die Belange der Musiker einsetzt (Er war übrigens derart überzeugt von dem Orchester, dass er in ihm die Zukunft der Musik sehen mag; aber er ist ja immer schnell mit Superlativen bei der Hand).
Die Junge Philharmonie Venezuela setzt sich aus der Elite der Jugendorchester zusammen, die das Land Flächen deckend überziehen. Der Vater dieses vor 30 Jahren in die Wege geleiteten Orchesternetzwerks heißt José Antonio Abreu er saß im Publikum, ebenso Liz Mohn als Vertreterin der Bertelsmann Stiftung, die sich in Deutschland intensiv um musikalische Früherziehung bemüht. Von Venezuela kann man viel lernen. Musik als System, um den Slums und der Kriminalität zu entgehen: Ein einmaliges Konzept. Eine derartige Verankerung von Musik im Leben von Kindern und Jugendlichen wünschte man sich auch hier in Deutschland.
220 (!) junge Musiker (darunter nur wenige Musikerinnen, bezeichnender Weise) drängten sich auf dem voll besetzten Podium des ausverkauften Alfried Krupp-Saals. Da quetschten sich die Jungen auf die Bühne und wieder herab, und der Dirigent Gustavo Dudamel versuchte vergebens, mehr Platz zu schaffen. Auf dem Programm des Orchesters: ausschließlich spektakuläre Literatur wie die Orgelsinfonie von Camille Saint-Saëns, die fünfte Sinfonie von Sergej Prokofieff und die glanzvolle Festouvertüre op. 96 von Dmitri Schostakowitsch. Wer meint, so viele Musiker könnten nur Krach machen, der irrt. Wie WDR-Moderator Christian Schruff in einer seiner gekonnten Überleitungen erwähnte: Mit einem Riesenorchester (12 Kontrabässe!) kann man auch äußerst leise spielen, der langsame Satz der Orgelsinfonie bewies es.
Freilich ist das Klangbild ein anderes, so üppig, wie man es noch nie gehört hat. Wenn es laut wird, dann allerdings auch gnadenlos. Nicht jedem Werk an diesem Abend bekommt eine solch riesige Besetzung. Während die Orgelsinfonie von Saint-Saëns dadurch nur umso prachtvoller wirkt, lärmt die Prokoffief-Sinfonie fast durchgehend. Das liegt am Werkcharakter, da kann man noch so sehr um Differenzierungen bemüht sein. Technisch freilich sind die Venezuelaner auf höchstem Niveau. Der Musik hauchen sie mit ungestümer Jugend umwerfende Energie und Frische ein. Da mag man schon einmal hier und da versucht sein, unsere Orchesterbeamten zu verfluchen, die Dienst nach Vorschrift tun. Was sie allerdings zusammen mit guten Dirigenten an aufregenden Deutungen leisten, sollte ebenfalls nicht vergessen werden. Und große interpretatorische Tiefe erreichen die Venezuelaner nicht, auch das muss gesagt sein. Den ebenso dynamischen Dirigenten Gustavo Dudamel als kommende Größe anzukündigen, ist sicher ebenso übertrieben. Mit einem herkömmlichen Sinfoniekonzert also war das Gastspiel der Jungen Philharmonie Venezuela nicht zu vergleichen. Am Ende des dreistündigen, gefeierten Konzerts wurde der Saal zudem noch zum Ort einer ausgelassenen Fiesta. Bei den Congas von Marquez und Bernstein oder Silvestre Revueltas' Sensemayá trugen die Musiker schon längst Jacken mit ihrer Nationalflagge, tanzten, wirbelten ihre Instrumente in die Luft und wurden sogar noch beklatscht, als sie schon längst die Bühne verlassen hatten. Zweifellos ein großer Abend für die Essener Philharmonie. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Junge Philharmonie Venezuela Leitung: Gustavo Dudamel Christian Schruff, Moderation Camille Saint-Saëns Sinfonie Nr. 3 c-Moll op. 78 (Orgelsinfonie) Sergej Prokofieff Sinfonie Nr. 5 B-Dur op. 100 Dmitri Schostakowitsch Festouvertüre op. 96 Arturo Marquez (*1950) Conga Leonard Bernstein Conga aus der West Side Story Silvestre Revueltas Sensemayá Johann Strauß (Vater) Radetzkymarsch op. 228
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