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Spannweite der Barockmusik
Von Christoph Wurzel / Fotos:pr Unterschiedlicher können zwei Werke aus etwa derselben Zeit kaum sein als die 1760 in Paris entstandene Oper Rameaus und das 1742 in Dublin uraufgeführte Oratorium Händels. Beides sind zwar Werke aus dem reifen Alter ihrer Schöpfer - Händel war 56, Rameau sogar 77 - und gemeinsam ist beiden Komponisten auch, dass sie jeweils den Höhepunkt des Musiklebens ihrer Zeit in ihrem eigenen Nationalstil verkörpern, wenn auch beide in ihrer Zeit nicht unumstritten waren. Aber abgesehen davon, dass beide Werke unterschiedlichen Gattungen angehören und wenn Händels Oratorium den Opernkomponisten nicht verleugnen kann, so kommt Rameau dagegen als Komponist ursprünglich von der Kirchenmusik. Dennoch beiden Werken eignet ein ganz gegensätzlicher Charakter: "Les Paladins" ist ein durch und durch heiteres, ja komisches Werk, der "Messias" dagegen eine von religiöser Ehrfurcht bis hin zum frommen Pathos reichende Komposition. Auch das Ursprungs-Publikum ist jeweils unterschiedlicher kaum zu denken: Rameau komponierte für die adlige Welt der Pariser Hofgesellschaft, Händels Musik reichte weit in die bürgerlichen Schichten Londons hinein. Schließlich ist der "Messias" wohl Händels bekanntestes Werk, Rameaus "Paladine" dagegen eine echte Rarität.
Herausgefordert wurde nun ein Vergleich dieser Werke durch die aufeinanderfolgende Aufführung im Festspielhaus Baden-Baden, was zu einer spannenden Begegnung wurde. Reizvoll auch wegen der Interpreten, die jeweils auch manches gemeinsam haben und dennoch einen ausgeprägten Eigencharakter aufweisen. Gründer und Leiter der Ensembles "Les Art Florissants"
Und der Vergleich wird zusätzlich angeregt durch eine Bemerkung Christies im Programmheft des Rameau-Abends, in dem er die stilistische Komplexität der französischen Barockoper den Werken Händels entgegenstellt, die doch "letztlich einfacher gestrickt" seien. Die französische Musik sei zudem vom Wort her gedacht, die italienische, in der Londoner Händel fußt, vom Instrumentalen her. In der Tat - bei der Musik zu Rameaus komischer Ballettoper handelt es sich um eine enorm farben- und formenreiche Partitur, ein reges Wechselspiel der von Sprachwitz inspirierten Rezitative mit den filigran melodiösen Airs, den duftig animierten Tänzen und vielen besonderen Effekten überraschender Instrumentation, vom Intensiven Einsatz der Hörner oder Fagotte bis hin zu Tambourin und Glockenspiel. Beschwingt und leicht leitete Christie die etwas mehr als 20 Instrumentalisten durch den musikalischen Zaubergarten und diese entlockten mit sichtbar großer Spielfreude ihren historischen Instrumenten einen prickelnd charmanten Klang. Auch der Chor, dessen Partien von choreografierten Bewegungen begleitet waren, sprühte vor Lebendigkeit. Die Handlung dieser Oper lässt sich wie häufig leicht auf die Formel bringen: Wer kriegt hier wen? Unter den Paladinen muss man sich Bedienstete im Hause des reichen, aber alten Edelmannes Anselme vorstellen, die in komplizierte Verwicklungen um ebendiese Frage verbandelt sind (bunte Schals sind Symbole dieser Kreuz- und Quer-Beziehungen). Natürlich klärt sich am Schluss alles auf und die jungen Liebenden finden zueinander, während der Alte und seine Gefolgsleute in die Röhre gucken. Den üblichen Theaterzauber mit Verwandlungen und Gewitter hat Rameau natürlich mitkomponiert und man würde diese Oper gern einmal in einer geglückten szenischen Realisierung sehen ( diejenige in Paris 2004, auf welcher das Baden-Badener Gastspiel basiert, schien nicht so angekommen zu sein). Aber auch diese quasi konzertante Aufführung mit ihren gestenreichen Soloeinlagen erzeugte viel Lebendigkeit und vor allem durch den intensiven musikalischen Gestus bot sie einen weiten Bühnen-Phantasie-Raum. Die Solisten glänzten durchweg mit enormer Präsenz und großer Gesangskultur. Die Charaktere waren prägnant getroffen. Das junge Liebespaar Argie und Atis war mit Katia Velletaz und Anders Dahlin erstklassig besetzt. Sehnsuchtsvoll und melancholisch, später empfindsam und beseelt gestaltete die Sopranistin mit ihrer ausnehmend schönen Stimme ihre Rolle aus. Der schwedische Tenor konnte den jugendlichen Helden auch stimmlich glaubhaft machen, seine Auftritts- Arie mit den schwelgerischen Koloraturen bewältigte er makellos. Das komische Dienerpaar gehört in dieser Oper jeweils den verfeindeten Lagern an: Argies Freundin Nérine tändelt nur zum taktischen Schein mit dem herrschaftlichen Aufpasser Orcan und Danielle de Niese war diese Rolle schier auf den temperamentvollen Leib geschnitten, sie funkelte nur so voll erotischem Esprit. Gesanglich schoss sie dabei bisweilen über das Ziel des Schöngesangs etwas hinaus. Und Joao Fernandes` Orcan war die gelungene Karikatur eines Zerberus, der mehr Autorität behauptet, als er vor lauter Ängstlichkeit beweisen kann. Seine Rachearie im ersten Akt mit den in Musik gesetzten schlotternden Knien geriet zu einer subtilen Parodie auf entsprechende Affektnummern des ernsten Genres. Den liebestollen Hausherrn Anselme sang Matthieu Lécroart mit schönem, leicht geführten, schlankem Bass. Die musikalisch dankbare Rolle der Zauberfee Manto hatte der Countertenor Emiliano Ganzales Toro übernommen und belegte besonders in der wunderschön gesungenen Frühlingsarie sein Können. Gestochen klar und in der Höhe strahlend meisterte er mühelos die reich ausgezierte Gesangslinie. Ein reines Vergnügen wurde also mit diesem verborgenen Schatz der französischen Oper ausgelöst und das Baden-Badener Publikum danke es mit überwältigendem Beifall.
