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Erfülltes Musizieren
Von Christoph Wurzel Eigentlich sollte ein Kritiker ja nicht ins Schwärmen geraten. Aber dieses Konzert war gleich aus mehreren Gründen so außergewöhnlich, dass dies einmal erlaubt sei. Da war zuerst das Programm: ein Spannungsfeld größter Gegensätze bis in die Stücke selbst hinein. Am Beginn stand Bártoks nervös angespanntes Divertimento, 1939 im Angesicht des drohenden Krieges entstanden, mit einem ersten Satz voller rhythmischer Reibungen, dem aufwühlend alptraumhaften Adagio und einer trotzigen Travestie von Volkstänzen als Beschwörung einer friedlichen Welt im Schlusssatz. Dann ein unvermittelter Sprung ins Rokoko zu Haydns apollinisch leuchtendem C-Dur - Konzert mit seinem unbeschwert melodieseligen Adagiosatz. Nach der Pause folgte Dimitri Schostakowitschs Cellokonzert aus dem Jahre 1959, in dem der unter der Stalinzeit schwer gebeutelte Komponist unverkennbar seine eigene Situation reflektiert: D-es-c-h - diese 4 Töne bilden das Grundmotiv des ganzen Werks, die im ersten Satz, wie in einem Spießrutenlaufen getrieben, sich gegen das Orchestergetümmel nur mühevoll behaupten können. Auch hier ist der zweite Satz ein elegisch verträumtes Refugium, dem Schostakowitsch eine wunderbar auskomponierte Kadenz nachgestellt hat. Den Schluss des Konzerts bildete dann eine vor Lebenslust nur so sprühende "Italienische" von Mendelssohn, die von den Musikern stehend gespielt wurde, als hätten sie der Vorschrift "con moto" in zweien der Sätze noch dadurch Nachdruck verleihen wollen, dass sie deren Energien durch Körper und Instrumente hinaus in den Saal umso freier fließen lassen könnten. Und das gelang. Aber nicht allein der furiose Schlusspart des Konzerts war ein Fest brillant inspirierten Musizierens, auch in den anderen Stücken bewiesen die jungen Musikerinnen und Musiker ihre Klasse, die jenseits jeder Routine und eingeschliffener Bahnen zu finden ist. Ein höchst präsentes Klangbild erzeugt dieses Orchester, die Stimmen werden beredt artikuliert, das Zusammenspiel ist genau bis auf den Punkt, dabei animiert und technisch souverän verwirklicht. Eine spannungsgeladene natürliche Motorik durchpulst die Musik, ohne aufgesetzt zu wirken oder an Präzision zu verlieren. Die stilistische Flexibilität war frappierend - der Wechsel von Bartók zu Haydn gelang, als wärs nur ein kleiner Schritt vom zwanzigsten ins achtzehnte Jahrhundert - historisch informiert klang die eine Musik wie die andere richtig im Sinn ihrer Entstehungszeit. Und ein weiterer Wechsel gelang mühelos: vom stellenweise grotesk verfremdeten Klangbild in Schostakowitschs Konzert hin zum romantisch emphatischen Ton in Mendelssohns Sinfonie. Das war eine Bandbreite an musikalischem Empfinden, die derart unmittelbar selten zu erleben ist. Auch die Ausdrucksfähigkeit dieses Orchesters machte staunen. Wie sich im 2. Satz von Bartóks Divertimento die Schwermut dahinschleppte, durchschnitten förmlich von einem scharfen Streicherimpuls und die Musik sich dann wie zu einer Gewaltmaschinerie aufstaute - das war ein starkes Stück expressiver Musik. Die Leichtigkeit dagegen des Menuetts der "Italienischen", wo die Bläser im Trio schier aus höheren Sphären zu tönen schienen oder die feine Abschattung der Stimmung im Mittelteil des Andante-Satzes. Schier endlos wären Beispiele erfüllter musikalischer Augenblicke zu nennen, mit denen dieser Abend gespickt war. Daniel Harding
Glücklich muss auch ein Dirigent sich nennen können, der solch ein Orchester als Partner hat. Und dass Daniel Harding und das Mahler Chamber Orchestra aus einem Geist musizieren, war überdeutlich zu spüren, zu sehen, zu hören. Harding konnte angesichts der Souveränität dieses Orchesters auch jede kleinste Nuance der Artikulation mit scheinbarer Leichtigkeit herausarbeiten und ließ den musikalischen Sinn der Stücke sich voll entfalten. Der Senkrechtstarter (im Alter von gut dreißig Jahren dirigiert er nahezu alle führenden Orchester der Welt) erwies sich hier als ungemein temperamentvoller Impulsgeber und intellektuell feinsinniger Analytiker. In diesem anspruchsvollen Programm gab es nicht einen einzigen Moment musikalischer Unklarheit oder Indifferenz. Steven Isserlis Perfekt in die musikalische Wahlverwandtschaft von Orchester und Dirigent fügte sich auch der Solist Steven Isserlis ein. Mit seinem leicht ansprechenden Stradivari-Cello ( es ist dasjenige des legendären Emanuel Feuermann) griff er das Haydn-Konzert fast leger an - locker, doch hochkonzentriert den aparten 1. Satz. Im 2. Satz ließ er das Instrument singen und beendete es mit einem dynamisch hochspannenden, rasanten Allegro molto. Zu all den virtuos gemeisterten technischen Raffinessen dieses Konzerts schenkte er dem Publikum noch zwei Kadenzen im 1. und 2. Satz.
Mit prononciertem Gestaltungswillen widmete er sich auch dem Schostakowitsch-Konzert. Zwangvolle Plage, mochte man meinen - angesichts der hineinkomponierten musikalischen Sisyphosarbeit, doch Isserlis nahm den Selbstbehauptungs-Kampf seines Leitmotivs mal mit dem Ausdruck entschiedener Entschlossenheit, mal mit dem Mut der Verzweiflung an. Der zweite Satz ließ dem Cello mehr Raum zu cantabler Entfaltung und in einem ergreifend schön gespielten Übergang zur Kadenz mit der hell aufleuchtenden Celesta-Begleitung überführte er die musikalische Linie gleichsam in einen anderen Zustand der Selbstvergessenheit und puren Meditation, einen Stillstand all des widerstreitenden thematischen Getümmels zuvor. Hier realisierte sich musikalische Aussage in reinster Form. Dermaßen war Kraft geschöpft für den dritten Satz, in dem sich das D-es-c-h-Motiv erneut meldet, sich aber mit geballt neuer Energie gleichsam gegen die orchestrale Übermacht aufbäumt und endgültig behauptet. Isserlis machte aus diesem Konzert eine dramatische Erzählung über Macht und Widerstand, eine großartige musikalische Parabel.
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Steven Isserlis Violoncello Mahler Chamber Orchestra Musikalische Leitung Daniel Harding Béla Bartók Divertimento für Streichorchester Sz. 113 Joseph Haydn Konzert für Violoncello und Orchester C - Dur Hob VIIb:1 Dimitri Schostakowitsch Konzert für Violoncello und Orchester Nr. 1 Es-Dur Op. 107 Felix Mendelssohn Bartholdy Sinfonie A - Dur Op. 90 "Italienische"
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