Thomas Hengelbrock, Der folgende Abend gehörte ganz der ernsten, sakralen Kunst. Die nach dem barocken Baumeister Balthasar Neumann benannten Ensembles sind inzwischen schon so etwas wie Stammgäste in dem eher nüchternen und architektonisch nicht besonders auffälligen Festspielhaus. Man könnte also schon fast geneigt sein, deren Hochleistungen als Gewohnheitsrecht zu quittieren. Doch Thomas Hengelbrock und seinen Musikerinnen und Musikern gelingen immer wieder Sternstunden funkelnder musikalischer Pracht. Die Solistinnen und Solisten treten bei diesen Aufführungen immer aus dem Chorkollektiv heraus und im Messias mit seinen vier vorgeschriebenen Solopartien waren die Stimmlagen mit unterschiedlichen Sängerinnen und Sängern besetzt, die auf ideale Weise den Charakter der jeweiligen Arien bzw. Rezitative unterstrichen, allen voran Andrea Lauren Brown, die mit engelisch sanftem Sopran die weihnachtlichen Partien im 2. Teil gestaltete. Jürgen Banholzer, der bewährte Altus dieser Ensembles, vermochte in der Nr. 23 ( sozusagen der "Martern"-Arie dieses Oratoriums) mit seiner nicht großen, aber sehr ausdrucksstarken Stimme ein Charisma warmer Textempathie zu entfalten. Auch die übrigen Gesangssolisten stellten hervorragende Qualität unter Beweis. Das populäre "Wau-wau"- Stück (Charles Burney), das homophone Halleluja, ließ Hengelbrock nicht besonders auftrumpfen, sondern integrierte es in den Kontext dieses an musikalischen Schätzen nicht armen Werks. Die Farbigkeit des Orchesterparts kam in unzähligen Valeurs zum Blühen, besonders in den Nummern 10 und 11, in denen von der Finsternis der Welt vor der Ankunft des Messias die Rede ist. Immer wieder brachte die Klangrede reiche musikalische Eloquenz hervor, die dem klingenden Sinn der Komposition äußerst zugute kam. Die Orchesterstimmen waren gut durchgearbeitet und die Solisten höchst aufmerksam auf dem Posten - eindrucksvoll die Zwiesprache der Solotrompete mit dem Sänger ( dem Bass Markus Flaig) im Song Nr. 48 ("The trumpet shall sound"). Bei allem, was Hengelbrock mit seinen Ensembles auch aufführt, hat man immer das Gefühl, die Musik irgendwie ganz neu zu hören, jedes der Werke geht er mit seinem Musikern offensichtlich ganz ohne Routine und Lauheit an, vielmehr spürt man in jedem Takt geschliffene Professionalität und feurigen Eifer.
Wie fällt nun der Vergleich aus? Kein Besser oder Schlechter auf der oder jener Seite, sondern ein Sowohl als auch. Zwei eigentlich unvergleichliche Werke an diesen beiden Tagen zu hören, macht die ungeheure Bandbreite der musikalischen Künste der Barockzeit unmittelbar zum Ereignis. Es ist neben der Entdeckung der Klangrede als musikalischem Gestaltungsmittel eine weitere bereichernde Erfahrung des gegenwärtigen Musikbetriebs: den enormen Reichtum der Musik in perfekten Aufführungen erleben zu können. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Les Paladins Musikalische Leitung William Christie Solisten Atis Anders Dahlin Argie Katia Velletaz Orcan Joao Fernandes Anselm Matthieu Lécroart Manto Emiliano Gonzales-Toro Nérine Danielle de Neise Chor und Orchester Les Arts Florissants The Messiah Musikalische Leitung Thomas Hengelbrock Solisten Sopran Tanya Aspelmeier Andrea L. Brown Nuria Real Altus Jürgen Banholzer Alex Potter Tenor Benoit Haller Julian Podger Knut Schoch Bass Manfred Bittner Markus Flaig Marek Rzepka Balthasar-Neumann-Chor Balthasar-Neumann-Orchester
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